"Sultan" Erdogan lässt sich feiern
Vom Sesam-Kringel-Verkäufer aus ärmlichen Verhältnissen zum neuen "Sultan" der Türkei. Premier Recep Tayyip Erdogan, der am kommenden Mittwoch 60 Jahre alt wird, hat eine beeindruckende Karriere hingelegt. Nach Staatsgründer Atatürk ist er die prägende Persönlichkeit der Republik der vergangenen Jahrzehnte: Mächtig, mit Hang zum Autoritären; charismatisch, mit Hang zum Populismus; beliebt, mit Hang zur Selbstverliebtheit. Doch gerade jetzt zu seinem runden Geburtstag wird er von einem früheren Weggefährten herausgefordert – Erdogan kämpft den Kampf seines Lebens.
Wobei ihm dieses Metier nicht neu ist. Kampf war eine Konstante von Anbeginn. Um das Einkommen der Familie aufzubessern, musste er als Bub im Istanbuler Armenviertel Kasimpascha die köstlichen Sesam-Kringel und Limonade verkaufen. Um ein Haar wäre er später Imam geworden, sein Vater, ein Seemann, schickte ihn auf eine entsprechende Religionsschule. Doch aus dieser Karriere wurde ebenso wenig wie aus der eines Profifußballers – immerhin hatte der talentierte Kicker ein Angebot vom Erstligisten Fenerbahce. Sein alter Herr war dagegen, Erdogan landete in der Politik.
Instinktsicher
Ehrgeiz und Zielstrebigkeit zeichneten ihn aus, mit nur 41 Jahren wurde er Oberbürgermeister der Millionen-Metropole am Bosporus. Und dies auf dem Ticket des späteren islamistischen Premiers Erbakan. Instinktsicher löste er sich aber nach einigen Jahren von seinem früheren Mentor und gründete seine eigene Partei. Breiter aufgestellt – nach außen hin weniger frömmelnd und mehr wirtschaftsliberal – drangen Erdogan und seine AKP in die Mitte der Gesellschaft vor und eroberten 2002 erstmals die Macht.
Von da an krempelte der populäre neue starke Mann das Land um. Er leitete demokratische Reformen ein, suchte den Dialog mit den Kurden (wenngleich oftmals nur halbherzig) und trieb die Volksökonomie auf noch nie da gewesene Höhen. Zugleich besetzte er Schlüsselposten in Verwaltung und Bürokratie mit seinen islamisch-konservativen Gefolgsleuten. Und er legte sich in einem Kampf auf Biegen und Brechen mit dem Militär an, aus dem er als Sieger hervorging. Die Opposition hatte er bereits zuvor in Grund und Boden regiert.
Doch ohne Korrektiv und ernst zu nehmenden Gegner hob Erdogan im Laufe der Jahre ab. Kritik am "Sultan" wird nicht geduldet, Dutzende Journalisten sitzen im Gefängnis. Und die Proteste gegen ein Bauvorhaben am Istanbuler Gezi-Park (siehe unten) glaubte der Premier im vergangenen Sommer niederknüppeln zu müssen. Wie so oft, wenn er in Bedrängnis ist, machte er dubiose ausländische Kräfte für den "Putschversuch" verantwortlich, schloss die AKP-Reihen noch dichter und richtete die Partei noch stärker auf ihn aus. Auf riesigen Plakatwänden ist Erdogan jetzt gleichsam omnipräsent – auf seiner Brust steht Sağlam irade, fester Wille.
So richtig im Kampfmodus ist der Regierungschef, seit eine Korruptionsaffäre über einige seiner Minister Ende 2013 hereingebrochen ist. Enthüllt wurde der Skandal ausgerechnet von einem Netzwerk eines früheren Weggefährten – Fetullah Gülen. Der in den USA lebende Prediger hat Tausende seiner "Schüler" in staatstragende Positionen gehievt. Jetzt, nachdem die USA Stück für Stück vom türkischen Premier abrücken (wegen dessen Iran- und Israel-Politik), sahen sich die Gülen-Jünger offenbar stark genug, den scheinbar Unantastbaren herauszufordern.
"Säuberungswelle"
Doch es wäre nicht Erdogan, würde er nicht zu einer freilich umstrittenen Gegenoffensive blasen: In einer "Säuberungswelle" ließ er Tausende "verdächtige" Beamte im Polizei- und Justizapparat zwangsversetzen. Ob er damit durchkommt, ist bis dato noch nicht entschieden.
Sein großes Lebensziel ist es, 2023, zum 100. Geburtstag der Republik, nach wie vor die Staatsgeschicke zu lenken. Und dafür wird er kämpfen – mit allen Mitteln.
Während der Proteste gegen die Verbauung des Istanbuler Gezi-Parkes schlug ein Projektil, abgefeuert aus einem Helikopter, in seinem Schreibtisch ein. Manche meinen, es sei ein Schuss vor den Bug gewesen, weil der Präsident der Rechtsanwaltskammer der Bosporus-Metropole Sympathien für die Aktivisten hegte. Am Montag muss sich Ümit Kocasakal sogar vor Gericht verantworten. Die Anklage: Justiz-Beeinflussung.
"Dafür gibt es nicht den geringsten Beweis", sagt dazu seine Kollegin Banu Kurtulan, die für die Wiener Rechtsanwaltskammer den Prozess beobachtet, im KURIER-Gespräch, "ich rechne fest mit einem Freispruch."
In der Causa gehe es lediglich darum, die Istanbuler Kammer als ganze zu kriminalisieren. Die Rechtstaatlichkeit stehe auf dem Spiel, so die Juristin.
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