Jede Schulstunde ein Lichtblick
Als Heima schluchzte: „Ich wünschte, ich könnte sterben“, wusste die libanesische Psychologin Manal, dass ihr syrischer Schützling das Schlimmste hinter sich hatte. Die 14-jährige Heima begann endlich zu reden. Von dem Schuss, der ihrer Mutter das Bein zerfetzte. Von notdürftig genähten Wunden ohne Narkose und bei Kerzenlicht. Vom Bangen, ob die Mutter überleben würde und von der monatelangen panischen Angst, bis die syrische Familie endlich ihr umkämpftes Dorf verlassen konnte.
Doch auch im sicheren Beirut fand Heima lange keinen Frieden. Ihre Mutter ist gelähmt, der Vater blieb zurück in Syrien. „Immer, wenn ich mit ihr geredet habe, hat sie nur geweint, geweint, geweint. Heima konnte nicht sprechen“, erzählt Therapeutin Manal. Erst als das Mädchen einen vorübergehenden Schulplatz erhielt, bekam sie wieder Boden unter die Füße. Zusammen mit 150 anderen syrischen Flüchtlingskindern lebt die schmale 14-Jährige nun wieder ein Stückchen Normalität. Sie hat wieder zu lernen begonnen, zu zeichnen, Theater zu spielen und ein wenig Hoffnung zu schöpfen.
Doppelschichten
Unterstützt wird das jeweils sechsmonatige provisorische Schulprogramm vom Hilfswerk Austria International. Dessen Leiter im Libanon, Ghassan Akkary, sucht händeringend nach Möglichkeiten, die dringend nötige Hilfe für die fast alle schwer traumatisierten Kinder auszuweiten.
Denn immer mehr syrische Flüchtlinge strömen ins kleine Nachbarland. 1,3 Millionen Syrer hat der Zedernstaat aufgenommen. Bei nur vier Millionen Einwohnern bedeutet das: Jeder vierte Bewohner ist ein syrischer Flüchtling. Die Zahl der weit mehr als 500.000 syrischen Flüchtlingskinder hat bereits jene der libanesischen Kinder überschritten.
Nur knapp hunderttausend von ihnen fanden in libanesischen Schulen Platz, obwohl diese bereits in Doppelschichten unterrichten und aus allen Nähen platzen. „Auch wenn die Kinder hier nicht in eine reguläre Schule gehen können, sollen sie zumindest mit diesem vorübergehenden Programm in der Lage sein, später in Syrien wieder in die Schule gehen zu können“, hofft Akkary.
Leicht aber sei dies nicht, erzählt Fadia. Die Zeichenlehrerin im Jugendzentrum „Oase der Hoffnung“ arbeitet mit Kindern, die im umkämpften Syrien oft schon bis zu zwei Jahre lang keinen Unterricht mehr hatten. Gelernt hätten sie nur, was es heißt, Todesangst zu haben. „Jeder von ihnen hat miterlebt, wie Verwandte verletzt wurden oder gestorben sind“, schildert Fadia. „Wenn wir sie nicht wieder zurück in eine Schule holen, droht eine ganze Generation syrischer Kinder ihre Zukunft zu verlieren.“
Kinderarbeit
Für Tausende von ihnen aber stellt sich die Frage gar nicht. Sie müssen arbeiten, um zu überleben. Entlang der Straßen des mit Flüchtlingen überfüllten Beiruter Viertels Burj Hammoud reihen sich winzige Geschäfte und Handwerksbetriebe aneinander. In nahezu jedem von ihnen sind sie zu sehen: Kleine Mädchen und Buben, manche von ihnen keine zehn Jahre alt, wie sie Regale einräumen, Schuhe putzen, Metallteile säubern, den Müll aufsammeln.
„Ja, sie sind alle aus Syrien“, weiß Salha, während die vor einem Jahr aus Aleppo geflohene junge Lehrerin einen kurzen Blick auf eine kleine Tischlerei wirft. Dort quält sich ein schmächtiger Jugendlicher mit schweren Brettern auf seinen Armen durch den Staub der Werkstatt. Drei Dollar pro Woche lassen sich so verdienen.
„Für viele Flüchtlingsfamilien geht es nicht anders“, sagt Salha, „sie haben absolut gar nichts, sind auf jeden Dollar angewiesen und müssen ihre Kinder arbeiten schicken, und seien sie noch so klein.“ Die libanesische Polizei, sie sieht weg. Kontrollen staatlicher libanesische Behörden gibt es nicht. Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt sind Tür und Tor geöffnet.
Zumindest in dieser Hinsicht hat die 14-jährige Heima mehr Glück. Ihr 20-jähriger Bruder hat in Beirut einen Job in einer Fabrik ergattert und versorgt die Geschwister und ihre gelähmte Mutter. Für das Mädchen steht hingegen heute ein Lichtblick auf dem Unterrichtsprogramm – die Theater-Stunde bei Lehrer Elio.
Wochenlang hatte der gelernte Schauspieler mit seinen syrischen Schützlingen im Jugendzentrum der „Oase der Hoffnung“ gearbeitet, bis es gelang, „dass nicht immer alle weinen. Sie wollten alle erst erzählen, was sie an Schrecklichem erlebt haben. Erst langsam geht es besser, und sie erinnern sich, ohne sofort in Tränen auszubrechen.“
Jetzt hätten die Kinder andere Wünsche: „Am liebsten spielen sie Komödie“, erzählt Elio, selbst höchst erfreut. „Sie können es gar nicht mehr abwarten, bis wir wieder neue Sketche lernen.“
Ein Ende des Krieges in Syrien sei nicht absehbar, befürchtet Yezid Sayigh. Der Politologe vom Carnegie Middle East Center in Beirut sprach mit dem KURIER über ...
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