Syrische Waffenruhe als Interpretationssache

Am Tag vor der Waffenruhe bombten russische und syrische Jets fast ohne Pause.
Ab Samstag dürfen nur noch Terrormilizen Angriffsziel sein. Hoffnung auf ersten Schritt des Friedensplanes.

"Die nächsten Tage sind entscheidend, und die Welt schaut hin": US-Präsident Barack Obama sprach am Freitag vor dem geplanten Inkrafttreten der Waffenruhe in Syrien (null Uhr Ortszeit, 23 Uhr MEZ) vor allem Russland ins Gewissen. Es müsse gewährleistet sein, dass das Bombardement eingeschlossener Städte aufhört und humanitäre Hilfe durchkommt.

Syrische Waffenruhe als Interpretationssache

Wer schon am Freitag "hinschaute", dem bot sich in Syrien ein fast erwartbares Bild: Kampfjets der syrischen und russischen Luftwaffe verstärkten in den letzten Stunden vor der Waffenruhe ihre gemeinsame, im vergangenen September begonnene Offensive gegen syrische Rebellen massiv: Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete mehrere Dutzend Luftangriffe auf Ziele in den Provinzen Idlib, Aleppo, Hama und Homs sowie im Umland von Damaskus. Dort warfen syrische Jets auf den Ort Daraja 48 der international geächteten Fassbomben ab. Das syrische Militär will unter anderen auch diesen Ort weiterbombardieren, weil dort Anhänger der islamistischen Al- Nusra-Front kämpften. Die ist ebenso wie der "Islamische Staat" von der Waffenruhe ja ausgenommen.

Hat die Waffenruhe unter diesen Vorzeichen eine Chance? Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie kam die Waffenruhe zustande?

Ende Oktober 2015 gab es bei der Wiener Syrienkonferenz eine grundsätzliche Einigung auf einen Friedensprozess, im November auf einen Friedensfahrplan (Gespräche zwischen syrischer Regierung und Opposition, Waffenstillstand, Übergangsregierung, Neuwahlen). Am 11. Februar schlug Russland einen Waffenstillstand ab 1. März vor, ein von der Syrien-Kontaktgruppe für innerhalb einer Woche beschlossener kam nicht zustande. Am Montag einigten sich die USA und Russland auf die aktuelle Waffenruhe.

Wer hat zugestimmt?

Die syrische Regierung und fast 100 Rebellengruppen, darunter das wichtigste Oppositionsbündnis und die Kurdenmiliz YPG, haben die Einhaltung der vorerst zweiwöchigen Waffenruhe angekündigt.

Syrische Waffenruhe als Interpretationssache
Wird sie halten?

Der Wunsch danach ist groß, und das Assad-Regime und Russland haben in den letzten Monaten so viele Fakten geschaffen (Gebiets-Rückeroberung, siehe Grafik), dass sie sich daran halten könnten. Allerdings sind wie erwähnt Al Nusra und IS ausgenommen und können weiter bombardiert werden (die Türkei hat angekündigt, weiter die Kurden anzugreifen) – Oppositionsgruppen fürchten, dass unter diesem Vorwand auch sie im Visier bleiben. In Daraja etwa sitzen laut Regime Al-Nusra-Kämpfer, laut Opposition nicht.

Was, wenn die Waffenruhe nicht hält?

Eine Arbeitsgruppe unter Leitung der USA und Russlands ist zur Überwachung der Waffenruhe vorgesehen. Wie gesagt, die Bewertung, ob sie hält, ist bis zu einem gewissen Grad Interpretationssache. Kippt sie völlig, dann ist der mühsam begonnene Friedensprozess gleichsam schon vor seinem ersten Schritt aus der Bahn geworfen. Die USA sprachen für diesen Fall von einem "Plan B" (Bodentruppen?), Russland hat davor gewarnt.

Was, wenn sie hält?

Dann dürften die Syrien-Verhandlungen am 7. März in Genf fortgesetzt werden. Mit der nächsten heiklen Frage: Die von Assad für 18. April ausgerufenen Parlamentswahlen kommen zu früh – der Friedensprozess sieht sie innerhalb von 18 Monaten, aber unter einer Übergangsführung vor.

"Schwierig und vielleicht sogar widersprüchlich", so nannte gestern Russlands Präsident Wladimir Putin den Aussöhnungsprozess, aber es gebe "keinen anderen Weg".

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