Kiews Wut über Krim-Referendum

Der Europarat prüft die Legitimität der Abstimmung. Außenminister Kurz war in Kiew.

Hochnervöse Spannung und banges Warten auf das, was auf der Krim passiert – diese Stimmung ist vor dem dortigen Referendum über einen Anschluss an Russland in Kiew überall spürbar. Und Empörung darüber, welches Bild die russische Propaganda über die Ukraine zeichnet: "Haben Sie die Bilder im russischen Fernsehen gesehen?", fragt ein Passant nahe dem Maidan aufgebracht.

"Sind Ihnen irgendwo brutale Nationalisten, Rechtsradikale, Faschisten untergekommen?", fragt auch der ukrainische Erzbischof Svatoslav Schevtschuk, der auf der Bühne des immer noch dicht bevölkerten Maidan eine Messe gelesen hat. "Die Russen behaupten, hier herrschen Gewalt und Unterdrückung, aber es ist doch alles friedlich!" Er vergleicht die Krim-Krise mit der seinerzeitigen Kuba-Krise: Wenn nicht alle Möglichkeiten eines Dialogs mit Russland ausgeschöpft würden, drohe ein Dritter Weltkrieg. In der Ukraine habe niemand Interesse an Gewalt, "all die angeblichen ethnischen Konflikte sind von außen projiziert".

"Fremde müssen raus"

So sieht das auch Valentyn Nalivaitschenko, der neue Leiter des Geheimdienstes SBU. "Auf der Krim sind russische Truppen und Sicherheitsdienste involviert, in der Ostukraine Russland-treue Bewegungen, die von außen bezahlt werden", sagt er nach einem Gespräch mit Außenminister Sebastian Kurz. Der hielt sich als Vorsitzender des Europarates mit Europaratspräsident Thorbjörn Jagland am Montag in Kiew auf. "Das Referendum ist illegal, solange die Fremden da sind – die müssen raus, und dann sollen die Bürger der Krim entscheiden, worüber sie entscheiden wollen", sagt der Geheimdienstchef. Umfragen sagen, dass – ohne Druck – selbst unter der russischsprachigen Bevölkerung der Krim ein Votum gegen den Anschluss an Russland ausginge.

"Bei den Älteren gibt es den Hang zu Russland, aber die Jungen dort sind nach Westen und Europa orientiert", erzählt Roman Tsupryk, Gründer der Ukrainian Week, über die Krim. Russland tue alles, um dieses Bild zu drehen. Jetzt fürchtet Tsupryk um seine Kollegin Olga Maximenko. Sie wurde Sonntagabend auf dem Weg in die Krim an einem Checkpoint mit fünf weiteren Journalisten von bewaffneten Einheiten gekidnappt. Sie tauchten bisher nicht wieder auf.

Keine Wählerlisten

Kiews Wut über Krim-Referendum
APA17383308-2 - 09032014 - KIEW - UKRAINE: ZU APA-TEXT AI - Außenminister Sebastian Kurz (l.) mit dem ukrainischen Präsidentschaftskandidaten, Petro Poroschenko, im Rahmen eines Arbeitsbesuches in der Ukraine am Sonntag, 9. März 2014. APA-FOTO: Dragan TATIC
"Das ist der reine Terrorismus dort", poltert Petro Poroschenko. Der ehemalige Außen- und Verteidigungsminister, einer der reichsten Oligarchen des Landes, tritt im Mai bei den Präsidentschaftswahlen an. Er liegt in allen Umfragen an erster Stelle. Das sogenannte Referendum auf der Krim finde in sechs Tagen statt – "es gibt bis jetzt keine Wählerliste, keine Wahllokale, keine Kommission, aber eine russische Aggression ohne Grund und schon erste feststehende Ergebnisse – das ist völlig verrückt." Poroschenko drängt die internationale Gemeinschaft, das Referendum "mit allen Mitteln, die nötig sind", zu verhindern.

Kurz und Jagland berieten mit Übergangspräsident Turtschinow und Premier Jazenuk über Aktionen des Europarats. Ergebnis: Der Europarat untersucht im Rahmen seiner "Venediger Kommission" möglichst noch bis Sonntag, ob das Referendum auf der Ukraine legitim ist; Experten sollen so bald wie möglich auf die Krim reisen; ukrainische Untersuchungen der Gewalt auf dem Maidan werden vom Europarat "begleitet". Mittelfristig soll der Europarat in einer Arbeitsgruppe mit dem Parlament bei weiteren Gesetzesbeschlüssen hilfreich sein und eine Verfassungsreform unterstützen. "Die Ukraine hat diese Unterstützung gerne angenommen", sagte Kurz.

