Terror in Moskau: Putin gibt "radikalen Islamisten", aber auch Ukraine die Schuld
Der russische Präsident Wladimir Putin hat "radikale Islamisten" für den Angriff in einem Konzertsaal bei Moskau verantwortlich gemacht. "Wir wissen, dass das Verbrechen von radikalen Islamisten begangen wurde", sagte Putin am Montag bei einem im Fernsehen übertragenen Treffen. Aber die Schießerei passe in eine breitere Einschüchterungskampagne der Ukraine, ergänzte Putin demnach.
"Diese Gräueltat ist möglicherweise nur ein Glied in einer Kette von Versuchen derjeniger, die sich seit 2014 durch die Hände des neonazistischen Kiewer Regimes im Krieg mit unserem Land befinden", sagte Putin.
Vier Tatverdächtige
Mehrere Tage nach dem Terroranschlag bei Moskau mit mindestens 137 Toten richtet sich der Blick vor allem auf vier mittlerweile inhaftierte Tatverdächtige. Kremlsprecher Dmitri Peskow wollte sich am Montag zunächst nicht zu den schweren Verletzungen der Männer äußern, die auf Folter durch russische Sicherheitskräfte hindeuten.
Die russische Justiz verhängte am Montagnachmittag Untersuchungshaft gegen drei weitere Beteiligte. Das Basmanny-Bezirksgericht der russischen Hauptstadt traf diese Entscheidung, wie die Staatsagentur TASS berichtete. Damit befinden sich nun sieben Terrorverdächtige in Untersuchungshaft, unter ihnen die vier mutmaßlichen Todesschützen. Insgesamt waren nach dem Anschlag am vergangenen Freitag elf Verdächtige festgenommen worden. Die vier mutmaßlichen Haupttäter waren schon am Sonntagabend vor dem Haftrichter erschienen.
Zu den Hintergründen des Angriffs auf die Konzerthalle am vergangenen Freitag äußerte sich Peskow indes nicht. Er verwies stattdessen auf Informationen der russischen Strafverfolgungsbehörden. Bereits mehrfach für sich reklamiert hat den Anschlag die Terrormiliz Islamischer Staat. Westliche Sicherheitsbehörden und Experten halten das Bekenntnis für glaubhaft und vermuten den IS-Ableger Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) hinter dem Anschlag. Trotzdem behaupteten Putin und andere russische Vertreter ohne Vorlage von Beweisen, dass angeblich die Ukraine in das Verbrechen verstrickt sei. Die ukrainische Führung hat dies strikt zugewiesen.
Propaganda des Kremls
Entsprechende Zweifel wurden am Montag auch von der russischen Außenamtssprecherin Maria Sacharowa genährt. "Achtung - eine Frage an das Weiße Haus: Sind Sie sicher, dass es ISIS war? Könnten Sie darüber noch mal nachdenken?", schrieb Sacharowa am Montag in einem Beitrag für die Zeitung "Komsomolskaja Prawda". Die USA verbreiteten das Schreckgespenst des IS, um von ihren "Mündeln" in Kiew abzulenken.
Das Weiße Haus wies die Aussagen der russischen Führung zu angeblichen Verwicklungen der Ukraine als "Propaganda des Kremls" zurück. Putin und seine Kumpanen im Kreml versuchten, einen Weg zu finden, der Ukraine die Schuld zuzuschieben, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Montag in Washington. "Es gibt aber keine Verbindung zur Ukraine." Dies sei ein Anschlag, der von Kämpfern der Terrormiliz Islamischer Staat verübt worden sei, sagte Kirby weiter. "Punkt. Ende des Satzes, Ende der Geschichte - keine Verbindung zur Ukraine." Putin versuche nur, den anhaltenden Angriffskrieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen.
