Terrorakt oder Gewalttat? Zur Gefährdungslage in Deutschland

Die Zahl der islamistischen "Gefährder" ist mit rund 500 so hoch wie nie.

Es war nicht das Netzwerk des "IS", das die Terrorattacke in Würzburg ermöglichte. Es war allein die Idee, die Tat eines Einzeltäters. Denn dass der 17-jährige Afghane Riaz A., der Montagnacht vier Menschen schwer verletzte, tatsächlich Verbindungen zum "IS" hatte, gilt als äußerst unwahrscheinlich. (Mehr Infos zum Anschlag in Würzburg finden Sie hier)

Und doch: Von Amoklauf einer einzelnen verlorenen Seele zu sprechen, ist - soweit man es bisher weiß - wohl zu wenig. Die "IS"-Flagge, die die Behörden beim Angreifer fanden, weist darauf hin, dass es sich um einen einen islamistisch motivierten Terrorakt handelte. Eine selbtgebastelte Flagge der Terrororganisation als Zeichen der Selbstradikalisierung. Auch wenn in Deutschland bisher noch keiner davon sprechen mag: Die Attacke von Würzburg wäre der erste islamistische Terrorakt auf deutschem Boden seit Langem. Erst ein Mal kam es dabei auch zu Todesopfern. 2011 ermordete ein radikalisierter Kosovo-Albaner am Frankfurter Flughafen zwei US-amerikanische Soldaten.

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"Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern."

Angespannt ist die Lage schon seit Monaten. Höhepunkt der Hysterie: Der umstrittene Sager von Innenminister Thomas de Maizière auf der Pressekonferenz zur Absage des Fußball-Länderspiels Deutschland gegen die Niederlande vergangenen November. "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“, sagte de Maizière damals beruhigend - und erreichte damit das genaue Gegenteil. Hinter den Kulissen fahren die Behörden nach jedem Angriff in der direkten Nachbarschaft die Sicherheitsvorkehrungen hoch und prüfen die - enorm wachsende - Zahl an eingehenden Gefahrenhinweisen. Die Islamisten-Szene und "Gefährder" hat man dabei besonders in den Blick.

"Gefährder" sind dabei all jene Personen, denen die Polizei schwere Straftaten bis hin zu einem Terroranschlag zutraut. Viele werden erst so eingestuft, wenn sie sich schon aus Deutschland abgesetzt haben. Die Zahl der islamistischen "Gefährder" ist mit 501 (Stand: Juni 2016) so hoch wie nie. 253 von ihnen sind derzeit in Deutschland, 79 davon in Haft.

Vielfältige Gefahrenquellen

Gefahrenquellen gibt es viele: Rückkehrer aus Dschihad-Gebieten, Einzeltäter, die sich wie wohl der 17-jährige Afghane, der noch gestern Nacht von deutschen Sicherheitskräften gestellt und erschossen wurde, im Stillen radikalisieren und aus dem Nichts zuschlagen, Schläfer von Terrororganisationen - oder kleine Teams, die für einen Anschlag gezielt ins Land geschleust werden.

Bis Ende 2015 lagen der Behörde Erkenntnisse zu mehr als 780 Verdächtigen vor, die nach Syrien und in den Irak gereist sind, um sich dort der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" ("IS") und anderen islamistischen Gruppierungen anzuschließen.

Guido Steinberg, Terrorismus-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, wies in einem Interview mit dem Deutschlandfunk darauf hin, dass jedoch generell weniger junge Deutsche nach Syrien gegangen seien als junge Franzosen. Ein Grund sei auch, dass es in Deutschland weniger Nordafrikaner gebe. "Wir sehen ja, das dynamischste Element im europäischen Terrorismus der vergangenen Monate, das sind Nordafrikaner."

300 Anwerbeversuche durch Salafisten

Auch den in Deutschland aktiven Salafisten-Gruppen scheint es nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden bislang nicht gelungen zu sein, eine große Zahl muslimischer Flüchtlinge an sich zu binden. Bis Anfang Juli wurden 300 ganz konkrete Anwerbeversuche von Flüchtlingen durch radikale Islamisten registriert. "Sollten sich die Erwartungen der Flüchtlinge an ihr Leben in Deutschland langfristig nicht erfüllen, könnte dieses Risiko jedoch steigen", zitiert die dpa den Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang.

Und doch wähnte man sich in Deutschland vergleichsweise sicher. Mit Blick auf die Anschläge in Frankreich wurde gerne auf die hierarchisierte französische Gesellschaft hingewiesen, in der Immigranten nur wenig Chancen hätten. Deutschland sei allein schon deswegen weniger gefährdet. Ein Hinweis, der in Zukunft wohl nicht mehr so leichtfertig geäußert wird.

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