Terrorbekämpfung behindert Hilfe von Ärzte ohne Grenzen
Würde Marcus Bachmann in der nordnigerianischen Region unter Kontrolle der islamistischen Terrormiliz Boko Haram Zivilisten medizinische Versorgung anbieten, machte er sich strafbar. Ebenso müsste der Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen mit strafrechtlichen Folgen rechnen, wenn er Verwundete nach einem Anschlag aus dem Konfliktgebiet zur befestigten Stadt Damasak brächte.
"Ich habe bei meinen Einsätzen erlebt, wie Soldaten die Türen des Krankenwagens aufgerissen und meinen Patienten herausgezerrt haben, um ihn zu erschießen", berichtet Bachmann.
Das Anti-Terror-Gesetz in Nigeria zählt zu den strengsten der Welt. Jegliche Unterstützung, Kontakt zu Boko Haram wird verfolgt. Dazu zählt auch die Versorgung jener Zivilisten, die in besagter Region um den Tschadsee leben – und damit die Arbeit der Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen.
Ausgehebeltes Völkerrecht
Seit Ex-US-Präsident George W. Bush nach den Anschlägen des 11. September 2001 den "Krieg gegen den Terror" ausrief, so scheint es zumindest, rechtfertigt der Zweck die Mittel: Sicherheitspolitik gilt als oberstes Prinzip. Bestrebungen, Terrorbekämpfung in nationalen Gesetze zu verankern, gibt es zwar seit den 1960er-Jahren, doch während vor 2001 nur 31 von 193 UN-Staaten entsprechende Gesetze verabschiedet hatten, sind es mittlerweile mehr als 140.
Das Problem dabei: Anti-Terror-Gesetze hebeln das internationale humanitäre Völkerrecht aus. Menschen wird das Recht auf Hilfe abgesprochen, humanitäre Arbeit wird erschwert: Helfende würden als Unterstützer terroristischer Organisationen angesehen und erfuhren Bedrohung, Gewalt und Unterdrückung, heißt es in einem aktuellen Bericht von Ärzte ohne Grenzen.
Und zwar nicht nur in Ländern des globalen Südens. Auch in der westlichen, der "entwickelteren" Welt, schränkt die nationale Auslegung der Gesetze humanitäre Hilfe ein. Hätte Bachmann beispielsweise die südkoreanische Staatsbürgerschaft, müsste er laut nationalem Anti-Terror-Gesetz nach der Rückkehr aus Nigeria mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Ähnlich ist die Auslegung in zahlreichen EU-Ländern – trotz einer 2017 verabschiedeten EU-Richtlinie, die vorsieht, dass humanitäre Hilfe nach dem Völkerrecht von der Strafverfolgung ausgenommen ist.
Säumiges Österreich
Weder zum Beispiel die Niederlande noch Österreich haben laut Bachmann diese in der Richtlinie geforderte humanitäre Ausnahme ausreichend umfassend und robust umgesetzt. "Die Bundesregierung ist säumig, diese Richtlinie vollständig umzusetzen, und wurde bereits mehrere Male von der Kommission aufgefordert", erklärt Bachmann. Anders ist es seit Kurzem in der Schweiz: Dort wurde, obwohl das Anti-Terror-Gesetz zu den schärfsten seiner Art in Europa zählt, eine Ausnahmeklausel für humanitäre Arbeit im Gesetz verankert.
Genau das fordert Bachmann: eine verpflichtende Ausnahmeklausel für humanitäre Arbeit. Denn Fakt ist, dass diese heute mehr Menschen benötigen als nach dem Zweiten Weltkrieg.
Mehr als 235 Millionen Menschen sind laut des jüngsten Berichts des UN-Nothilfebüros auf humanitäre Hilfe angewiesen. Vor einem Jahr waren es noch knapp 168 Millionen – das ist eine Zunahme von rund 40 Prozent, die auch auf die Covid-19-Pandemie und deren Maßnahmen zurückzuführen ist.
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