Aleppo: Zivilisten werden nicht evakuiert
Im Ostteil der syrischen Großstadt Aleppo hat es am Morgen nach Berichten von Aktivisten und Beobachtern erneut Kämpfe und Artilleriebeschuss gegeben. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete von einer Explosion durch Artilleriebeschuss des syrischen Regimes auf Ost-Aleppo.
Dies sei ein klarer Bruch der Feuerpause, sagte der Leiter der Beobachtungsstelle, Rami Abdel Rahman. Aktivisten berichteten ebenfalls von Angriffen regierungstreuer Truppen. "Die Gefechte sind heftig und auch die Bombardements, es scheint dass alles (die Feuerpause) beendet ist." (USA beschuldigt Russland, mehr dazu hier)
Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete, syrische Regierungstruppen und mit ihr verbündete schiitische Milizen hätten die Waffenruhe durchbrochen. Sie hätten begonnen, den belagerten Teil mit schweren Waffen zu beschießen.
Gegenseitige Vorwürfe
Wie die russische Nachrichtenagentur Tass mit Verweis auf das russische Verteidigungsministerium meldete, hätten Rebellen versucht, die Belagerung der syrischen Truppen zu durchbrechen. Der Versuch sei zurückgeschlagen worden. Die Nachrichtenagentur Reuters hatte zuvor unter Berufung auf Rebellenvertreter und Augenzeugen berichtet, ein Beschuss durch die syrischen Truppen sei nach einer halben Stunde beendet worden.
Eine Vereinbarung zur Evakuierung der letzten von Rebellen kontrollierten Gebiete Aleppos wurde wegen Unstimmigkeiten ausgesetzt. Oppositionsvertreter machten den Iran und schiitische Milizen, die mit dem Regime von Bashar al-Assad verbündet sind, für die Verzögerung verantwortlich. "Die Iraner lehnen die mit Russland erzielte Vereinbarung ab und jetzt greifen sie uns an", erklärte der hochrangige Vertreter der Rebellengruppe Fastaqim, Zakaria Mahifyi, gegenüber der spanischen Nachrichtenagentur EFE.
Merkel fordert sofortige Waffenruhe
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eine sofortige Waffenruhe für Aleppo gefordert. "Es ist nicht zu spät das Blutvergießen zu verhindern", erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Am Vortag habe Merkel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert und sich dabei für eine Waffenruhe sowie den ungehinderten humanitären Zugang nach Ost-Aleppo eingesetzt.
Darüber hinaus mahnte die deutsche Bundesregierung eine landesweite Waffenruhe sowie die Wiederaufnahme innersyrischer Gespräche an. Nur so könnten Sicherheit und Stabilität wiederhergestellt werden. Seibert räumte ein, dass die syrische Führung um Präsident Bashar al-Assad kaum freiwillig dazu bereit sein werde. "Umso mehr sehen wir Russland und sehen wir Iran in der Verantwortung, das Regime Assads davon zu überzeugen."
"Aus verschiedenen Richtungen kommt es zu Störfeuer. Bisher konnten die Evakuierungen nicht vollständig stattfinden."
Die Türkei wirft der syrischen Regierung vor, die Waffenruhe in der umkämpften Stadt Aleppo nicht zu respektieren. "Wir sehen jetzt, dass das Regime und manche Gruppen versuchen, sie zu verhindern", sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Mittwoch in Ankara. Daher sei es zu Verzögerungen bei den geplanten Evakuierungen gekommen. "Aus verschiedenen Richtungen kommt es zu Störfeuer. Bisher konnten die Evakuierungen nicht vollständig stattfinden."
Unterdessen hat die Türkei angekündigt, eine Zeltstadt für bis zu 80.000 Flüchtlinge aus Aleppo aufbauen zu wollen. Der stellvertretende Ministerpräsident Mehmet Simsek gab das Vorhaben am Dienstagabend via Twitter kund, ohne allerdings Details zu nennen. Die Türkei beherbergt bereits rund 2,7 Millionen Flüchtlinge aus Syrien.
Widerstand aufgegeben
Die Rebellen hatten am Dienstag nach jahrelangen Kämpfen ihren Widerstand in Aleppo aufgegeben. Die Metropole befindet sich nach russischen Angaben nach einer Einigung auf einen Waffenstillstand wieder vollständig unter Kontrolle des syrischen Militärs. Die Aufständischen hatten angekündigt, die wenigen noch von ihnen gehaltenen Viertel im Osten der Stadt zu räumen. Alle eingeschlossenen Zivilisten würden in Sicherheit gebracht.
