Radikal-Islamisten übernehmen immer mehr das Kommando

Islamist fighters carry their flag during the funeral of their fellow fighter Tareq Naser, who died during clashes on Sunday, near the village of Fafeen in Aleppo's countryside September 17, 2012. REUTERS/Zain Karam (SYRIA - Tags: CONFLICT)
Im Kampf gegen Assad gewinnen Extremisten die Oberhand. Ihr Ziel: Ein Gottesstaat.

Auf den Dach-Überresten des fünf Stockwerke hohen und völlig ausgebombten Hauses in der nordsyrischen Stadt Aleppo weht die schwarze El-Kaida-Fahne. Unten in den Kellerräumen haben die Dschihadisten der Al-Nusra-Front ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Bärtige Männer mit Stirnband und Kalaschnikow trotzen dort dem täglichen Beschuss durch syrische Streitkräfte.

Die Al-Nusra-Brigade ist nicht die größte Islamisten-Kampftruppe, aber eine der schlagkräftigsten. Und sie ist die radikalste. Erst jüngst kam es zum Zusammenschluss mit der El Kaida im Irak. Das Ziel der sunnitischen Extremisten, dessen Anführer sich klar zu Osama-bin-Laden-Nachfolger, Terror-Boss Ayman al-Zawahiri, bekennt („Wir folgen ihm in Wort und Tat“): Nicht nur der Sturz von Machthaber Bashar al-Assad, sondern die Errichtung eines Kalifats vom Zweistromland über Syrien bis zum Libanon. Dort soll die Scharia – der muslimische Rechtskodex – in seiner rigidesten Form zur Anwendung gelangen.

Damit hat zwar die Mehrheit der Syrer nichts am Hut, aber wenn es ums nackte Überleben geht, ist jede Hilfe willkommen. „Sie (die „Gotteskrieger“) sind Fanatiker, Terroristen. Aber das ist uns egal. Sie sind die Einzigen, die uns gegen den Schlächter Assad verteidigen. Sonst hilft uns ja niemand – weder die USA noch Frankreich oder Großbritannien“, sagt ein junger Mann einem ARD-Team.

Und so wird Al-Nusra immer stärker. Als die Miliz vor gut einem Jahr gegründet wurde, soll sie einige Hundert Kämpfer umfasst haben, heute ziehen 6000 bis 8000 Mann unter dem Al-Nusra-Banner in den „Heiligen Krieg“, darunter auch viele aus dem Ausland. Aus dem Irak, Algerien oder Libyen. Einige kommen auch aus Europa. Am Dienstag wurde bekannt, dass ein Islamist aus Deutschland getötet wurde. Es handelt sich um einen Sohn tschetschenischer Einwanderer.

Elite-Einheiten

In Syrien gelten die Dschihadisten als furchtlose Elite-Einheiten, die an vorderster Front stehen – mit Waffen, die von Saudi-Arabien und Katar finanziert und etwa über die Türkei ins Land geschmuggelt werden. In den von ihnen befreiten Gebieten organisieren die Extremisten auch das zivile Leben. Sie beliefern Bäckereien mit Mehl für Brot, setzen Stromleitungen wieder instand, sorgen für die Müllabfuhr, stellen Verkehrspolizisten auf, kanalisieren Saudi-Gelder an Spitäler, Arme und Obdachlose – und gewinnen so immer mehr gesellschaftlichen Einfluss.

Eine andere radikal-islamische Gruppe nennt sich Ahrar al-Sham. Mit ihren etwa 13.000 „Gotteskriegern“ ist sie der dominante Block innerhalb der „Syrischen Islamischen Front“ – einem Zusammenschluss von elf dschihadistischen Gruppen. Gemeinsam mit Al-Nusra kontrollieren die Islamisten schon weite Teile im Norden und Osten des Landes.

In Relation zu diesen Extrem-Islamisten sind die rund 37.000 Kämpfer der „Syrischen Islamischen Befreiungsfront“ fast schon gemäßigt – sie „begnügen“ sich mit einem „Gottesstaat innerhalb der Grenzen Syriens“.

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein österreichischer Außenminister ein Kriegsgebiet bereist. Und eigentlich dürfte es dort, wohin Michael Spindelegger Freitag fährt, gar keinen Krieg geben: In der entmilitarisierten Zone auf den syrischen Golan-Höhen ist außer den UNO-Blauhelmen – 375 aus Österreich – kein Militär zugelassen.

Doch der syrische Bürgerkrieg hat längst den Golan und damit auch die UNO-Soldaten erreicht. Zwar stehen sie nicht unter gezieltem Beschuss. Aber Granateinschläge der Armee und Feuer der Opposition werden an und in der Zone täglich registriert – vor allem im Norden nahe dem Dorf Jobatta. Das Feuer der syrischen Armee reicht dann auch schon mal bis zur Position 37 der Österreicher. Deren Patrouillen erfolgen nur noch in gepanzerten Fahrzeugen. Und auch das ist keine Garantie gegen den kriegerischen Alltag, wie die vorübergehende Entführung von 21 philippinischen Blauhelmen Anfang März durch syrische Rebellen zeigt.

Spindelegger will sich ein Bild der Lage machen und den österreichischen Soldaten in dieser Gefahrenlage bewusst Unterstützung zeigen. Er reist über das israelische „Gate A“ zum Camp Ziouani und der Ausbatt-Position 22, die beide noch auf israelisch besetztem Territorium liegen. Die übliche Einreise auf den Golan von Damaskus aus ist im Bürgerkrieg faktisch nicht möglich.

Die Botschaft, die er Israel und Syrien mitbringt – heute trifft er in Jerusalem mit Premier Benjamin Netanjahu zusammen – lautet: „Wir bleiben, so lange wir können, und werfen die Flinte nicht ins Korn“, wie Spindelegger dem KURIER sagte. Erst wenn sich die Situation verschärfe, müsse man „neu denken“. Sowohl Israel als auch Syrien hätten großes Interesse an einem Verbleib der UNO-Mission, die seit 39 Jahren Syrien und Israel auseinanderhält.

Und noch eine Botschaft hat Spindelegger im Gepäck: Österreichs Nein zu einem Ende des EU-Waffenembargos. Großbritannien und Frankreich würden die Rebellen in Syrien ja gerne beliefern. „Es mangelt dort sicher an vielem, aber nicht an Waffen“, heißt es im Außenamt – wenn das Regime einmal weg sei, blieben die Waffen dort. Und könnten sich in den Händen Radikaler gegen Israel richten.

Im Falle einer Aufhebung des Embargos sei die österreichische Undof-Teilnahme zu überdenken. „Eine Fortsetzung und Erfüllung des Mandats wäre sehr schwierig“, sagt Spindelegger. Das könnte nach dem Abzug der Japaner und Kroaten das Ende der UNO-Mission bedeuten.

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