Kurdenchef Demirtas: Erdogan hat Friedenschance vertan

Auch die breitere Opposition könnte ins Visier der Behörden geraten.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat nach Ansicht des Chefs der prokurdischen Opposition die Chance zur Beilegung des Konflikts mit der PKK vertan. Der gescheiterte Militärputsch von Mitte Juli hätte als Gelegenheit für eine Wiederbelebung des Friedensprozesses genutzt werden können, sagte der Co-Vorsitzende der Kurdenpartei HDP, Selahattin Demirtas, am Samstag.

"Aber Erdogan sieht die Krise nicht als einen Weg zur Demokratisierung." Zugleich äußerte er sich in dem Reuters-Interview besorgt, dass nach dem massiven Vorgehen gegen Zehntausende mutmaßliche Unterstützer der Putschisten auch die breitere Opposition zunehmend ins Visier der Behörden geraten könnte.

Nach dem Putschversuch hatte die Gewalt im überwiegend von Kurden bewohnten Südosten der Türkei vorübergehend nachgelassen. Doch weder der Staat noch die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans PKK schienen bereit, daraus Kapital für die seit 2015 brachliegenden Bemühungen um Frieden zu schlagen, sagte Demirtas. "Wir haben von keiner Seite irgendwelche positiven Signale erhalten, dass dies eine Gelegenheit für eine Lösung sein wird."

Kein Ende der Gewalt

Zum Wochenende flammte die Gewalt wieder auf. Nach Armee-Angaben wurden am Samstag 35 PKK-Rebellen getötet, als sie versuchten, einen Militärstützpunkt in der Provinz Hakkari zu stürmen. Bei Kämpfen am Freitag seien acht Soldaten getötet worden. Insgesamt wurden in dem seit mehr als drei Jahrzehnten anhaltenden Konflikt 40.000 Menschen getötet.

Die HDP ist die drittgrößte Kraft im Parlament. Sie weist Vorwürfe zurück, direkt mit der nach mehr Autonomie strebenden PKK in Verbindung zu stehen. Bereits vor dem Putschversuch hatte sich Erdogan erfolgreich dafür eingesetzt, dass ihren Abgeordneten die parlamentarische Immunität entzogen wird. Kritikern zufolge will er so versuchen, seine Machtbasis zu erweitern.

Auch nach dem Putschversuch am 15. Juli und der Verhängung des Aufnahmezustands am 21. Juli setzten die Staatsanwälte ihre rechtlichen Schritte gegen HDP-Abgeordnete fort. Demirtas etwa erhielt allein in der vergangenen Woche zwölf neue Vorladungen. Zu einem Gespräch zwischen Erdogan und anderen Parteichefs nach dem Putschversuch, das nationale Einheit signalisieren sollte, wurde er nicht eingeladen.

"Wir machen uns Sorgen, dass der Ausnahmezustand zunehmend gegen die wahre Opposition in der Türkei genutzt werden könnte", sagte Demirtas, der wie die Regierung die Bewegung um den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich macht.

Kommentare