Wie viele Menschen kommen über Tunesien?
Laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex erreichten von Jänner bis März 2023 knapp 28.000 Menschen Europa über die sogenannte zentrale Mittelmeerroute – eine Verdreifachung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Ungefähr die Hälfte kam nach UN-Schätzungen über Tunesien, was eine Verzehnfachung gegenüber 2022 darstellt (damals war Libyen Transitland Nummer eins).
Neben Menschen aus Ländern wie Côte d’Ivoire, Guinea oder Pakistan sind es zunehmend tunesische Staatsbürger, die sich in die Boote setzen. Das liegt vor allem daran, dass Serbien Ende 2022 die Visafreiheit für Tunesier aufgehoben hat. Der zuvor oft genutzte Landweg in die EU ist seither verschlossen.
Wie lassen sich die Steigerungen noch erklären?
Ein Grund ist laut Experten der milde Winter, der mehr Überfahrten ermöglicht hat als sonst. Ein weiterer ist, dass Migranten aus Afrika und Nahost Alternativen zu Libyen als Transitland suchen, da dort (teils mit EU-Geldern) hart gegen illegale Migration vorgegangen wird.
Tunesien gilt als guter Ausgangspunkt, Sfax etwa ist nur 190 Kilometer von der italienischen Insel Lampedusa entfernt.
Was veranlasst Tunesier, ihre Heimat zu verlassen?
Die seit Jahren anhaltende Wirtschaftskrise, die einhergeht mit massiven Teuerungen, Lebensmittelknappheit und hoher Arbeitslosigkeit, beraubt viele Menschen jeglicher Perspektiven.
Gut ausgebildete Tunesier nehmen Jobs im Ausland an, andere versuchen ihr Glück mit illegaler Migration. In der EU dürfen sie zwar kein Asyl erwarten, eine Rückführung ist aber unwahrscheinlich. Aktuell gibt es kein entsprechendes Abkommen mit Tunesien.
Ist Besserung in Sicht?
Präsident Saied weigert sich, einen zur Abwendung des Staatsbankrotts nötigen Kreditvertrag mit dem Internationalen Währungsfonds über 1,9 Milliarden Dollar zu unterschreiben. Dieser ist an unpopuläre Reformen wie die Kürzung von Treibstoffsubventionen geknüpft, die Saied mit Blick auf mögliche Unruhen ablehnt.
Derweil steht dem Land eine neue Krise bevor: Angesichts großer Dürre fürchten Landwirte um die Hälfte ihrer Getreideernte.
Für Aufregung sorgten zuletzt auch Saieds rassistische Ausfälle gegenüber Migranten aus Subsahara-Afrika, die sich in Tunesien niedergelassen haben. Ende Februar machte Saied diese rund 20.000 Menschen (bei einer Einwohnerzahl von zwölf Millionen) für alle Probleme des Landes verantwortlich.
Die Folge waren Übergriffe, viele Betroffene verließen Tunesien.
Wie regiert die EU?
Derzeit unterstützt die EU die tunesische Küstenwache finanziell und technisch. Eine einheitliche Linie, was darüber hinaus getan werden könnte, gibt es nicht. Italien hat vorige Woche wegen der Migrationskrise einen sechsmonatigen Notstand ausgerufen und fordert Hilfe der anderen EU-Länder.
Diese Woche sorgte der Chef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, in der Bild-Zeitung mit dem Vorschlag für Diskussionen, mit Tunesien ein ähnliches Migrationsabkommen zu verhandeln wie 2015 mit der Türkei.
Auch wenn Webers Vorschlag, einen Flüchtlingsdeal mit Tunis auszuhandeln, nicht weiter verfolgt werden sollte, ist laut Beobachtern davon auszugehen, dass Geld fließen wird, um Migranten zu stoppen.
So hat Frankreich Tunesien bereits 250 Millionen Euro in Aussicht gestellt, sollte es den IWF-Kredit doch annehmen.
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