Zwar habe Präsident Recep Tayyip Erdoğan in seinen mehr als zwanzig Jahren an der Macht die türkische Medienlandschaft weitestgehend unter seine Kontrolle gebracht, doch die wirtschaftliche Lage sei so prekär, "dass die Regierung trotzdem das Vertrauen eines Großteils der Bevölkerung verloren hat".
"İmamoğlu würde eine freie Wahl wahrscheinlich gewinnen"
Ekrem İmamoğlu hatte dieses Vertrauen bei den letzten beiden Kommunalwahlen 2019 und 2024 errungen. Er konnte weit mehr über die Stammwählerschaft seiner sozialdemokratischen CHP hinaus mobilisieren. Nun landete er in Untersuchungshaft – just in jener Woche, indem die Partei ihn zum Spitzenkandidaten für die nächsten Präsidentschaftswahlen ernennen wollte.
İmamoğlu wird Korruption und die finanzielle Unterstützung der als Terrororganisation verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vorgeworfen. Günay hält das für absurd: "Die Justiz hat in den letzten Jahren jegliche Glaubwürdigkeit verspielt. Sogar Erdoğan selbst hat jüngst Gespräche mit PKK-Vertretern geführt."
Stattdessen zeige der Vorfall auf, "wie skrupellos dieses Regime inzwischen vorgeht", so Günay: "Man versucht hier, einen Politiker auszuschalten, der unter freien Bedingungen wahrscheinlich die Wahlen gewinnen würde. Das ist ein Angriff auf die Demokratie und als ein Putsch der Exekutive zu bezeichnen"
CHP dürfte İmamoğlu trotzdem zum Spitzenkandidaten ernennen
Trotz aller Widerstände gingen am Donnerstag erneut Tausende Türken in allen größeren Städten des Landes auf die Straße. So dürfte es weitergehen, mindestens bis Sonntag, wenn die CHP İmamoğlu erwartungsgemäß trotz aller Widerstände zum Präsidentschaftskandidaten ernennen wird. Was dann geschieht, ist völlig offen.
„Die Empörung ist riesengroß“, so Günay, "aber sie muss jetzt kanalisiert werden. Eine geeinte Opposition muss Druck machen." Das sei die einzige Möglichkeit, die Entwicklung hin zu einem noch autoritäreren System aufzuhalten. "Die Verhaftung und Verhinderung İmamoğlus als Kandidat ist ein unfassbarer Einschnitt".
Erdoğan versucht, seine eigene Zukunft als Präsident zu retten. Für eine Verfassungsänderung, die dies ermöglichen soll, näherte er sich der PKK an – er hofft auf die Zustimmung der Kurden. "Ohne Demokratie gibt es aber auch keine Lösung für das Kurdenproblem".
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