Merkels griechisches Kartenhaus

Bittere Wahrheiten: Kanzlerin Merkels Eurokurs.
Premier Tsipras stürzt Europa in die heftigste Krise. Merkel hat nur schlechte Optionen.

Die "militärischen Ehren", mit denen Kanzlerin Merkel am Montag erstmals den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras bei sich empfängt, standen einst nur Staatsoberhäuptern zu. Inzwischen hat sie das Abschreiten einer Bundeswehr-Formation als Schmeichelei für besonders schwierige oder liebe Gäste inflationiert. Ersteres ist Tsipras so sicher, wie er das zweite nicht ist. Der demonstrative Verächter konventioneller Umgangsformen wird der erste Abschreiter ohne Krawatte sein.

Auch im Politpoker spielt man mit Äußerlichkeiten, das wissen beide gut. Dass es in diesem um mehr geht als in jedem seit Einführung des Euro, wissen alle in Europa. Merkel wiederholte zwar nochmals am Donnerstag im Bundestag feierlich ihr Dogma : "Scheitert der Euro, scheitert Europa", doch ist es seit dem Antritt der Regierung Tsipras umstrittener denn je. Die beschönigt, anders als ihre Vorgänger, nicht mehr den Unwillen des Balkanlandes zu substanziellen Reformen: Auch bisher Gutmütigste in Berlin räumen nun ein, dass der Aufschub seines selbst verschuldeten Bankrotts und Ausscheidens aus dem Euro nur so lange funktioniert, als die anderen Länder unter Führung Deutschlands das Fass ohne Boden mit ihren Steuergeldern stopfen.

Das von Tsipras’ ruppigem Finanzminister Yanis Varoufakis nun doch frustrierte Berliner Finanzministerium addiert 320 Milliarden Euro Kredite und 90 Milliarden Euro Verbindlichkeiten im EZB-System: Das sind seit 2010 fast 40.000 Euro Subvention für jeden Griechen. Und so geht es wohl ungeniert weiter: Das dritte Hilfspaket schon im Sommer ist unausweichlich, wissen alle Politiker in Berlin.

Ernst genommen

Tsipras, der Rebell gegen jede Auflage der Geldgeber, sorgt nur für eine klarere Optik als seine Vorgänger. Auch mit seinen zwei letzten Trümpfen, mit denen er Berlin droht: Die Reparationsforderungen aus dem Weltkrieg werden hier ernster genommen als man zugibt. Der aktuelle Spiegel-Titel "German Übermacht" mit Merkel und Wehrmachts-Generälen vor der Akropolis ist davon nur die schrillste deutsche Resonanz. Nazi-Deutschland führte gegen 50 Länder Krieg: Griechenland als Vorreiter neuer, substanzieller Reparationen würde auch das stärkste EU-Land ruinieren. Schon die letzten Ideen russischer Nationalisten, deren Star Präsident Wladimir Putin ist, reichten dazu völlig aus.

Der ist auch Tsipras’ zweites As: Ließe die EU Griechenland fallen, droht der Linke mit ungenierter Blockade und Wende nach Moskau. Die Vorverlegung seines Besuchs dort auf die kommende Woche registriert nicht nur das Kanzleramt mit Sorge. Die Drohgeste wird auch in Washington verstanden. SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier wurde beim Kurztrip vorige Woche intensiv gewarnt: Angesichts Putins und des türkischen Autokraten Erdogans müsse Griechenland um jeden Preis in EU und NATO gehalten werden. Vor allem von dem Land, das an Rüstung besonders spart.

Angesichts dieser Szenarien und eines im Frankfurter EZB-Turm schon berechneten Ablaufs des "Grexits", des Griechenland-Euro-Austritts, hat Merkel eher schlechte Karten. Der noch beste Ausgang der heutigen Pokerpartie wäre, dass sie Tsipras wie seinen Vorgängern zumindest die Optik von Reformwillen abringt für die nächsten EU-Milliarden . Nur so kann Merkel im Bundestag ihre Union zum Absegnen des neuen Hilfspakets überreden. Dank linker und grüner Opposition und des Koalitionspartners SPD ist das zwar nicht gefährdet, wohl aber Merkels Autorität – auch in der EU. Ihr Poker-Einsatz steigt: Hasardeure beeindrucken Klugheit und Charme kaum. Und Protokoll gar nicht.

Vor dem Besuch des griechischen Regierungschefs Alexis Tsipras in Berlin werden weitere Details der mit Spannung erwarteten Reformliste bekannt. Demnach will die Regierungskoalition mit einem Mix aus Steuererhöhungen, Privatisierungen sowie Rückzahlungen von Steuersündern Geld in die leeren Staatskassen bringen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Montag aus Regierungskreisen in Athen. Darüber hinaus sollen Arbeitnehmer erst im Alter von 67 Jahren in Pension gehen können. Eine Pension mit 62 Jahren soll es nur für jene geben, die mindestens 40 Jahre lang gearbeitet haben.

Tsipras will nach Angaben aus Regierungskreisen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel seine Entschlossenheit demonstrieren, sich mit jenen Kreisen in Griechenland anzulegen, die seit Jahrzehnten Steuern hinterzogen und Günstlingswirtschaft betrieben haben. Die Steuerbehörden wollen in den kommenden Tagen alle Griechen, die Schwarzgeld ins Ausland überwiesen haben, aufrufen, sich beim Finanzamt zu melden. "Wir wissen, wer sie sind, und geben ihnen eine letzte Chance, sich zu retten", sagte ein hoher Beamter im Finanzministerium der Deutschen Presse-Agentur.

Tourismus wird teurer

Darüber hinaus will Athen die Mehrwertsteuer für Touristeninseln in der Ägäis erhöhen - wie beispielsweise Mykonos und Santorin. Auch für Hotels soll die Mehrwertsteuer steigen. Die Steuern auf Tabakwaren und Alkohol sollen angehoben werden.

Das Parlament in Athen hatte am späten Freitagabend zudem ein Gesetz verabschiedet, das Bürgern und Unternehmern mit Rückständen bei Steuerzahlungen und Zahlungen an die Sozialkassen erhebliche Erleichterungen gewährt. Sie können ihre Steuerschulden jetzt beispielsweise in hundert Raten zurückzahlen. Die Außenstände belaufen sich nach Angaben der griechischen Regierung auf 76 Milliarden Euro.

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