Erst Putin, jetzt Trump: Syriens al-Scharaa besucht Washington
Al-Scharaa zu Besuch bei Russlands Präsident Wladimir Putin. Derzeit läuft es für den Ex-Terroristen außenpolitisch gut.
Ende August 2014: Bärtige Gotteskrieger mit AK-47 stürmen den Grenzübergang Quneitra auf den Golanhöhen, verschleppen 45 fidschianische UN-Soldaten, belagern zwei Stützpunkte der UN-Mission UNDOF.
Später werden sie von einer irischen Eingreiftruppe zurückgeschlagen. Die 45 Soldaten sollen nur freigelassen werden, wenn die Organisation dieser Dschihadisten von der UN-Terrorliste entfernt wird. Ihr Name: „Jabhat al-Nusra“, eine al-Qaida-nahe Terrororganisation. Ihr Führer: Abu Mohammed al-Golani. Etwas mehr als zehn Jahre später ist er neuer Machthaber in Syrien, mittlerweile unter seinem echten Namen Ahmed al-Scharaa bekannt. Im Oktober besuchte er Russlands Präsidenten Wladimir Putin, vereinbarte Abkommen mit Russland. Im Hintergrund sollen Verhandlungen über ein Friedensabkommen mit Israel laufen, die Türkei ist sein enger Verbündeter. Und am Montag wird ihm US-Präsident Donald Trump einen fürstlichen Empfang im Weißen Haus bereiten.
Einflussreiche Familie
Wer ist der Mann, in den so viele relevante Mächte ihr Vertrauen setzen? Auf dessen Kopf die USA kürzlich noch zehn Millionen US-Dollar ausgesetzt hatten? Seinen Kampfnamen „al-Golani“ wählte er mit Bedacht: Al-Scharaa stammt aus einer angesehenen syrischen Familie mit Wurzeln auf den Golanhöhen; sein Vater Hussein galt als gebildeter, politisch meinungsstarker Ökonom.
Der Cousin seines Vaters war syrischer Außenminister unter Hafiz al-Assad. Al-Scharaa selbst radikalisierte sich in Aleppo, schloss sich mit 21 der „al-Qaida im Irak“ an, aus der 2006 der IS hervorging. Im Zuge seines Kampfs gegen die US-Truppen im Irak geriet er zeitweise in Haft, radikalisierte sich dort weiter.
Im Syrischen Bürgerkrieg kooperierte seine al-Nusra-Front (später Hayat Tahrir al Sham, kurz HTS) anfangs mit dem IS. Nach der „Spaltung“ verübten die zumeist aus dem Ausland stammenden Kämpfer schwere Kriegsverbrechen. Auch im Machtkampf mit anderen Islamisten, der ab 2017 in der Provinz Idlib ausbrach, kannte die HTS keine Skrupel, tötete zahlreiche Anführer anderer Gruppen und zwang diese unter ihren Schirm – dutzende Splittergruppen mit unterschiedlichsten Ideologien und Zielen.
Regime hinweggefegt
Zeitgleich experimentierte al-Scharaa dort in puncto politischer Verwaltung: Ministerien, Grenzregime, Investitionsanreize – er schaffte es, zumindest auf dem Papier eine funktionierende Regierung zu bilden, die allerdings ohne Hilfe der Türkei nie funktioniert hätte.
Lange schien es, als bleibe die Macht der HTS auf Idlib beschränkt, ehe die Kämpfer der HTS Ende November 2024 handstreichartig Aleppo eroberten – und innerhalb weniger Tage das marode Assad-Regime hinwegfegten. Golani wechselte Name und Kleidung, trat plötzlich im Sakko auf, mutmaßlich von westlichen PR-Agenturen dazu ermutigt.
Plötzlich sprach der radikale Islamist von Inklusion und gerechten Wahlen – ein Versprechen, das er bisher nicht einlösen konnte. Selbst wenn seine Absichten ernst wären – die Zehntausenden Gotteskrieger, die vor allem aus Zentralasien stammen, gelten als schwierig zu kontrollieren. Immer wieder kommt es zu Massakern an Minderheiten in Syrien. Etwa an den Alawiten in der Provinz Latakia oder Drusen in der südlichen Provinz Daraa. Dennoch ist man global der Überzeugung, dass es nur diese eine Chance gebe, Syrien zu stabilisieren.
Sanktionen aufgehoben
Vertreter europäischer Staaten hoffen, dass geflohene Syrer wieder zurückkehren und beim Wiederaufbau helfen, arabische Staaten sind froh, dass der Einfluss des außenpolitisch geschwächten Iran in Syrien massiv zurückgegangen ist, die Türkei kann ihre Ambition nach mehr Regionalmacht geltend machen. Russland „darf“ seine Stützpunkte in Syrien behalten und so weiterhin seine Rohstoffe aus und Waffen nach Afrika transportieren, die USA wiederum versuchen, Barrieren zwischen Israel und Syrien abzubauen. All das verleiht al-Scharaa ein Gewicht, das er derzeit zu nutzen versteht. Erst am Donnerstag hob der UN-Sicherheitsrat seine Sanktionen gegen den „Übergangspräsidenten“ auf.
Es ist zu erwarten, dass Donald Trump al-Scharaa weiter den Rücken stärken wird. Doch von „Inklusion und Stabilität“ ist Syrien noch weit entfernt.
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