Türkei bombardiert auch Stellungen im Irak

Türkische Panzer nahe der syrischen Grenze
Gefechte bei Offensive "Olivenzweig". UN-Sicherheitsrat beriet sich in New York über die Militäraktion der Türkei in Syrien. Türkei will sich nicht mit Großnächten anlegen. Kurden machen mobil.

Bei der Militäroffensive der Türkei gegen kurdische Milizen im Nordwesten Syriens ist ein türkischer Soldat getötet worden. Er sei am Montagabend bei Gefechten ums Leben gekommen, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi am Dienstag unter Berufung auf die türkischen Streitkräfte.

Die von der Türkei am Samstag begonnene Offensive "Olivenzweig" zielt auf die mit den USA verbündeten kurdischen Volksschutzeinheiten YPG in der syrischen Enklave Afrin.

Türkei bombardiert auch Stellungen im Irak

Zeitgleich hat die türkische Luftwaffe Stellungen der Arbeiterpartei Kurdistans ( PKK) im Nordirak bombardiert. Die Angriffe in der nordirakischen Region Zap hätten sich gegen PKK-Kämpfer gerichtet, die Attacken auf türkische Sicherheitskräfte an der Grenze vorbereiteten, teilte die türkische Armee am Dienstag mit.

Demnach wurden mehrere Waffenlager zerstört. Die türkische Luftwaffe setzte unterdessen auch ihre Angriffe auf Stellungen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Afrin fort. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete heftige Kämpfe im Norden und Südwesten der Region; zudem hätten protürkische Rebellen eine neue Offensive im Nordosten Afrins gestartet, wo sie am Vortag gemeinsam mit türkischen Truppen den strategisch wichtigen Hügel Barsaja erobert hatten. Artilleriefeuer sei am Dienstag am Rande der Stadt Kamishli im Nordosten Syriens eingeschlagen, hieß es.

Die Türkei will bei ihrer Militäraktion im Norden Syriens nach Angaben von Außenminister Mevlüt Cavusoglu Gefechte mit syrischen, russischen und US-Soldaten vermeiden. Sie werde allerdings alles tun, was für ihre Sicherheit notwendig sei, sagte der Minister laut einem Fernsehbericht am Dienstag. Andernfalls stünde morgen die Zukunft der Türkei auf dem Spiel. "Wir fürchten uns vor niemandem, wir sind entschlossen, ... und wir werden nicht mit Ängsten und Bedrohungen leben", sagte der Minister.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hat eine Ausweitung der Militäroperation in Nordwestsyrien auf weitere kurdisch kontrollierte Gebiete angedroht. Die mit den USA verbündete kurdische Miliz YPG in der ostsyrischen Region Manbij feuere "ständig Störfeuer" ab, sagte Cavusoglu der Zeitung "Habertürk" vom Dienstag. "Wenn die USA das nicht stoppen können, werden wir das stoppen."

Kurdische Mobilmachung

Die Verwaltung in den von Kurden kontrollierten Gebieten Syriens riefen die Generalmobilmachung aus. "Wir fordern unser gesamtes Volk auf, Afrin und seine Würde zu verteidigen", heißt es in dem Appell. Die syrischen Kurden haben seit dem Beginn des Bürgerkriegs drei autonome Bezirke geschaffen, darunter Afrin im Nordwesten Syriens an der Grenze zur Türkei.

Der türkische Angriff auf Afrin richtet sich gegen die Kurdenmiliz YPG und die von ihr dominierten Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF), die von den USA unterstützt werden. US-Verteidigungsminister Jim Mattis warnte davor, die Extremistenmilizen "Islamischer Staat" (IS) und Al-Kaida darüber aus dem Blick zu verlieren. Außerdem bestehe die Gefahr, dass sich die katastrophale Lage vieler Menschen in Syrien weiter verschlechtere, sagte er am Rande eines Besuchs in Jakarta. Nach Informationen der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind Tausende auf der Flucht vor den Kämpfen in Afrin.

Kaum laute Kritik

Die Kritik Russlands, aber auch westlicher Staaten an der türkischen Offensive hält sich in Grenzen. Die meisten Staaten haben die türkische Regierung zur Zurückhaltung aufgerufen. Syrien hat den türkischen Angriff verurteilt. Die USA warnten, dass die Offensive dem IS und der Al-Kaida nutzen könnte, die nun nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit stünden. Außerdem würden die Kämpfe die Rückkehr von Flüchtlingen unterbrechen, sagte Verteidigungsminister Mattis. "Im Gebiet von Afrin waren wir an dem Punkt, wo humanitäre Hilfe floss und die Flüchtlinge zurückkamen", sagte er. Die türkische Invasion habe diese Entwicklung unterbrochen.