Sicherheitsexperten und Verteidigungspolitiker haben dem Westen vorgeworfen, zu spät und zu unentschlossen auf den Syrienkonflikt reagiert zu haben.
Der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sagte der Bild-Zeitung: "Man kann nicht die Absetzung eines Diktators fordern, dann die Hände in den Schoß legen und hoffen, dass er freiwillig abtritt: Mit dem Verlust seiner Glaubwürdigkeit hat der Westen auch die Fähigkeit verspielt, der syrischen Bevölkerung zu Hilfe zu kommen."
Erst reagiert, als Flüchtlingskrise aufkam
Der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, warf den Westmächten vor, erst reagiert zu haben, als aus dem Syrienkonflikt eine Flüchtlingskrise wurde. "Der Westen hat nicht nach Syrien geschaut, als es 250.000 Tote gab, sondern erst, als die ersten 10.000 Flüchtlinge kamen", sagte er der Zeitung. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), kritisierte, dass die Reaktion des Westens nicht abgestimmt gewesen sei. "Es hätte so etwas geben müssen wie eine gemeinsame Politik des Westens, ein gemeinsames Angebot an Russland zur Kooperation in der Luft und am Boden, die Entschlossenheit, notfalls alleine zu schützen und die Ankündigung, russischen Militäreinsatz mit wirtschaftliche Sanktionen zu beantworten", sagte Röttgen.
"Dieser symbolische Schritt (...) zielt darauf ab, erneut ans Gewissen der internationalen Gemeinschaft zu appellieren, dass dringend gehandelt werden muss."
Paris schaltet Eiffelturm-Beleuchtung ab
Als Zeichen der Solidarität mit den Bewohnern der umkämpften syrischen Stadt schaltet Paris am Mittwochabend die Beleuchtung des Eiffelturms ab. Die Lichter des Wahrzeichens der französischen Hauptstadt sollten um 20.00 Uhr erlöschen, kündigte die Stadtverwaltung an.
"Dieser symbolische Schritt (...) zielt darauf ab, erneut ans Gewissen der internationalen Gemeinschaft zu appellieren, dass dringend gehandelt werden muss."
Die ehemals wichtige Handelsmetropole Aleppo im Norden Syriens ist ein Symbol des seit mehr als fünf Jahren tobenden Kriegs in dem Land. Seit Mitte 2012 war die Stadt zwischen dem Regime von Machthaber Bashar al-Assad im Westen und verschiedenen Rebellengruppen im Osten geteilt. Seit diesem Sommer hat sich die Lage immer weiter zugespitzt.
Juli 2016: Syrische Regierungstruppen und ihre Verbündeten kappen bei einer Offensive die letzte Nachschubroute in die von Rebellen gehaltenen Stadtviertel und schneiden bis zu 300.000 Menschen von der Außenwelt ab.
August 2016: Rebellengruppen unter Führung von Islamisten durchbrechen den Belagerungsring und kämpfen einen neuen Versorgungskorridor in den Ostteil Aleppos frei.
September 2016: Syriens Armee und ihre Verbündeten schneiden mit russischer Luftunterstützung die neue Versorgungsroute ab und rücken im Süden Aleppos vor. Eine zwischen den USA und Russland ausgehandelte Waffenruhe scheitert eine Woche nach ihrem Beginn. Syrische und russische Luftwaffe fliegen die heftigsten Angriffe auf Ost-Aleppo seit Ausbruch des Konflikts 2011.
Oktober 2016: Der UN-Syriengesandte Staffan de Mistura warnt vor der völligen Zerstörung Ost-Aleppos bis Weihnachten. Rebellen lehnen das Angebot ab, während einer Feuerpause die Stadt zu verlassen. Sie versuchen mit einem massiven Raketen- und Granatenbeschuss des Westteils, ihre Belagerung durch Regierungstruppen zu durchbrechen.
November 2016: Syriens Armee erobert die von Aufständischen vorübergehend kontrollierten Gebiete im westlichen Aleppo zurück. Regimetruppen nehmen nach heftigen Kämpfen und Luftangriffen den kompletten Norden der von Rebellen kontrollierten Stadtviertel ein. Aktivisten sprechen von der "schwersten Niederlage der Rebellen, seit sie Aleppo 2012 eingenommen haben". Immer mehr Menschen sind auf der Flucht vor Zerstörung und Tod.
Dezember 2016: Regierungstruppen und ihre Verbündeten bringen immer größere Teile der Rebellengebiete in Ost-Aleppo unter ihre Kontrolle. Zu Zehntausenden fliehen Zivilisten aus den umkämpften Vierteln. Die Rebellen einigen sich mit dem Regime auf einen Abzug, der jedoch am 14. Dezember scheitert.
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