Außenminister Sebastian Kurz im KURIER-Interview gibt es hier.

Der Countdown bis zum vom Westen nicht anerkannten Referendum auf der ukrainischen Halbinsel Krim für einen Anschluss an Russland läuft. Mit demonstrativen Warnsignalen auf beiden Seiten.

Ein Sprecher der Maidan-Bewegung in Kiew forderte am Montag, die NATO solle intervenieren, wenn sich Russland nicht zurückziehe. Das Verteidigungsministerium in Kiew hat eine breit angelegte Überprüfung der eigenen Gefechtsbereitschaft angekündigt. Landesweit sei die Armee zu Übungen ausgerückt, sagte der Übergangsminister Igor Tenjuch am Montag in einem TV-Interview. Es sei volle Kampfbereitschaft angeordnet worden. Die moskautreue Führung auf der Krim kritisierte die Übung prompt als "Aggression".

Dabei haben pro-russische Paramilitärs, bei denen es sich schlicht um russische Soldaten handeln soll, ihrerseits vor gut einer Woche die Halbinsel Krim unter ihre Kontrolle gebracht. Und diese wird Tag für Tag ausgebaut. Am Montag besetzten Soldaten ein Militärkrankenhaus und einen Raketenstützpunkt in Sewastopol. 200 ukrainische Soldaten wurden entwaffnet.

Bei der Übernahme eines ukrainischen Marinestützpunktes gaben russische Soldaten laut der russischen Agentur Interfax auch Schüsse ab. Es sei niemand verletzt worden, berichtete die Nachrichtenagentur unter Berufung auf einen ukrainischen Offizier.

Demnach drangen die Soldaten auf das Gelände nahe der Stadt Bachtschissarai ein, nahmen den ukrainischen Soldaten Mobiltelefone ab und versuchten, Fahrzeuge in Besitz zu nehmen. Der Kommandant der Ukrainer habe in Verhandlungen versucht, die Russen von der Besetzung abzubringen.

Klitschko attackiert

Wie gespannt die Stimmung auch in anderen Teile der Ostukraine ist, erlebte Präsidentschaftskandidat Vitali Klitschko am eigenen Leib: Er wurde bei einer Rede in Charkiw mit Eiern beschossen.

Der russische Präsident Wladimir Putin scheint fest entschlossen, nicht zu weichen. Außenminister Sergej Lawrow ließ wissen, Moskau sei mit Lösungsvorschlägen der USA nicht zufrieden. Ein Konzept, das ihm US-Außenminister John Kerry überreicht habe, "hat uns nicht sehr überzeugt", sagte Lawrow am Montag. Welche Vorschläge das waren, darüber schwieg sich Lawrow aus. Er äußerte nur sein Bedauern darüber, dass Kerry einen für gestern, Montag, geplanten – bisher nicht öffentlich bekannten – Moskau-Besuch kurzfristig verschoben habe.

Drei Milliarden Hilfe

Hilfe für die wirtschaftlich schwer angeschlagene Ukraine kommt indessen von der Weltbank. Sie plant, die Führung in Kiew mit Finanzhilfen mit bis zu drei Milliarden US-Dollar (2,16 Mrd Euro) zu unterstützen, teilte die Institution am Montag in Washington mit.

In Kiew kam überraschend Michail Chordorkowski auf den Maidan. Der Kreml-Kritiker setzte ein Zeichen und fand auch nach zehnjähriger russischer Lagerhaft starke Worte: "Die russische Propaganda lügt wie immer."

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Karte Ukraine mit Regionen eingefärbt nach Anteil der russischsprachigen Bevölkerung sowie Anteil am BIP der Ukraine - Säulengrafik Grafik 0307-14-Ukraine.ai, Format 134 x 120 mm

Gerhard Schröder, der ja nicht nur als deutscher Ex-Regierungschef bekannt, sondern auch im Aufsichtsrat der Gazprom-Tochter Nord Stream AG tätig ist, hat am Sonntag die EU für den Krim-Konflikt mitverantwortlich gemacht: Die Union habe schwere Fehler gemacht, und zwar bereits vor Eskalation der Krise.

