Männer, die gefesselt am Straßenrand liegen, ehe sie einer nach dem anderen erschossen werden; Massaker an Frauen, Kindern, Menschen die anderen Glaubens sind. Syrien erlebte in den vergangenen Tagen eine Orgie der Gewalt, die an die unmenschlichen Exzesse der Terrormiliz „Islamischer Staat (IS)“ erinnert. Vor allem, da die Ermordungen live gestreamt, gefilmt und im Internet geteilt wurden. Mehr als 1.000 Menschen sollen von den Kämpfern der syrischen Übergangsregierung niedergemetzelt worden sein. Zuvor war die seit Monaten angespannte Lage in der syrischen Provinz Latakia eskaliert.
Lange Feindschaft
Wie es dazu kam: Im Dezember stürzte die Terrororganisation „Hayat Tahrir al Sham (HTS)“ unter Führung des aktuellen Machthabers Abu Muhammad al-Jolani, der sich seit der Machtübernahme Ahmed al-Sharaa nennt, das Assad-Regime und bildete eine Übergangsregierung, die das nach fast 14 Jahren Bürgerkrieg zerrissene Syrien einen sollte.
Vor allem in der Provinz Latakia ist das nicht gelungen – dort bilden die Alawiten eine große Gruppe, die unter Bashar al-Assad wichtige Regierungsämter innehatten. Und von denen einige als brutale Schergen des Regimes galten. Zehntausende Regimegegner wurden damals gefoltert, waren jahrelang unter unwürdigen Bedingungen eingekerkert. In den vergangenen Monaten häuften sich jedoch auch die oftmals willkürlichen Erschießungen und Entführungen von Alawiten durch Kämpfer der neuen Regierung.
Koordinierte Aktion
Am Donnerstag eskalierte die Situation: Ehemalige Assad-Kämpfer legten einer HTS-Patrouille einen Hinterhalt, eröffneten das Feuer. Kurz darauf griffen Alawiten in der gesamten Region zu den Waffen, beschossen Checkpoints, griffen Polizeistationen an.
Es soll sich um eine koordinierte Aktion, angeführt von ehemaligen Offizieren aus Assads Spezialeinsatzkräften gehandelt haben. In Sozialen Medien erklärten sie rasch, große Teile der Region in Besitz genommen zu haben – offenbar der Versuch, den raschen Vorstoß der HTS vom Dezember zu wiederholen. Mit fatalem Ausgang.
Willkürliche Massaker
Damaskus entsandte eine Vielzahl von HTS-Kämpfern und schweres Gerät. Man wollte offenkundig kein Risiko eingehen – oder aber ein Exempel statuieren. Die Kämpfe waren bis Freitagnachmittag größtenteils vorbei, die Assad-Anhänger geschlagen.
Sie versuchten nach der Niederlage, in Zivilkleidung unterzutauchen. Anlass genug für die HTS, alle Männer unter Generalverdacht zu stellen – und geradewegs auf offener Straße hinzurichten. Wie mittlerweile von einigen Quellen – auch der grundsätzlich assadkritischen „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ – berichtet wird, massakrierten die Islamisten der HTS auch Frauen und Kinder. Wohl auch Christen und Schiiten.
Wie viele, das ist nach wie vor unklar, doch mittlerweile soll die Opferzahl eintausend überschritten haben. Eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Regierung sei es, „das Vertrauen der Menschen in die Rechtsstaatlichkeit und das Justizsystem des Landes wiederherzustellen“, lässt Jolani immer wieder verlautbaren.
Doch seine Kämpfer waren nur gegen den Feind Assad eine Einheit. Die HTS umfasst Dutzende Terrororganisationen, die zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus Zentralasien oder Tschetschenien stammen. Sie kämpften jahrelang für einen islamischen Staat Syrien und können der Idee eines „inklusiven“ Syriens nichts abgewinnen. Dies ist nur einer von mehreren Gründen, warum dem Land ein weiteres Mal der Absturz in einen Bürgerkrieg droht. Mächte wie der Iran warten nur darauf.
Und im Nordosten schwebt eine türkische Offensive als Damoklesschwert über den Kurden.
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