Syrien: Kriegsende heuer ist "unrealistisch"

Für die Zivilisten ist Ost-Ghouta die Hölle
Waffenruhe hielt vorerst nicht / Russland kündigt humanitären Korridor an / Bischof ist äußerst skeptisch.

"Es ist höchste Zeit, die Hölle auf Erden zu beenden", sagte UN-Generalsekretär Antonio Guterres mit Blick auf den Bürgerkrieg in Syrien und speziell auf die 400.000 eingekesselten Menschen im Damaszener Vorort Ost-Ghouta. Denn von der vom UN-Sicherheitsrat geforderten 30-tägigen Waffenruhe war am Boden gestern nichts zu sehen. Im Gegenteil: Es wurde aus allen Rohren weiter gefeuert.

Wenigstens für die Eingeschlossenen in Ost-Ghouta zeichnete sich ein Silberstreif ab: Russland, das auf der Seite des syrischen Präsidenten Assad in den Krieg gezogen war und starken Einfluss auf den Machthaber hat, kündigte an, ab heute tägliche Feuerpausen zwischen 9 und 14 Uhr durchsetzen zu wollen – damit Zivilisten über einen humanitären Korridor die Rebellen-Enklave verlassen können.

"Hoher Level an Militäraktivitäten"

Der syrische, griechisch-orthodoxe Bischof von Wadi al Nasaraa bleibt aber skeptisch. Es gebe um Ost-Ghouta einen "hohen Level an Militäraktivitäten, die Aufständischen beschuldigen das Regime, sie ständig zu bombardieren, das Regime beschuldigt die Rebellen, Geschoße auf die Hauptstadt zu feuern", sagt Elias Toumeh, der sich anlässlich einer Konferenz des Zentrums für interreligiösen und interkulturellen Dialog mit Sitz in Wien in der Bundeshauptstadt aufhält. Assads Truppen hätten bereits große militärische Fortschritte erzielt, sie würden bis zum Sieg weitermachen.

Ein Ende der Kämpfe auf dem syrischen Schlachtfeld noch in diesem Jahr hält Toumeh für "unrealistisch". Wobei er weiß, dass letztlich nur eine politische Lösung zu Frieden führen könne, ein "Frieden, der alle Teile der syrischen Gesellschaft einschließt". Dass Christen stets aufseiten des Regimes standen und stünden, wie oft behauptet, relativiert der Bischof im KURIER-Gespräch: "Unsere Glaubensgemeinschaft ist keine homogene. Es gibt welche, die für Assad sind, andere sind gegen ihn". Regierungseinheiten kontrollierten jedenfalls wieder drei Viertel des Landes.

Kämpfe auch im Norden

Auch in Nordsyrien wurde am Montag intensiv gekämpft. Dabei erzielte die Türkei, die seit Jänner gegen die dortige Kurdenmiliz YPG vorgeht, laut Beobachtern große Geländegewinne. Auch Spezialkräfte kommen zum Einsatz. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte in einem Telefonat mit seinem türkischen Amtskollegen Tayyip Erdoğan die sofortige Einstellung der Offensive, weil die UN-Resolution für das gesamte syrische Territorium Gültigkeit habe. Bischof Toumeh sieht das ebenso, geht aber noch einen Schritt weiter. Wie Assad bezeichnet er die grenzüberschreitende Operation als "Okkupation".

Ankara hingegen spricht von einer Wahrung der eigenen Sicherheitsinteressen, die YPG sei eine Terrortruppe und werde von der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, die in der Osttürkei für Autonomie kämpft, unterstützt. Die von der UNO geforderte Waffenruhe schließe Afrin nicht ein – die Hauptstoßrichtung der türkischen Armee.

"Wieder im Mittelalter"

Und so erlebe die Zivilbevölkerung die "schlimmste Zeit seit Kriegsbeginn", wie Österreichs Chefdiplomatin Karin Kneissl gestern beim Rat der EU-Außenminister in Brüssel sagte. Ihr luxemburgische Kollege Jean Asselborn fand noch drastischere Worte: "Es ist eine Schande. Wir sind wieder im Mittelalter, tief im Mittelalter."

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