Tristesse des Alltags im Land am Nil

Tristesse des Alltags im Land am Nil
Präsident regiert mit eiserner Faust / Touristen bleiben aus / Die Menschen kommen kaum über die Runden.

Der ägyptische Machthaber Abdel Fattah al-Sisi räumt gründlich auf. Der Tahrir-Platz im Zentrum der Hauptstadt Kairo ist frisch begrünt, alles ist proper. Nichts erinnert mehr an den kurzen, anarchistischen Frühling der Hoffnung 2011, als Aktivisten dort tagelang campierten und den Sturz von Langzeit-Herrscher Hosni Mubarak herbeiführten. Sogar die Straßenverkäufer sind verschwunden, sie wurden von diesem symbolträchtigen Ort verbannt. Und um zu dokumentieren, dass jetzt scheinbar wirklich eine neue Ära begonnen hat, schickte der Präsident die Bagger zu Mubaraks ehemaliger Parteizentrale gleich neben dem Tahrir-Platz: Stockwerk für Stockwerk der Betonburg am Nil wurde abgetragen.

Alles neu und gut und unter Kontrolle nach den Wirren der Revolution sowie dem kurzen Zwischenspiel der islamistischen Muslimbruderschaft – so das Motto des ehemaligen Militärs al-Sisi. Doch die Realität sieht anders aus: Ein Großteil der mehr als 80 Millionen Ägypter kommt kaum über die Runden. Der Mindestlohn etwa für Lehrer beträgt umgerechnet rund 150 Euro. Allerdings muss man für ein Kilo Rindfleisch zehn Euro hinlegen. Ein Liter Milch kostet einen Euro, das ist immerhin das Vierfache von einem Liter Benzin, der weiterhin staatlich subventioniert wird.

"Menschen sind müde"

"Die Menschen schauen nur, wie sie überleben können, sie sind müde und haben keine Kraft mehr", sagt der bekannte Instagram-Blogger Karim el-Hayawan. Der 36-jährige Architekt, der 2011 auf dem Tahrir-Platz demonstrierte, später aber auch gegen die rigide Herrschaft der Muslimbruderschaft, ist ein scharfer Kritiker der aktuellen Machthaber, die einem die Luft zum Atmen rauben würden. Strenge Mediengesetze nehmen die Journalisten an die Kandare, Oppositionelle werden verfolgt. Jüngst erst wurde Amr Ali festgenommen, der eine zentrale Rolle beim Sturz Mubaraks gespielt hatte. Er, el-Hayawan, selbst sei noch nicht bedroht worden, aber einige seiner Freunde seien massiv unter Druck geraten, sagt der Intellektuelle.

Tristesse des Alltags im Land am Nil
Hammer und Sicherheit Kraftvoll führt Ahmet den schweren Hammer auf das glühende Eisen, das er mit einer Zange über dem Ambos hält. Vielleicht zwei Mal drei Meter misst seine Koje auf dem Kairoer Markt el-Saida Esha. Morgen wird der Schmied, der sein Handwerk wie vor Jahrhunderten ausübt, vielleicht eine Hacke verkaufen. "Inshallah" (so Gott will), wie er hinzufügt. Früher sei es besser gewesen, sagt der vierfache Familienvater, aber immerhin gebe es jetzt wieder mehr Stabilität als nach der Revolution. Glühende Hoffnung sieht anders aus.

Islamistische Zellen

"Die Regierung zieht ein strenges Regime hoch und argumentiert das mit dem Kampf gegen den Terror. Und für die meisten Menschen ist das auch okay", analysiert der Blogger. Tatsächlich haben sich Dschihadisten des "Islamischen Staates" (IS) auf dem Sinai festgesetzt, sie sind dort eine echte Herausforderung für die Armee geworden. "Und wir wissen, dass es islamistische Zellen auch in der Hauptstadt gibt", sagt Hebba Bakri, Besitzerin des bezaubernden Hotels Longchamps im Kairoer Stadtviertel Zamalek.

Dementsprechend sind die Sicherheitsvorkehrungen: Die Zufahrtsstraße vom Tahrir-Platz zum Parlament kann jederzeit mit schweren, hohen Eisen-Schiebetüren versperrt werden, die Volksvertretung selbst ist wie viele andere neuralgische Gebäude mit massiven Betonwällen abgeschirmt. In Hotels, touristische Hotspots, ja sogar in den bei Einheimischen so beliebten Al-Azhar-Park gelangt man nur durch Sicherheitsschleusen, wie man sie von Flughäfen kennt.

"Wir haben die Situation voll unter Kontrolle", versucht Khaled Ramy im KURIER-Gespräch zu beruhigen – bis zur Regierungsumbildung Mitte September war er Tourismusminister. Tatsächlich kam es zuletzt zu keinen größeren Anschlägen. Lückenlos ist das System dennoch nicht. So versuchten im vergangenen Juni drei Attentäter auf dem Areal des weltberühmten Karnak-Tempels bei Luxor zuzuschlagen, sie wurden von der Polizei erschossen. Bei Urlaubern zeigen solche Zwischenfälle allerdings Wirkung. "2010, also vor der Revolution, hatten wir 14,7 Millionen Touristen, im Vorjahr nur noch 9,9 Millionen", so Ramy. Durch den Einbruch von rund 30 Prozent seien die Einnahmen in diesem zentralen Wirtschaftszweig von zwölf Milliarden US-Dollar auf 7,5 Milliarden im Vorjahr gesunken.

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Vorbei die fetten Jahre Mit stumpfem Gesichtsausdruck sitzt Mamdouh vor seinem kleinen Laden im Souk (Markt) von Luxor. Wenn er heute fünf Tutanchamun-Sarkophag-Miniaturen verkauft, ist es schon viel. Denn die Gänge des Marktes, durch die sich früher die Massen schoben, sind fast leer, die fetten Jahre für die Händler, aber auch Reiseführer vorerst vorbei.

Die mittelägyptische Stadt hat es besonders schlimm erwischt. "Im Vergleich zu früher haben wir einen Rückgang von mehr als 90 Prozent", sagt Mohamed Badr, Gouverneur der Provinz Luxor, zum KURIER. In Zahlen: 2010 zählte man 1,5 Millionen Urlauber, die hier nächtigten, und dazu drei Millionen, die tageweise vor allem aus dem Badeort Hurghada anreisten. Im Vorjahr waren es insgesamt nur 150.000 bis 200.000. Für die örtliche Bevölkerung sei das eine Katastrophe, "leben doch 85 Prozent vom Tourismus", betont Badr.

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ägypten
Die Ursache des Rückganges bei Ägypten-Reisen sei nicht die mangelnde Sicherheit, "wir haben ein Problem in der Kommunikation mit westlichen Staaten, ein politisches Marketing-Problem, wenn man so will", meint der Regionalpolitiker. Er selbst will den so wichtigen Wirtschaftsmotor künftig mit verstärkter Werbung auf Instagram, Facebook und YouTube wieder ankurbeln. In der Zwischenzeit sitzen die unzähligen Kutschenfahrer Luxors auf ihren prächtigen Gefährten und warten auf Kundschaft. Meist vergeblich. "Morgen ist ein neuer Tag", tröstet sich Ahmet und tritt nach Sonnenuntergang die Heimreise an. Morgen wird er vielleicht ein paar ägyptischen Pfund einnehmen, hofft er, inshallah.

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