Die von den USA unterstützte und ausgebildete YPG sowie die SDF sollten eine Pufferzone an der Grenze zur Türkei bilden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan betrachtet die YPG aber als Ableger der international geächteten Kurdischen Arbeiterpartei PKK, die für Autonomie der Kurden in der Türkei kämpft. Eine von der YPG kontrollierte Zone an der türkischen Südgrenze ist für ihn inakzeptabel.

Die Türkei drohte auch mit der Vertreibung syrischer Kurden aus der überwiegend von Arabern bewohnten syrischen Stadt Manbij (Manbidsch) im Osten des Landes. Ein Angriff auf die Stadt könnte zu einer Eskalation des Konflikt mit der YPG führen. "Die Terroristen in Manbij feuern als Provokation ständig Schüsse ab", sagte Cavusoglu nach dem Bericht des TV-Nachrichtensenders Habertürk und fügte hinzu: "Wenn die Vereinigten Staaten sie nicht stoppen, dann werden wir sie stoppen."

Streit um zivile Opfer

Die oppositionsnahe Beobachtungsstelle, die sich auf ein Netz aus Aktivisten in Syrien stützt, gab die Zahl der Opfer seit Beginn der Kämpfe mit 58 an, darunter 26 kurdische Kämpfer, 25 protürkische Rebellen und sieben nicht identifizierte Tote. Laut den für Medien kaum überprüfbaren Angaben der in Großbritannien ansässigen Organisation wurden auch 22 Zivilisten bei der türkischen Offensive getötet. Die Türkei weist Berichte über zivile Opfer als "Propaganda" zurück und versichert, ausschließlich "Terroristen" ins Visier zu nehmen. Proteste gegen die Offensive in der Türkei werden gewaltsam unterdrückt, Kritik in den sozialen Medien wird von den Behörden verfolgt.

Auch am Dienstag wurden erneut dutzende Verdächtige wegen angeblicher "Terrorpropaganda" festgenommen. Wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu mitteilte, gab es insgesamt 42 Festnahmen in Städten wie Izmir, Van, Mersin und Mus. Bereits am Montag waren 24 Menschen unter ähnlichen Vorwürfen festgenommen worden. Human Rights Watch warf den Behörden vor, kritische Stimmen zum Schweigen bringen zu wollen.

Sicherheitsrat ohne gemeinsame Erklärung

Der UNO-Sicherheitsrat in New York hat am Montag über die türkische Offensive beraten, jedoch ein Ende der Militäraktion gefordert. Die Militäraktion sei "natürlich Teil der Diskussion gewesen", sagte der französische UNO-Botschafter François Delattre im Anschluss an die Beratungen hinter verschlossenen Türen. "Der Ruf nach Zurückhaltung wurde, glaube ich, in der Diskussion weitgehend geteilt", sagte Delattre. Eine gemeinsame Erklärung der Sicherheitsratsmitglieder gab es nicht. Die UNO-Botschafterin der USA, Nikki Haley, nahm nach Angaben aus Diplomatenkreisen nicht an den Beratungen teil.

Delattre verwies auf die "tragische humanitäre Situation, verursacht durch die Operationen des syrischen Regimes und seiner Verbündeten" vor allem in Idlib und Ost-Ghouta. Die Lage in Afrin sei jedoch nur ein Aspekt "der Situation in Syrien". "Oberste Priorität" müsse weiterhin der Kampf gegen den Terrorismus und vor allem gegen den IS haben.

Bereits vor der türkischen Offensive war geplant gewesen, dass der UN-Sicherheitsrat einen Bericht des UN-Nothilfekoordinators Mark Lowcock über die humanitäre Lage in Syrien anhören würde. Auf Antrag Frankreichs ging es auch um die türkische Offensive in Afrin sowie die syrische Offensive in Idlib und Ost-Ghouta.

Die türkische Armee lieferte sich am dritten Tag ihres Angriffs in der syrischen Region Afrin heftige Kämpfe mit den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Präsident Recep Tayyip Erdogan zeigte sich zugleich entschlossen, die Offensive zum Abschluss zu führen, und kündigte an, "keinen Schritt" zurückzuweichen.

Die türkische Offensive in Afrin ist brisant für die USA, da sie die YPG im Kampf gegen den IS unterstützen. Die Türkei dagegen betrachtet die YPG als syrischen Zweig der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und damit als Terrororganisation. Die PKK wird auch von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft.

