Türkei-Konflikt heizt Wahlkampfendspurt in Niederlanden an

Wilders oder Rutte: Wer profitiert von diplomatischer Krise? Der Ausgang der Wahlen am 15. März ist völlig offen, gleich fünf Parteien haben die Chance, stärkste Kraft im Parlament zu werden.

Der diplomatische Konflikts mit der Türkei macht den Ausgang der niederländischen Parlamentswahl zu einer politischen Wundertüte. Wer profitiert bei der Wahl am Mittwoch von der Eskalation des Streits über Auftritte türkischer Politiker vor Auslandstürken in den Niederlanden - der islamfeindliche Populist Geert Wilders oder doch der liberal-konservative Ministerpräsident Mark Rutte?

Eine Umfrage zufolge steht eine breite Mehrheit der Niederländer zwar hinter Ruttes hartem Türkei-Kurs. Die gleiche Umfrage gibt jedoch keine klare Antwort, ob sich die aufgeheizte Stimmung für den seit 2010 amtierenden Rutte auch in Stimmen auszahlen wird.

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Kopf-an-Kopf-Rennen

Der Konflikt mit dem NATO-Partner Türkei macht den ohnehin interessanten Urnengang von knapp 13 Millionen Niederländern noch spannender. Den Wahlumfragen zufolge liefern sich die fünf größten Parteien ein Kopf-an-Kopf-Rennen; sie liegen lediglich fünf Prozentpunkte auseinander. Bis zuletzt gab die Hälfte der Wähler außerdem an, noch unentschlossen zu sein. Der Konflikt mit der Türkei kann zum Zünglein an der Waage werden - muss es aber nicht. Einer Umfrage des Instituts "Maurice de Hond" vom Sonntagabend zufolge finden 86 Prozent der Befragten Ruttes Türkei-Politik richtig. 77 Prozent geben aber auch an, der Konflikt werde ihre Wahlentscheidung nicht beeinflussen.

Uneins sind sich auch die Experten. Joop van Holsteijn von der Uni Leiden meint, Wilders könnte am meisten von dem Streit profitieren. Schließlich besetze der Populist, der alle Moscheen schließen und den Koran verbieten will, das Thema Migration und Ausländer. Dagegen rechnet etwa der politische Kolumnist Hans Gosling von der Zeitung "Trouw" damit, dass Rutte mit dem Verbot von Auftritten türkischer Politiker Stimmen gewinnen wird. Schließlich sammele sich in Krisenzeiten das Volk hinter der Regierung. Das Rätsel werden die Wähler lösen: Die Wahllokale schließen um 21.00 Uhr, danach folgen die ersten Hochrechnungen.

"Große Koalition" mit schlechten Chancen

Dass in den Niederlanden etwas in Bewegung kommen könnte, hatte sich bereits vor dem Türkei-Konflikt abgezeichnet. In einer Anfang März veröffentlichten Peilingwijzer-Umfrage, die mehrere Umfragen zusammenfasst, hatte sich Ruttes VVD erstmals seit Monaten mit 16,3 Prozent vor Wilders "Freiheitspartei" PVV geschoben, die nur noch auf 15,7 Prozent kam. Vorne mitspielen außerdem die Christdemokraten (CDA), die Linksliberalen (D66) und die GrünLinken (GL). Weil demnach keine der Parteien über 17 Prozent kommt, benötigt jede mindestens zwei Partner, um eine Regierung zu bilden. Für eine erneute große Koalition zwischen VVD und der Arbeitspartei (PvdA) dürfte es nicht mehr reichen.

Hinzu kommt, dass keine der Parteien bereit ist, mit Wilders zusammenzuarbeiten. Früher war das anders. So war Ruttes erste Minderheitsregierung von 2010 bis 2012 von der PVV toleriert worden. Rens Vliegenthart von der Uni Amsterdam rechnet deshalb, nach einer schwierigen Regierungsbildung mit einem Bündnis aus VVD, CDA, D66 - und möglicherweise den GrünLinken. Denn diese haben in dem von Wilders, aber auch von den anderen Parteien, angeheizten Ausländer-Wahlkampf die Wähler hinter sich versammelt, die sich ein weltoffenes Land wünschen. Den Umfragen zufolge könnten die GL ihre Mandate nun auf 16 vervierfachen. Derzeit verteilen sich die 150 Parlamentssitze auf elf Parteien.

Türkei-Konflikt heizt Wahlkampfendspurt in Niederlanden an
Dutch far-right politician Geert Wilders of the PVV party reacts as a dog barks at him as he campaigns in Valkenburg, Netherlands, March 11, 2017. REUTERS/Dylan Martinez

Türkei-Konflikt könnte Wilders helfen

Durch die Finger schauen könnte Wilders, der seit 20 Jahren zum politischen Inventar zählt und weiter keine Gelegenheit auslässt, gegen den Islam und die marokkanische Minderheit zu schimpfen, die er als "Abschaum" bezeichnete. Fünf Prozent der niederländischen Bevölkerung sind Muslime. An den Finanzmärkten sorgte die Aussicht, dass Wilders nicht an der Macht beteiligt wird, bereits für Entspannung. Aus Sorge vor einem Rechtsruck war der Renditeabstand zwischen zehnjährigen niederländischen und deutschen Staatsanleihen Anfang März noch auf ein Drei-Monats-Hoch gestiegen. In den vergangenen Tagen entspannte sich die Lage am Markt aber wieder merklich.

Mit dem Türkei-Konflikt hat der Wahlkampf nun allerdings ein unberechenbares Momentum zurückbekommen. "Die Wahrscheinlichkeit ist weiter hoch, dass wir am Donnerstag aufwachen, und Wilders' PVV die stärkste Partei geworden ist", warnte Rutte. Trump und der Brexit lassen grüßen: Eine Überraschung ist auch in den Niederlanden nicht undenkbar. Die Folge wäre wohl eine noch kompliziertere Regierungsbildung gegen einen erstarkten Wilders.

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