Drohnenkrieg um Pokrowsk: Russlands Motorrad-Trupps rücken vor
Im Schutz des Nebels sickern immer mehr russische Soldaten in die Stadt ein.
Der Zug mutet wie aus einem „Mad-Max-Film“ an: Knatternde Motorräder mit Plastiksäcken auf den Ladeflächen fahren im trostlosen Nebel eine verdreckte Straße entlang, dahinter ein Buggy ohne Türen, auf dem dicht an dicht Soldaten mit prallen Seesäcken sitzen. Nicht mehr als 30 Soldaten – etwa ein Jägerzug – sind in dem Video zu sehen, das am Dienstag in einschlägigen Kanälen viral ging.
Zufahrt nach Pokrowsk unter russischer Feuerkontrolle
Und das nicht ohne Grund: Denn das Video zeigt das Einsickern weiterer russischer Streitkräfte in die Stadt Pokrowsk, die de facto seit mindestens einer Woche für die ukrainischen Streitkräfte verloren ist. Noch wird dort gekämpft, doch die große Zufahrtsstraße M-30, die zur Stadt Dnipro führt, ist unter russischer Feuerkontrolle – und auch die letzte kleine Straße ist bereits hart umkämpft.
Pokrowsk ist Drohnen-Todeszone
In Pokrowsk selbst wüten seit Tagen erbitterte Gefechte zwischen einzelnen Trupps – meist nie mehr als je drei Soldaten –, während es in der Luft von Drohnen nur so wimmelt. Regelmäßig bombardieren die russischen Luftstreitkräfte die Stadt mit Freifallbomben. Wird ein Soldat auf offener Straße gesichtet, schlagen kurz darauf Drohnen und Artilleriegranaten ein – nach wie vor ist Pokrowsk eine Todeszone für beide Seiten.
„Väterchen Nebel“ stört die Drohnen-Aufklärung
Es sei denn, der Nebel kommt zu Hilfe – denn die eingeschränkte Sicht macht Drohnen quasi wirkungslos. Besagtes Video wurde Anfang der Woche in den frühen Morgenstunden im Südosten der Stadt aufgenommen. Wenige Tage zuvor hatten dort ukrainische Drohnen eine große Anzahl an russischen Motorrädern gesprengt. Krater im Asphalt und herumliegende Trümmerteile lassen ahnen, dass dieser Zug ohne den Nebel unter massivem Feuer zerrieben worden wäre.
Angepasste Taktik: Motorräder statt Panzerfahrzeuge
So aber gelang es dem Konvoi, in die Stadt einzusickern – und unter den gegebenen Umständen die russischen Soldaten in Pokrowsk zu unterstützen. Diese Taktik ist nicht neu – und den Entwicklungen am Gefechtsfeld angepasst.
Mit schnellen, wendigen Motorrädern lässt es sich Drohnen besser ausweichen als in gepanzerten Gefechtsfahrzeugen. Auch die fehlenden Türen des Buggys im Video ergeben einen Sinn: So können Soldaten rascher aus dem Fahrzeug flüchten, sollte eine anfliegende Drohne erkannt werden.
Grundsätzlich dürfte dem Video einiges an Vorbereitung vorangegangen sein: Zwei Soldaten stehen am Straßenrand an einer Abzweigung, fungieren quasi als Einweiser.
Einige Stunden vor Aufnahme war eine andere russische Einheit dort gen Norden abgebogen und hatte die russische Flagge in einem kleinen Dorf am Stadtrand Pokrowsk gehisst. Die Route dürfte also halbwegs gesichert worden sein. Allerdings: Wie bei allen Videos – ob von Drohneneinschlägen oder jenem am Dienstag – darf davon ausgegangen werden, dass solche Unterfangen meist scheitern.
Massive Verluste und russischer Vormarsch in Pokrowsk
Das Netz ist voll von zerstörten russischen Konvois an diesem Frontabschnitt, gleichzeitig dürften auf ein erfolgreiches Drohnen-Video Hunderte Fehlschläge kommen. Dennoch: Auch in Kiew räumte man ein, dass sich Stand Dienstag etwa 300 russische Soldaten in Pokrowsk befänden. Angesichts der Tatsache, dass die Stadt weitgehend zerstört ist und bereits zuvor deutlich weniger Soldaten ausgereicht hatten, etwa 80 Prozent Kontrolle über sie zu erlangen, ist das aus russischer Sicht ein Fortschritt.
Kostjantjniwka und Mirnohrad: Gefahr der Einkesselung
Ähnlich verhält es sich in der 50 Kilometer nordöstlich gelegenen Stadt Kostjantjniwka: Auch dort sickern immer mehr russische Trupps am Stadtrand ein, der bis vor Kurzem als absolute Todeszone gegolten hatte. Wenngleich die russischen Streitkräfte in den mehr als 18 Monaten Belagerung Pokrowsks gesamt betrachtet massive Verluste an Soldaten, Panzern und weiterem Gerät erlitten hatten – und auch bei Kostjantjniwka erleiden.
Gleichzeitig droht Hunderten ukrainischen Soldaten zwischen Pokrowsk und der wenige Hundert Meter östlich gelegenen Stadt Mirnohrad die Einkesselung. Nach wie vor sollen etwa zwei Bataillone in diesem Bereich kämpfen – während sich ihre letzte mögliche Rückzugsroute langsam aber sicher schließt: Die einzig verbleibende Straße, die noch aus Pokrowsk hinausführen könnte.
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