Man habe "nicht im Entferntesten kapiert (...), dass das ein kulturell gespaltenes Land ist und dass man mit einem solchen Land so nicht umgehen kann", so Schröder laut einem Bericht des Spiegel. Die EU-Kommission habe bereits am Anfang den Fehler gemacht, das Assoziierungsabkommen unter dem Motto "Entweder-oder" abschließen zu wollen, sagte Schröder im Rahmen einer Talkreihe der Zeit.

Völkerrechtlich nicht einwandfrei

Was Wladimir PutinSchröder soll mit ihm eng verbunden sein -, angeht, gab sich der deutsche Ex-Kanzler zurückhaltender: „Ob aber die Mittel, die eingesetzt werden, richtig sind, würde auch ich bezweifeln“, meinte er – und nannte das Vorgehen Russland einen Verstoß gegen das Völkerrecht.

Dennoch warnte er vor dem erhobenen Zeigefinger. "Weil ich es selber gemacht habe", so Schröder, auf die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg gegen Serbien verweisend. Für das, was derzeit auf der Krim passiere, sei der Kosovo „die Blaupause“. Putin selbst attestierte er „Einkreisungsängste" und die Motivation, Russland „groß und stark zu halten – auf Augenhöhe mit den USA“.

Krim-Flughafen besetzt

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A Ukrainian soldier is seen at a checkpoint at the road near a Crimea region border March 9, 2014. Russian forces tightened their grip on Crimea on Sunday despite a U.S. warning to Moscow that annexing the southern Ukrainian region would close the door to diplomacy in a tense East-West standoff. REUTERS/Viktor Gurniak (UKRAINE - Tags: POLITICS CIVIL UNREST MILITARY)
In der Krisenregion bleibt die Lage unverändert angespannt: Sonntagabend haben prorussische Kräfte erneut einen weiteren Militärflugplatz auf der Krim besetzt, rund 80 Bewaffnete in Militäruniformen haben eine Gruppe von 50 Zivilisten unterstützt, so ein Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Der Eingang zum Flughafen nahe der Ortschaft Saki sei blockiert worden, an der Landebahn hätten bewaffnete Posten Stellung bezogen.

Seit dem Sturz von Präsident Janukowitsch haben prorussische Kräfte zahlreiche strategisch wichtige Einrichtungen auf der Krim unter ihre Kontrolle gebracht - etwa der Militärflughafen Belbek und der zivile Airport in Simferopol. Die ukrainischen Soldaten haben keinen bewaffneten Widerstand geleistet. Die Halbinsel, die de facto bereits vollkommen von russischen Kräften kontrolliert wird, steht damit vor einer Zerreißprobe: Kommenden Sonntag sollen die 2,5 Millionen Bewohner der Region über einen möglichen Anschluss an die russische Föderation abstimmen.

Eigene moskautreue Armee

Im Zentrum der Krim-Hauptstadt Simferopol lässt der selbst ernannte moskautreue Regierungschef Sergej Aksjonow indessen bereits die ersten Mitglieder einer eigenen Armee vereidigen. In der Hafenstadt Sewastopol, wichtigster Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte, kam es am Sonntag zu ersten Schlägereien zwischen pro-russischen und pro-ukrainischen Demonstranten.

Kiews Wut über Krim-Referendum
Pro-Russian demonstrators ride on a motorcycle as they take part in a rally in Donetsk March 9, 2014. Russian forces tightened their grip on Crimea on Sunday despite a U.S. warning to Moscow that annexing the southern Ukrainian region would close the door to diplomacy in a tense East-West standoff. REUTERS/Konstantin Chernichkin (UKRAINE - Tags: POLITICS CIVIL UNREST)
Völlig bewegungsunfähig ist auch die ukrainische Marine auf der Krim. Die russische Marine versenkte einfach alte Schiffe vor den ukrainischen Anlegestellen – womit die ukrainischen Schiffe am Auslaufen gehindert sind.

Auch in der Ost-Ukraine steigen die Spannungen: In der Stadt Lugansk haben am Sonntag Tausende pro-russische Aktivisten den Sitz der Gebietsregierung gestürmt und den Gouverneur abgesetzt. Demonstranten seien in zahlreichen Bussen aus Russland über die nahe Grenze zu der Kundgebung gefahren, berichteten örtliche Medien. Gouverneur Michail Bolotskych war erst vor einer Woche vom pro-westlichen Interimspräsidenten Alexander Turtschinow eingesetzt worden. Nun musste er den Verwaltungssitz unter wüsten Beschimpfungen verlassen. Auf dem Dach hissten Aktivisten die russische Fahne.

Ukraine: Bilder aus einem gespaltenen Land

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