Syrien: Erste Wahl nach Ende des Assad-Regimes hat begonnen

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Syrien wählt am Sonntag das Parlament neu. Kritiker warnen vor einem Mangel an Demokratie.

Zusammenfassung

  • Erste Parlamentswahl in Syrien seit Ende des Assad-Regimes, jedoch mit eingeschränkter Beteiligung und starkem Einfluss der Übergangsregierung.
  • Kritik an mangelnder Demokratie und Repräsentativität, da Präsident Sharaa einen Teil der Abgeordneten selbst bestimmt und einige Regionen ausgeschlossen sind.
  • Wahl gilt trotz Mängeln als wichtiger Zwischenschritt nach dem Bürgerkrieg, internationale Beobachtung richtet sich auf Minderheitenrepräsentanz und künftige Reformen.

Zum ersten Mal seit dem Ende des Polizei-und Geheimdienstregimes des Assad-Clans wird in Syrien am Sonntag das Parlament neu gewählt - ein wichtiger Schritt für die politische Neuordnung des Landes nach Jahren des Bürgerkriegs. Kritiker warnen jedoch vor einem Mangel an Demokratie. Die Befürchtung, dass die Regierenden selbst einen starken Einfluss auf das Ergebnis behalten, ist groß.

Die Wahl hat in der Früh begonnen, landesweit wurden laut staatlicher Wahlkommission rund 50 Wahllokale eingerichtet. In der Hauptstadt Damaskus gibt es demnach nur ein einziges Wahllokal. Mit Ergebnissen wird am Montag oder Dienstag gerechnet.

Hier die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wie wird gewählt?

Es handelt sich um keine allgemeine Wahl, bei der alle Bürger abstimmen können. Vielmehr gibt es einen komplizierten Prozess in mehreren Stufen: Das "Oberste Wahlkomitee" der Übergangsregierung hat im Juni regionale Wahlgremien bestimmt, die im Anschluss Wahlleute aus einem Bewerberpool ausgewählt haben. Diese Wahlleute wählen dann die Parlamentarier aus ihren eigenen Reihen.

Für die Auswahl der Wahlleute wurden bestimmte Kriterien zur Voraussetzung gemacht. Dazu zählt unter anderem auch, dass 20 Prozent von ihnen weiblich sein sollen. Auch Vertriebene und Menschen mit Beeinträchtigungen sollen vertreten sein. Neben Akademikern müssen auch sogenannte traditionelle Würdenträger - wie etwa Stammesführer - vertreten sein. Anhänger der Assad-Regierung wurden nicht zugelassen.

Insgesamt sind rund 6.500 Wahlleute beteiligt, davon wurden 1.578 als Kandidaten zugelassen. Nach Behördenangaben sind 14 Prozent der Bewerber um einen Sitz im Parlament Frauen. Für die Repräsentation von Frauen oder etwa Minderheiten im Parlament wurden keine Pflichtquoten gesetzt. Mit Ergebnissen wird am Montag oder Dienstag gerechnet.

Das Verfahren wurde vielfach kritisiert. Es sei von persönlichen Interessen geleitet und befeuere Günstlingswirtschaft, hieß es aus der Bevölkerung.

Was sind Kritikpunkte?

Im neuen Parlament sollen 210 Abgeordnete sitzen. Allein ein Drittel davon soll von Präsident Sharaa selbst bestimmt werden. Unter Assad galten Wahlen in Syrien als Farce, die der Regierung einen demokratischen Anstrich geben sollten. Regelmäßig gewannen mehrheitlich Anhänger der herrschenden Baath-Partei und ihre Verbündeten Sitze im Parlament.

Beobachter sehen nun eine ähnliche Gefahr: Durch das von der Übergangsregierung festgelegte Verfahren könnte sich auch das neue Parlament zum Großteil aus Regierungstreuen zusammensetzen.

Die Übergangsregierung ihrerseits verweist als Begründung für ihr Vorgehen auf die Millionen Binnenflüchtlinge und Vertriebenen, von denen viele keine gültigen Ausweispapiere besitzen. Zudem sind große Teile des Landes verwüstet, Treibstoff und Strom knapp, ganze Städte zerstört. Unter diesen Bedingungen sei eine landesweite Abstimmung nicht durchführbar.

Wie repräsentativ ist die Wahl?

Der fast 14-jährige Bürgerkrieg in Syrien hat das Land tief gespalten. Aus Sicherheitsgründen, wie es von den Behörden hieß, wurde die Wahl in mehreren Provinzen verschoben. In der südlichen Provinz Sweida sowie in Teilen der nordöstlichen Provinzen Hasaka und Rakka solle sie zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden. Wie diese Gebiete im neuen Parlament vertreten werden, bleibt abzuwarten.

Die Provinzen Hasaka und Raqqa stehen unter der Kontrolle der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). In Sweida in Südsyrien ist die drusische Gemeinde beheimatet. Die Beziehungen der Kurden und auch der Drusen zur neuen Führung in Damaskus sind angespannt. Erst im Juli kam es in Sweida zu tödlichen Auseinandersetzungen zwischen drusischen Milizen und sunnitischen Stammesgruppen, die von der Regierung in Damaskus unterstützt wurden.

"Die bevorstehenden Wahlen lassen keine Anzeichen für einen echten Wandel in Syrien erwarten", sagte der SDF-Sprecher Farhad al-Shami der Deutschen Presse-Agentur. Das Vertrauen der Kurden in die neuen Machthaber sei gering.

Wie blickt die Bevölkerung auf die Wahl?

Syriens Bevölkerung blickt mit gemischten Gefühlen auf die Wahl. Nach Jahrzehnten einer autoritären Herrschaft hoffen viele auf einen ersten Schritt in Richtung Demokratie.

Andere üben Kritik. Das Wahlsystem basiere nicht auf Kompetenz, sondern auf persönlichen Kalkülen, sagte ein Anrainer in Aleppo. "Wir haben uns von der Einheitsliste der Baath-Partei befreit, nur um nun einer Kleingruppen-Politik zu verfallen", sagte Abdulaziz Khalaf. Weitere befürchten, Syriens Politik könnte ähnlich wie zuvor von Rivalitäten untereinander geprägt sein, bei denen qualifizierte Kandidaten ausgeschlossen würden, nur weil sie den falschen Gruppen angehörten.

Welche Bedeutung hat die Wahl trotzdem?

Trotz aller Mängel sehen Experten die Wahl als notwendigen Zwischenschritt nach mehr als einem Jahrzehnt Bürgerkrieg. International wird der Prozess - insbesondere mit Blick auf die Repräsentanz von Minderheiten - genau beobachtet. 

Ob in Syrien nun ein langfristig demokratischer Wandel in Gang gesetzt werden kann, hängt jedoch vor allem von künftigen Reformen und möglichen anschließenden freien Direktwahlen ab.

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