Internationale Zeitungen kommentieren am Dienstag die Militäroffensive der Türkei gegen kurdische Truppen in Nordsyrien und die Rolle des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Syrien:

"Le Monde" (Paris):

"Warum geht (Präsident Recep Tayyip) Erdogan das enorme Risiko eines Flächenbrandes in der Region ein, wenn die Trümmer des 'Islamischen Staates' noch rauchen? Weil er um jeden Preis verhindern will, dass an der Grenze zur Türkei ein von Kurden kontrollierter Raum entsteht. Frankreich hat deshalb eine Sitzung des UNO-Sicherheitsrates einberufen lassen. Das Treffen ändert sicherlich nichts an der türkischen Offensive, aber damit wird zumindest klar, wie viele Unterstützer Erdogan hat. Die Bilanz ist schnell gezogen: Keine einzige Weltmacht steht hinter diesem unverantwortlichen Alleingang."

"El Pais" (Madrid):

"Der Einmarsch der Türkei in Syrien ist ein gefährlicher Zug von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Fern jeglicher Eindämmungsstrategie und gegen den Rat seiner Alliierten bei der NATO hat er in einseitiger Form eine kriegerische Eskalation eingeleitet, die gravierende negative Konsequenzen haben kann (...). Das NATO-Mitglied Türkei hat seinen Verbündeten den Rücken gekehrt und mit Russland direkt eine militärische Intervention außerhalb seiner eigenen Grenzen vereinbart. Es stimmt, dass die Situation gelinde gesagt verworren ist. Die YPG steht in Verbindung zur Arbeiterpartei Kurdistans PKK, die sowohl von Ankara als auch von der EU und den USA als Terrororganisation betrachtet wird. Aber sie hat auch bei der Bezwingung des 'Islamischen Staates' in Syrien eine entscheidende Rolle gespielt und dabei Unterstützung aus Washington bekommen. In diesem Kontext darf Erdogan den Krieg in Syrien nicht dazu ausnutzen, um ein militärisches Abenteuer zu starten. Er muss den Rückzug seiner Streitkräfte anordnen und die internationalen Grenzen respektieren."

"Times" (London):

"Sowohl die syrischen Kurden als auch die Türken wollen als Sieger des Syrien-Krieges behandelt werden. Doch dieser Krieg ist längst nicht beendet. Im Osten Syriens kämpfen regionale Mächte und deren Stellvertreter um die Kontrolle. Der Iran möchte einen Korridor quer durch Syrien und den Irak bis in den Libanon schaffen. Für viele im Nahen Osten ist das eine furchterregende Vorstellung, denn das wäre eine Herausforderung für Saudi-Arabien ebenso wie für Israel.

Obwohl mehr als eine halbe Million Syrer umgekommen sind, 5,4 Millionen ins Ausland flohen und 6,4 Millionen zu Vertriebenen im eigenen Land wurden, sind die Protagonisten noch immer nicht von all den Kämpfen erschöpft. Solange das so ist, hat Diplomatie kaum eine Chance. Dennoch muss die Türkei verstehen, dass das Anfachen der Glut eines sieben Jahre alten Krieges ihr weder Sicherheit noch Wohlwollen einbringen wird. Damit wird lediglich das Vertrauen von Verbündeten weiter untergraben, die glauben, dass die NATO-Partnerschaft von einem Autokraten mit einer nationalistischen Agenda missbraucht wird."

"La Repubblica" (Rom):

"Nun also mit der harten Linie - einem Militäreinsatz -, ohne in all den Jahren einen Weg des Friedens gefunden zu haben. Jede Verhandlung scheiterte. Und nun überqueren die Stiefel der türkischen Soldaten die syrische Grenze und brechen ein in den 'feindlichen' Winkel Afrin. Das Ziel: 'Die Terroristen stoppen', wie der türkische Präsident vor einigen Stunden angeordnet hat. Das Ergebnis: Um die 80 Tote (...), darunter auch eine Frau und zwei Kinder.

(...) Das türkische Staatsoberhaupt scheint wie immer zu allem entschlossen zu sein. Die Türkei werde nach dem Beginn der Offensive keinen Schritt zurückmachen. (...) Groß ist das Chaos unter dem Himmel des Mittleren Ostens. Aber klar sind die Feinde und die Obsessionen der Türkei."

"Verdens Gang" (Oslo):

"Die kurdische Miliz in Syrien, die (der türkische Staatspräsident Recep Tayyip) Erdogan Terroristen nennt, ist ein wichtiger Alliierter der USA und anderer westlicher Länder im Kampf gegen den IS. (...) Die Offensive kompliziert die Versuche, eine politische Lösung in Syrien zu finden. Sie lenkt Aufmerksamkeit weg vom Kampf gegen den IS und andere Extremisten. (...) In Erdogans Türkei gibt es immer weniger Raum für Dissens. Gleichzeitig steuert der Präsident mit offenen Augen in eine Konfrontation mit den Interessen der USA in Syrien. Die Türkei hat einen gefährlichen Kurs eingeschlagen, wenn interne Kritik kriminalisiert wird und Ratschläge von Verbündeten ignoriert werden."

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