Ukraine: Russland dementiert Eingreifen
Als „frei erfunden“ dementierte gestern ein Sprecher des russischen Innenministeriums einen Medienbericht, wonach Russland mit Sondereinheiten, ausgebildet für die Niederschlagung innerer Unruhen, in die Entwicklungen in der Ukraine eingreifen könnte. Truppen des Innenministeriums würden nie im Ausland eingesetzt.
Genau dafür sammeln Radikale in den industriellen Ballungsgebieten im Osten und den Regionen im Süden der Ukraine mit überwiegend russischer Bevölkerung bereits Unterschriften in sozialen Netzwerken. Einer der Akteure, Sergei Smoljaninow aus dem Stadtrat von Sewastopol auf der Halbinsel Krim, wo die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist, räumte das offen ein. Moskau müsse die Ukraine vor Truppen der NATO schützen, Washington könnte in den Konflikt zwischen Regierung und prowestlicher Opposition militärisch eingreifen.
Gegenwerbung in USA
Eben dafür rührt die ukrainische Diaspora in den USA die Werbetrommel: Das Land müsse vor einer Diktatur geschützt werden. 14.000 Unterschriften stehen bereits unter einer entsprechenden Petition. 100.000 sind erforderlich, damit der Kongress sie behandelt – doch der Antrag hat null Chancen.
Dass die Konfliktparteien in der Ukraine militärisches Eingreifen der Großmächte überhaupt in Erwägung ziehen, macht deutlich, welches Gefahrenpotenzial der Streit um die Ausrichtung der nach Russland bevölkerungsreichsten Ex-Sowjetrepublik mit der zweistärksten Volkswirtschaft im postsowjetischen Raum in sich birgt. Risikofreudige Propheten sehen in der Kontroverse um Integration in westeuropäische oder pro-russische Strukturen bereits das Vorspiel zu einem Bürgerkrieg, der durchaus mit Spaltung der Ukraine enden könnte.
Im Parlament in Kiew ist unterdessen am Dienstag ein Misstrauensantrag der Opposition klar gescheitert. Nur 186 der 450 Abgeordneten votierten gegen Ministerpräsident Mykola Asarow.
Demonstrationen
Vor dem Parlamentsgebäude demonstrierten Tausende Menschen, um der Forderung nach einem Sturz der Russland-freundlichen Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch Nachdruck zu verleihen. Oppositionsanhänger protestieren schon seit Tagen gegen die auf russischen Druck erfolgte Abkehr vom EU-Annäherungskurs. Zusätzlich angeheizt wurden die Proteste durch den brutalen Polizeieinsatz am Wochenende, bei dem über 200 Menschen verletzt wurden.
„Zuerst wurde den Ukrainern der Traum von Europa geraubt, dann wurden Demonstranten mit Knüppeln auseinandergejagt – das gab es noch nie in unserer Geschichte“, sagte Oppositionsführer Vitali Klitschko ( Udar) in der Parlamentsdebatte.
Ministerpräsident Asarow versuchte der Kritik die Spitze zu nehmen, indem er sich demonstrativ für die Polizeigewalt entschuldigte. „Ich möchte Sie im Namen der Regierung um Verzeihung bitten für das Vorgehen der Sicherheitskräfte auf dem Unabhängigkeitsplatz“, sagte er. Zugleich sagte Asarow mit Blick auf die Orange Revolution vor neun Jahren: „Wir reichen Euch die Hand, aber bremst die Aufrührer, die die Macht übernehmen und das Szenario von 2004 wiederholen wollen.“ Damals wurde mit Massenprotesten die Neuaustragung der zuvor offenbar zu Gunsten von Janukowitsch manipulierten Präsidentenwahlen erzwungen.
Klitschko, Jazenjuk, Tjahnybok“ schreit einer auf der Bühne im Protestlager in Kiew und richtet die Frage an die Masse: „Wer soll regieren nach Janukowitsch?“ Die Menschenmenge antwortet mit Schweigen.
Arseni Jazenjuk könnte man als Nachlassverwalter der inhaftierten Julia Timoschenko bezeichnen, er führt heute ihre Partei; Oleh Tjahnibok ist Chef der weit, weit rechts stehenden Partei Swoboda und als solcher durchaus umstritten. Und Witali Klitschko? Der hat zwar einen Prominentenbonus, und seine Partei ist mit 13 Prozent die drittstärkste Kraft im Parlament, aber wofür er steht und was er vor hat, weiß niemand so recht.
Misstrauensvotum
Vor Demonstranten kündigte Klitschko am Montag ein Misstrauensvotum gegen Präsident Janukowitsch an. Am Dienstag wird im Parlament über Regierungschef Nikolai Asarow abgestimmt. „Eure große Zahl und eure Stimmung geben uns Entschlossenheit – wir werden nicht innehalten“, sagte er und rief die Menschen dazu auf, die Blockade von Regierungsgebäuden fortzusetzen. Derzeit scheint es die Opposition vor allem darauf abgesehen zu haben, die dünne Parlamentsmehrheit der Regierung zu brechen, um so die Absetzung Janukowitschs zu erreichen. Dieser hatte einem Assoziierungsabkommen mit der EU die Unterzeichnung verweigert – Auslöser der jetzigen Krise.
„Ich habe ihn nicht gesehen“, berichtet ein Demonstrant in Kiew und meint Klitschko. Und der Aktivist betont ebenso wie viele andere: „Es ist auch egal.“ Die politischen Krisen der vergangenen Jahre haben das Vertrauen in die politische Elite ruiniert.
Petition
Und die Krise weitet sich aus. Während die Opposition Unterstützung aus dem Westen des Landes erhält, sind es Lokalparlamente im Osten, die sich jetzt ausdrücklich hinter die Regierung stellen. In einer Petition stellten sie sich hinter den harten Polizeieinsatz und fordern Berichten zufolge sogar noch mehr: den Einsatz der Armee.
Panzereinheiten sollen bereits aus dem Westen des Landes in das Umland um Kiew verlegt worden sein. Das, nachdem sich anscheinend einige aus dem Westen stammende Abteilungen der Polizei-Sondereinheit Berkut einer Verlegung nach Kiew verweigerten und reguläre Polizisten in Kiew zum Teil offen Oppositionellen geholfen haben.
In all dem riefen die drei einflussreichsten Kirchen der Ukraine nun zu Gewaltlosigkeit auf. Und ebenso sind die Führer der Opposition darum bemüht, die Demonstrierenden nach der Eskalation der letzten Tage mit mindestens 150 Verletzten auf Mäßigung einzuschwören – eine große Herausforderung, denn auch die Gegenseite mobilisiert: Am Montag wurde in Kiew ein Demonstrationszug für Janukowitsch gesichtet.
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