Krieg in der Ukraine: Pokrowsk ist de facto gefallen

FILE PHOTO: Ukrainian police officers try to persuade residents to evacuate in the frontline town of Pokrovsk
Tausende ukrainische Soldaten sind in einem Kessel gefangen. Bricht hier gerade die Donbass-Front ein?

475 Tage. So lange dauert die blutige Schlacht um die ukrainische Stadt Pokrowsk bereits an. Zehntausende Soldaten auf beiden Seiten ließen unter erbärmlichsten Umständen ihr Leben – der Kampf um die Stadt ist eine der blutigsten Schlachten des Krieges, der seit 2022 mit massiver Härte tobt. 

Jetzt ist Pokrowsk de facto gefallen – und dennoch könnte noch ein weiteres blutiges Kapitel geschrieben werden: Tausende ukrainische Soldaten sind zwischen den Orten Pokrowsk (ukrainische Quellen berichten, dass 80 Prozent der Stadt unter russischer Kontrolle stehen) und Mirnohrad in einem Kessel gefangen, der sich immer weiter schließt. 

Kritik an militärischer Führung

Stand Mittwochmittag gab es nur noch eine Straße, die aus diesem Kessel führt – und diese steht unter russischer Feuerkontrolle. Sprich: Hunderte Drohnen warten nur darauf, über ukrainische Soldaten auf dem Rückzug herzufallen.

Situation in der Ukraine

Situation in der Ukraine

Ukrainische Portale melden zudem erste Kapitulationen ukrainischer Einheiten in der Stadt. Die Lage sei schlichtweg zu aussichtslos für sie. Im Land ist die Kritik an der militärischen Führung groß: Nach massiven Verlusten bei der Verteidigung Bachmuts und Awdijiwkas versprachen die Generale um dem Oberkommandieren der Ukrainischen Streitkräfte, Olexandr Sirski, regelmäßig, das Leben der Soldaten zu schützen.

In Pokrowsk zeigt sich derzeit einmal mehr, dass dem nicht so ist, man bereit ist, ganze Verbände im sich schließenden Kessel zu belassen und massive Verluste in Kauf nimmt. Zusätzlich sorgte eine Tragödie vor drei Tagen für weiteren Unmut in der Bevölkerung: Weit von der Front entfernt ließ ein Marineverband seine Soldaten zu einer Ehrenzeichen-Verleihung in Reih und Glied antreten – die russischen Streitkräfte bekamen das mit und bombardierten die Einheit mit einer Iskander-Rakete. Soldaten, darunter ein altgedienter Veteran, starben. Wie viele, ist nicht klar.

Allerdings kritisierte der Bruder des getöteten Soldaten öffentlich die „Inkompetenz“ des Militärs. Während die russischen Streitkräfte in den kommenden Tagen Pokrowsk endgültig besetzen dürften, sollen sich ukrainische Verbände auf Stellungssysteme im Hinterland zurückziehen. Mit dem absehbaren Verlust der Stadt dürfte sich das russische Schwergewicht gen Norden verlagern, um die letzten verbleibenden großen Städte – Kramatorsk und Slowjansk – von Westen in Bedrängnis zu bringen. 

Auch Kostjantjniwka unter Druck

Gleichzeitig dürfte auch der Fall der Stadt Kostjantjniwka nur noch eine Frage der Zeit sein – russische Streitkräfte befinden sich bereits im Stadtgebiet – und auch hier beginnt sich im Norden langsam, aber sicher der Kessel zu schließen, seit die russischen Streitkräfte nach jahrelangen Kämpfen die Stadt Tschassiw Jar erobert hatten. In den nächsten Monaten dürfte die Belagerung von Kramatorsk und Slowjansk – die Agglomeration wurde zur Festung ausgebaut – beginnen. Und wohl noch blutiger werden als die Schlacht von Pokrowsk.

Allerdings droht den Städten auch von nordöstlicher Seite Ungemach: Russische Truppen stehen vor der Stadt Liman, die bei der Gegenoffensive 2022 befreit wurde. Fällt diese Stadt abermals, könnten die Russen auch von dort aus Druck auf die ukrainischen Nachschubwege ausüben. Erst kürzlich schlug die erste kabelgesteuerte Drohne in Kramatorsk ein. Ein kleines Vorzeichen für das, was der Stadt in der kommenden Zeit droht.

Während im Donbass alles auf eine langwierige und brutale Abwehrschlacht hinausläuft, finden weiter nördlich erbitterte Kämpfe um die Stadt Kupjansk statt. Auch dort wüten die Kämpfe seit Jahren, doch vor einigen Wochen schafften es die russischen Streitkräfte, ihren Brückenkopf am westlichen Ufer des Oskil-Flusses auszubauen und bis tief in die Stadt einzudringen. 

Derzeit soll ein ukrainischer Gegenangriff die russischen Einheiten in der Stadt von der Versorgung abschneiden. Ob er erfolgreich ist, ist unklar. So oder so wird der Druck auf Kupjansk steigen, gilt die Stadt doch unter anderem als wichtiges Einfallstor in die Region Charkiw. 

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