Anzeichen von Folter
Wegen der Tat waren vier Tadschiken in Untersuchungshaft genommen worden. Als die mutmaßlichen Täter am Sonntag von Polizisten und Geheimdienstlern ins Moskauer Basmanny-Gericht gebracht wurden, fielen sofort ihre schweren Verletzungen auf. Die Männer wiesen stark geschwollene Gesichter, Platzwunden und Blutergüsse auf. Ein Verdächtiger trug einen Verband über dem rechten Ohr, ein weiterer wies ein blaues Auge auf und hatte ein zerrissenes Plastiksackerl um den Hals. Ein anderer konnte nicht mehr selbst gehen und verlor Berichten zufolge zwischenzeitlich das Bewusstsein. In sozialen Netzwerken kursierten Videos, die zeigen sollen, wie die mutmaßlichen Attentäter gefoltert wurden und einem von ihnen gar ein Ohr abgeschnitten wurde. Drei der vier Verdächtigen hätten sich für schuldig erklärt, hieß es vom Gericht.
Kreml-Sprecher Peskow wollte sich am Montag nicht zu den zahlreichen Berichten über Folterungen durch russische Sicherheitskräfte. Zu einem Journalisten, der auf die im Gerichtssaal deutlich sichtbaren Verletzungen der Männer und auf Foltervideos hinwies, sagte Peskow lediglich: "Ich lasse diese Frage unbeantwortet."
Menschenrechtler verurteilten indes die mutmaßliche Folter der Tatverdächtigen durch russische Sicherheitskräfte. "Die Antwort auf Barbarei darf nicht Barbarei sein", teilte die russische Vereinigung "Komanda protiw pytok" (deutsch: Team gegen Folter) am Montag mit. Gewalt und Schikane wirkten sich zudem äußerst negativ auf die Ermittlungen aus, betonten die Aktivisten: "Wir haben immer gesagt und werden immer sagen, dass der Wert von Beweisen, die Sicherheitskräfte durch Folter erreichen, kritisch niedrig ist. Anstelle der Wahrheit sagt ein Mensch meist das, was diese Folter stoppen oder zumindest unterbrechen kann." Erzwungene Geständnisse könnte die Ermittlungen in eine ganz falsche Richtung führen.
Versagen der Geheimdienste
Das Quälen von Häftlingen erhöhe auch die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft, führten die russischen Menschenrechtler von "Komanda protiw pytok" aus. In Russland, wo Repressionen insbesondere seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine vor mehr als zwei Jahren stetig zunehmen, wird der Organisation zufolge immer wieder gefoltert - meist jedoch hinter verschlossenen Türen. "Dieses Mal wurden wir nicht nur Zeugen eines monströsen Terroranschlags, sondern auch öffentlicher Folter. Das ist eine Methode, um Menschen durch Angst zu lähmen und die gesamte Gesellschaft zu indirekten Gewaltopfern zu machen."
Leonid Wolkow, ein Vertrauter des kürzlich im Straflager gestorbenen Kremlgegners Alexej Nawalny, zeigte sich hingegen überzeugt davon, dass die Aufnahmen die Öffentlichkeit auf Anweisung von ganz oben erreicht hätten. Dass der Machtapparat seine eigene Grausamkeit so demonstrativ zur Schau stelle, sei neu, schrieb Wolkow im Nachrichtendienst Telegram. So solle wohl abgelenkt werden vom "Versagen der russischen Geheimdienste" vor dem Anschlag, sagte er.
Drei Tage nach dem Terroranschlag wurden immer noch 97 Verletzte in Krankenhäusern behandelt. Das teilte die Leiterin der Gesundheitsverwaltung im Gebiet Moskau, Ljudmila Bolatajewa, am Montag mit. Die Patientinnen und Patienten seien über Kliniken der Hauptstadt und des Moskauer Gebiets verteilt. Die erlittenen Verletzungen seien unterschiedlich schwer, sagte sie russischen Nachrichtenagenturen zufolge. Bei dem Anschlag waren nach letzter Zählung der Behörden 137 Menschen getötet und mehr als 180 verletzt worden. An einem improvisierten Gedenkort am Zaun des Geländes Crocus City legten trauernde Menschen weiterhin Blumen nieder.
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