Tschechien vor Ausnahmezustand: Gesundheitsminister tritt zurück

Tschechien vor Ausnahmezustand: Gesundheitsminister tritt zurück
Adam Vojtěch legt nach Kritik am Krisenmanagement und Unstimmigkeiten mit Ministerpräsident Andrej Babiš sein Amt nieder.

Die "zweite Welle", von der Public-Health-Experten in Tschechien längst sprechen, hat ihr erstes politisches Opfer gefordert. Der tschechische Gesundheitsminister Adam Vojtěch hat am Montagfrüh wegen den dramatisch steigenden Corona-Neuinfektionen seinen Rücktritt angekündigt. Auf einer kurzfristig angekündigten Pressekonferenz erklärte er, er wolle den "Raum für eine neue Lösung der Corona-Situation" im Lands schaffen. Die Zahl der Neuinfektionen ist in den vergangenen Wochen im Nachbarland massiv angestiegen. Am Sonntag wurden Meldungen laut, dass der Ausnahmezustand verhängt werden könnte.

Laut EU-Gesundheitsagentur ECDC liegt Tschechien innerhalb der EU bei der Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner im 14 Tage-Schnitt mittlerweile an zweiter Stelle hinter Spanien. Daher wurde immer mehr Kritik an der Regierung von Regierungschef Andrej Babiš laut.

Babiš nahm den Rücktritt seines Parteikollegen am Montag mit "Verständnis" an und dankte ihm für die geleistete Arbeit. Vojtěch habe die erste Welle der Epidemie "unglaublich gut" gemeistert, erklärte Babiš im Kurznachrichtendienst Twitter. "Ich verstehe, dass es für ihn zu viel gewesen sein muss, dass er von Politik und Medien angewidert war und sich zum Rücktritt entschlossen hat", so der Regierungschef.

Bauernopfer?

"Wir haben alles dafür getan, unsere Bürger vor Infektionen zu schützen. Und ich wage zu behaupten, dass wir es in der ersten Welle sehr gut gemeistert haben", meinte auch Vojtěch bei seinem Rücktritt zuvor. Er sei überzeugt, dass er ein Maximum für die Lösung der Epidemie getan habe. "Ich muss mich nicht schämen", so der Politiker der populistischen Partei ANO.

Vojtěch hatte die Maßnahmen angesichts steigender Infektionszahlen bereits früher verschärfen wollen, Babiš stemmte sich zunächst aber dagegen. Die Opposition sprach daher von einem Bauernopfer vor den Regional- und Senatswahlen in weniger als zwei Wochen. Der Hauptschuldige sei der Regierungschef kritisierte die Chefin der liberal-konservativen Patrei TOP 09 Marketa Pekarova Adamova.

Dennoch begrüßte die konservative Opposition die Entscheidung Vojtěchs. Der Gesundheitsminister habe sich bereits am Beginn der Epidemie kompromittiert, sein Rücktritt erfolge daher "mit acht Monaten Verspätung", sagte der Vorsitzende der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) Petr Fiala.

Nachfolger steht bereits fest

Der Nachfolger steht bereits fest: Der Regierungsberater und Epidemiologe Roman Prymula wird neuer Gesundheitsminister in Tschechien. Präsident Milos Zeman werde Prymula am Montagnachmittag ernennen.

Prymula hatte sich zuletzt für die Ausrufung des Notstands in Tschechien ausgesprochen. Wegen des massiven Anstiegs bei den Neuinfektionen im nordöstlichen Nachbarland wird seit einigen Tagen über die Wiedereinführung des nationalen Ausnahmezustands debattiert. Innenminister und Vizepremier Jan Hamacek erklärte am Sonntagabend, dass dieser Schritt in den kommenden Tagen nicht erfolgen werde. Hamacek leitet den zentralen Krisenstab zur Bewältigung der Corona-Pandemie, der seit Montag wieder im Einsatz ist.

Maßnahmen wurden verschärft

Der 33-jährige studierte Jurist Vojtěch war in den vergangenen Wochen stark unter Druck geraten. Im August hatten Gesundheitsexperten bereits eine langsame präventive Verschärfung der Maßnahmen für den Beginn des Schuljahres am 1. September geplant. Das Gesundheitsministerium veröffentlichte auch eine diesbezügliche Verordnung, allerdings mischte sich Ministerpräsident Andrej Babiš persönlich ein und sorgte dafür, dass die Maßnahmen deutlich abgeschwächt wurden. Kritiker werfen dem Regierungschef vor aus wahltaktischen Gründen vor der Regional- und Senatswahl Anfang Oktober die Tschechen nicht verärgern wollte.

Was genau ein neuerlicher "Ausnahmezustand" bedeuten würde, ist derweil unklar. Vergangenen März hatte die tschechische Regierung unter anderem die Grenzen geschlossen, ein Ausreiseverbot verhängt und Besuche in Gefängnissen verboten. Restaurants und viele Geschäfte blieben geschlossen, es galt zudem eine allgemeine Maskenpflicht in der Öffentlichkeit.

Der am 12. März beschlossene Notstand endete am 17. Mai.

Weiterer Anstieg wird erwartet

In dem einst als Musterland im Umgang mit dem Coronavirus gelobten Nachbarland explodieren seitdem die Infektionszahlen. Mittlerweile wurden die Maßnahmen - darunter eine Maskenpflicht in Innenräumen - verschärft. In vergangener Woche hat Tschechien mit 10,7 Mio. Einwohnern wiederholte Tagesrekorde gemeldet. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen stieg über die Marke von 3.000. Am gestrigen Sonntag fiel die Ziffer auf 985, allerdings wird an den Wochenenden weniger getestet.
 

"Leider haben wir uns geirrt"

Kritiker nehmen es der Regierung übel, dass sich die Situation im Land so rasant verschlechtert. Im August hatten nämlich die Hygieniker eine mäßige präventive Verschärfung der Maßnahmen für den Beginn des Schuljahres am 1. September geplant. Das Gesundheitsministerium veröffentlichte auch eine diesbezügliche Verordnung, allerdings griff Babiš persönlich ein. Die Verordnung wurde deutlich gemildert. Kritiker meinen, dass Babiš offenbar die Wähler vor den Regional- und Senatswahlen Anfang Oktober nicht verärgern wollte.

Babiš gestand unlängst einen "Fehler" ein. "Im Juni hatten wir das Gefühl, dass das Coronavirus weg ist. Leider haben wir uns geirrt", sagte er und fügte hinzu, die Menschen hätten sich damals beschwert, dass die Regierung ihnen Maulkörbe anlegen wolle und dass Unternehmen beschränkt würden. Jetzt schreien jene am meisten, die früher nach Lockerungen gerufen hätten, so der Ministerpräsident vergangene Woche.

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