Merkel beendet Putins Schonzeit

Immer schon misstrauisch: Merkel ist Putins häufigste und zugleich kritischste Gesprächspartnerin.
Die Kanzlerin "schließt die militärische Option aus". Ansonsten wird ihre Sprache härter.

Vier Stunden sprach Kanzlerin Merkel in der Nacht zum Sonntag mit Russlands Präsident Putin in dessen Hotel im australischen Brisbane. Zuerst lange unter vier Augen ohne Berater. Später zog sie den neuen Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, den er ebenfalls schon lange kennt, hinzu. Was gesprochen wurde, will Merkel nicht sagen: "Es war vertraulich."

Ihre Umgebung sendet aber diese Signale: Merkels über 30 Telefonate seit der Besetzung der Krim und mehrere Treffen mit ihm, zuletzt in Mailand, seien trotz seiner Versprechungen und Vereinbarungen "für die Katz’ gewesen". Etwa die zur Überwachung des Waffenstillstandes in der Ostukraine durch die OSZE. Die störten die prorussischen Separatisten weiter.

Schlimmer noch: Putin habe nicht nur direkt in der Ukraine auf Expansion des russischen Einflusses bis hin zu Gebietsannexionen geschaltet, sondern versuche auch den Balkan zu destabilisieren. In Berlin kursiert seit September ein "geheimes" Papier des Außenministeriums, in dem es besorgt die Versuche Russlands analysiert, Serbien mittels militärischer Zusammenarbeit und Erdgaslieferungen stärker an sich zu binden. In dem Sinne zitierte auch der Spiegel zuletzt den CDU-Europa-Politiker Elmar Brok und Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU), der in Bosnien-Herzegowina verstärkte russische Einflussnahme gegen die EU wittert.

Russischer Korridor

In Merkels Stab kursieren sogar bisher öffentlich unbekannte Geheimdienstinformationen, die auf Gedankenspiele Putins mit einem "russischen Korridor" von der Krim über die Ukraine, Weißrussland und Polen bis in die russische Enklave Kaliningrad deuten. So unfassbar diese klingen, erklärten sie doch zum Teil die Panik in Polen und den baltischen Staaten.

All das habe eine Taktikänderung Merkels zur Folge, so Analysten: Sie verzichte nun auf konkrete Vereinbarungen und versuche prinzipiell Putin vom Kurs abzubringen, mit dem er jede Ausweitung der EU Richtung Osten und jede Annäherung der Russland-Anrainer an den Westen verhindern will.

Wie viel deutlicher Merkel nun reagiert, zeigte sie in der Diskussion zu einem Vortrag nach der Brisbane-Konferenz, wo sie Putin öffentlich warnte: Die EU werde vor Moskau nicht kuschen, wie es die DDR einst getan habe.

Vor allem das aber ließ aufhorchen: "Es geht nicht nur um die Ukraine. Es geht um Moldawien (siehe unten), es geht um Georgien, wenn es so weiter geht, muss man bei Serbien fragen und den Westbalkanstaaten." Es wäre nicht Merkel, wenn sie das nicht auch Putin selbst gesagt hätte. Und intern auch den Verbündeten, die sie zu einem härteren Sanktionskurs drängt.

Merkel und Juncker hatten Putin aber doch noch ein Angebot gemacht: Eine Kooperation der EU mit der Eurasien-Freihandelszone, seinem Versuch der Teil-Restauration Großrusslands. In Berlin aber sieht man bisher nicht, dass ihn irgendetwas davon beeindruckt hätte.

Die EU-Außenminister haben nach Worten von Sebastian Kurz beschlossen, bis Monatsende weitere pro-russische Separatisten in der Ukraine auf die Sanktionenliste zu setzen. Zugleich soll es "intensive Gespräche mit Russland geben", auch zwischen der EU und der Eurasischen Zollunion, sagte Kurz am Montag in Brüssel. "Weitere Wirtschaftssanktionen sind meiner Meinung nach nicht angebracht", so der Außenminister bereits im Vorfeld.

Kurz sagte, es habe eine Bewusstseinsänderung insofern stattgefunden, als es dramatische Konsequenzen geben könnte, wenn die unterschiedlichen Interessen von Russland und der EU offen aufeinander prallen. Für die neuen Gespräche mit Russland werde die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini den Startschuss setzen. Dies sei "ein neuerlicher Anlauf", die Haltung der EU zum russischen Vorgehen in der Ukraine bleibe aber unverändert.

Kurz bekommt Vorsitz

Der Außenminister hat außerdem von Polens Ex-Außenminister Radoslaw Sikorski den Vorsitz im Kreis der EVP-Außenminister übernommen. Dies wurde bei einer Sitzung der zur Europäischen Volkspartei (EVP) gehörenden Außenminister am Montag in Brüssel beschlossen, hieß es in Diplomatenkreisen.

Mogherini für "komplette Strategie"

Mogherini habe extra mehr Zeit für die Ukraine-Diskussion eingeräumt. Sie hat sich im Vorfeld für einen mehrgleisigen Ansatz in der Ukraine-Krise ausgesprochen. Es ist das erste Außenministertreffen mit der neuen EU-Außenbeauftragten Mogherini. Weitere Themen des Treffens der 28 EU-Außenminister sind die Ebola-Epidemie, die Lage in Nahost und im Irak sowie ein neuer Anlauf, Bewegung in die Gespräche für eine künftige Kandidatur Bosnien-Herzegowinas für einen EU-Beitritt zu bringen.

Wladimir Putin selbst hält nichts von mündlicher Deeskalation. Gegenüber Günther Jauch spricht er von ethnischen Säuberungen in der Ukraine.

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