Zwei Jahre Taliban-Herrschaft in Afghanistan: Ein Folteropfer erzählt

Noch immer protestieren Frauen auf der ganzen Welt, hier etwa in Pakistan, gegen die Taliban-Machtübernahme in Afghanistan.
Im Sommer 2021 zogen sich die USA aus Afghanistan zurück, das ohnehin schon schwere Leben der Frauen dort verschlechterte sich noch einmal drastisch.

Zwei Jahre ist es her, dass der letzte US-Soldat nach der Taliban-Machtübernahme Afghanistan verließ. Tamana Zaryab Paryani musste Gräueltaten der Terrorgruppe am eigenen Leib erleben: In der Nacht des 20. Jänner 2022 brachen Männer der Taliban mit Äxten in die Wohnung der Frauenrechtsaktivistin ein, entführten sie sowie ihre drei jüngeren Schwestern.

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Was in den fast vier Wochen darauf mit ihnen geschah, werden die jungen Frauen wohl nie wieder vergessen können: Schläge, Stromstöße und Luftentzug bis kurz vor dem Erstickungstod waren nur ein paar der brutalen Foltermethoden, welche die Taliban gegen sie anwandten.

Glücklicherweise hatte Paryani den Überfall gefilmt und die Aufnahme an Freundinnen geschickt, das Video ging viral. Das dürfte eine große Rolle bei ihrer Freilassung und Flucht nach Deutschland, wo sie und ihre Schwestern bis heute leben, gespielt haben. Der KURIER erreichte die 25-Jährige per Videotelefonat.

KURIER: Frau Paryani, nach allem, was Ihnen widerfahren ist – wie geht es Ihnen heute, rund zweieinhalb Jahre später?

Tamana Zaryab Paryani: Nicht besonders gut. Ich werde diese 26 Tage niemals vergessen. Am schlimmsten ist für mich die Erinnerung daran, wie sie meine Schwestern misshandelt haben. Noch immer kann ich kaum darüber reden – auch, weil meine Familie neben mir sitzt und uns das retraumatisieren könnte. Was uns passiert ist, war schrecklich. Doch heute müssen Millionen Afghaninnen mit dem gleichen Schicksal leben. Es würde mir besser gehen, wenn das anders wäre.

Hatten Sie als Aktivistin damit gerechnet, dass Ihnen etwas zustoßen könnte?

Als ich meinen Kampf gegen die Taliban gestartet habe, war mir bewusst, dass ich in eine schwierige Lage kommen könnte. Dass sie auch meine Schwestern und unser Zuhause attackieren, dass sie uns alle gefangen nehmen und mich fast töten würden – damit hatte ich nicht gerechnet.

Was haben die Taliban in zwei Jahren an der Macht mit Afghanistan angerichtet?

Das Leben war für Frauen in Afghanistan niemals leicht, aber natürlich war es besser als heute. Jetzt existieren nicht mal mehr die wenigen Freiheiten, die wir damals hatten. Die Taliban haben die Frauen systematisch aus der Gesellschaft verschwinden lassen, ihnen alle Rechte genommen. Nicht nur wir, sondern die ganze Welt weiß, wie die Afghaninnen leiden: Wie sie geschlagen, bedroht, zwangsverheiratet werden. Wie die Terroristen sie töten und ihre Leichen auf die Straße werfen. Hätte ich damals das Video vom Überfall nicht verschickt, wäre ich heute vermutlich auch tot.

Macht der Westen genug, um die Frauen in Ihrem Heimatland zu unterstützen?

Wegen des Westens sind wir leider erst in diese Situation gekommen. 20 Jahre lang hat er unser Land unterstützt und wir haben gedacht, er ist unser Freund. Jetzt sehen wir, dass der Westen den Terroristen hilft und in Wahrheit unser Feind ist.

Was meinen Sie damit?

Taliban-Mitglieder können noch immer in der Welt herumreisen (Auch in die EU dürfen die Taliban nach wie vor reisen - als Gesamtheit unterliegen sie keinen Sanktionen, einige ihrer Mitglieder jedoch schon, Anm.) und erhalten von Medien die Möglichkeit, öffentlich ihre Ansichten zu teilen. Sie werden offiziell eingeladen und dürfen an Diskussionen teilnehmen. Der Westen muss jegliche finanzielle und politische Unterstützung an die Taliban stoppen und ihre Reisen unmöglich machen. Als Russland die Ukraine angegriffen hat, hat der Westen sich klar gegen Moskau gestellt. Wieso tut er das nicht auch gegen die Taliban?

Sie leben heute in Deutschland. Würden Sie in ein Afghanistan ohne Taliban zurückkehren?

Natürlich. Ich liebe Afghanistan und werde weiter für seine Freiheit kämpfen – egal, wo ich bin. In Deutschland mag ich mich sicherer fühlen, aber wir leben hier wie Gäste. Ich fühle mich, als wäre ich in einem Palast, und weiß, dass es nicht für immer ist.

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