TV-Debatte in Brüssel: Elefantenrunde auf europäisch
Sechs Kandidaten, die sich Hoffnungen machen, den mächtigsten Job in der EU zu bekommen, hatten Mittwoch Abend einen unsichtbaren Gegner: den Zweifel, ob überhaupt einer der zwei Frauen und vier Männer auf dem Podium im Brüsseler EU-Parlament zum Zug kommen würde. Und ob die Entscheidung über den nächsten EU-Kommissionschef nicht doch ganz woanders fällt – nämlich unter den EU-Staats- und Regierungschefs.
Doch ungeachtet dessen stellten sich die europäischen Spitzenkandidaten für die EU-Parlamentswahl spät abends einer live in ganz Europa übertragenen "Elefantenrunde“. Viel Schwung kam nicht auf bei der eher starren Debatte. Diszipliniert und sachlich arbeiteten die Kandidaten mit jeweils einer Minute kurzen Redesequenzen die großen Themen der EU ab: Migration, Klimawandel, Nationalismus, Brexit und Jugendarbeitslosigkeit.
Klimawandel regte auf
Am emotionalsten dabei: Frans Timmermans, Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten. „Ich bin es leid, ständig zu hören, dass die Pensionisten und die Pendler leiden werden“, redete er sich in Rage über die Bedenken seines Kontrahenten Manfred Webers (EVP), rasch eine europäische Co2-Steuer einzuführen. Der Klimawandel, er geschehe jetzt, donnerte Timmermans, „und wenn wir jetzt nichts tun, dann werden wir alle leiden.“
Überhaupt bekam Weber die meisten Attacken seiner Kontrahenten ab. Der Spitzenkandidat der EVP geht als Favorit ins Rennen um den Kommissionspräsidenten-Job. Deutlich weniger Chancen, Kommissionschef Jean-Claude Juncker zu beerben, haben dagegen Timmermans und EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Die Dänin tritt aus einem Pool von sieben Kandidaten-Mitgliedern für die Europäischen Liberalen (ALDE) an.
Praktisch bei Null lagen hingegen schon vorab die Chancen für Grünen-Spitzenkandidatin Ska Keller (Deutschland) und den Linken Nico Cué (Belgien) sowie für den Tschechen Jan Zahradil (Europäische Konservative EKR). Letzterer stellte sich mit Brüssel-kritischen Forderungen öfter gegen seine fünf Mitbewerber. „Ich will eine flexiblere, dezentralisierte EU-Kommission, die die nationalen Regierungen mehr respektiert“, sagte Zahradil.
Worauf EU-Kommissarin Vestager konterte: Nur gemeinsam könne die EU die Herausforderungen der Zukunft schaffen. Das reiche vom gemeinsamen Asylsystem bis zur Klimapolitik.
Kein Thema war bei der „Elefantenrunde“ hingegen die von Kanzler Sebastian Kurz jüngst diagnostizierte „Regulierungswut“ der EU. Unverständlich findet diese Vorwürfe indes EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. „Ich finde, dass diese Anwürfe gegen die Europäische Union völlig daneben sind“, sagte Jucker in einem Interview mit dem Standard. Kurz hatte seine Attacken unter anderem mit der EU-Richtlinie zum Schutz vor krebserregenden Substanzen beim Braten von Schnitzeln begründete. Österreich habe der Richtlinie zugestimmt, sagte Juncker:„Für mich ist das ein Fall bewusster Schizophrenie.“
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