Schatten über der Insel der Seligen

Für die Südtiroler Schützen ist Italien seit jeher der Klotz am Südtiroler Bein. Die Südtiroler Volkspartei, die am Sonntag die absolute Mehrheit verlieren könnte, will die Autonomie sanft ausbauen.
Auch Italiens zweitreichste Region spürt die Krise. Hoffen auf den politischen Generationswechsel.

Süd-Tirol – viel zu schade für Italien“, „Vorrang den Italienern bei Arbeit und Wohnen“ – mit diesen Slogans buhlen kleine Lokalparteien um Stimmen. Doch sie haben kaum eine Chance gegen die omnipräsente Südtiroler Volkspartei (SVP), deren Wahlplakate in der Bozener Bahnhofsallee den Weg ins Zentrum säumen. Der Wahlsieger steht so gut wie fest: Der 42-jährige Arno Kompatscher gilt als wahrscheinlicher Nachfolger von Landespatriarch Luis Durnwalder, der nach 24 Jahren das Zepter übergibt.

Am zentralen Walther-Platz führt das Regionalfernsehen SDF in der milden Herbstsonne eine Wählerumfrage durch. Die Hoffnung auf frischen Wind durch den Generationenwechsel ist groß. Sogar SVP-Kritiker überlegen, den sechsfachen Familienvater Kompatscher zu wählen. „Ich hoffe, dass die Vetternwirtschaft aufhört. Natürlich wird es nicht leicht, in die Fußstapfen Durnwalders zu treten, der wie ein Monarch regierte und vor allem in den Tälern irrsinnig gut angekommen ist“, vermutet die Passantin Verena Pliger. Die SVP hat einen langen Kampf um die Autonomie Südtirols auf den Schultern. „Premier Letta ist sicher autonomiefreundlicher als Vorgänger Monti, der unter großem Druck von Europa stand“, so Pliger. Sie wünscht sich ein klares Abkommen, damit man „nicht wieder jeden einzelnen Punkt mit Rom verhandeln muss.“

Pleiten drohen

Denn die wirtschaftliche Lage hat sich auch in Südtirol, der einstigen „Insel der Seligen“, verschärft. Das BIP dürfte 2013 um 0,5 Prozent schrumpfen. Die Zahl der Arbeitslosen steigt auf 11.500. Im Bozener Stahlwerk wurden 15 Prozent der Jobs abgebaut. Erstmals muss man sich mit drohenden Firmenpleiten auseinandersetzen. Vor allem die Bau-und Transportbranche steckt in der Krise. Der Präsident des Südtiroler Unternehmerverbandes, Stefan Pan, warnt vor einem Steuerdruck von 68,3 Prozent und einer Bürokratie, die jährlich 73 Milliarden Euro verschlingt. Unternehmen stöhnen über steigende Kosten, verursacht unter anderem durch hohe Benzinpreise. Teile der Bevölkerung kämpfen mit hohen Lebenshaltungskosten: Mieten und Immobilienpreise erreichen Rekordhöhen.

Steuerautonomie ist ein weiteres Schlagwort im Wahlkampf. Rom soll künftig nicht mehr nach Belieben den Steuerhahn zudrehen können. Über lokale Steuern möchte Südtirol allein entscheiden. Aktuell versucht man Roms Rückstände einzutreiben. „Immerhin schuldet uns der Staat 1,5 Milliarden“, räumt Arno Kompatscher ein.

Von der Krise ist im eleganten Stadt-Café nichts zu spüren. Schick gekleidete Menschen in Anzug und Kostüm treffen sich auf einen Espresso, zum Aperitif und Zeitunglesen, plaudern auf Deutsch, Italienisch oder in einem Sprachengemisch. Italienischer mutet die Atmosphäre an, sobald man die Altstadt verlässt und die Talfer Brücke in Richtung Piazza della Vittoria überquert.

Signore Franco C., pensionierter Polizeiinspektor aus Apulien,beklagt, dass italienische Muttersprachler nach wie vor benachteiligt seien: „Bei der Vergabe von Gemeindewohnungen oder von Jobs ist das deutlich zu sehen.“ Faktum ist: Durch schwache politische Vertreter aufseiten der Italiener sind zentrale Ressorts in den Händen deutschsprachiger Politiker gelandet.

Mit steigender Armut ist Gemeindereferentin Christa Ladurner bei ihrer familienpolitischen Arbeit konfrontiert. Erstmals werden in Südtirol Sozialleistungen gekürzt. Kinderreiche Familien und Alleinerzieherinnen stehen unter Druck. Auch wenn das Land bei Kindergeld unter die Arme greift, reicht es nicht aus. Hinzukommt die Wohnungsnot: Der Kauf einer Eigentumswohnung belastet mit einem Schuldenberg auf 30 Jahre. Sobald es, wie bei jedem dritten Paar, zur Scheidung kommt, können die Kosten nicht mehr bewältigt werden. „Eklatant mangelt es an leistbaren Mietwohnungen“, berichtet Ladurner.

1919: Bis Ende des Ersten Weltkrieges war Südtirol ein Teil von Tirol und damit der österreichischen Habsburger Monarchie. 1919 wurde Südtirol im Friedensvertrag von Saint-Germain gegen den Wunsch der zu 90 Prozent deutschsprachigen Bevölkerung Italien zugesprochen.

Sehr bald wurde mit der Italianisierung des Landes begonnen, Diktator Mussolini trieb sie weiter voran: Der Gebrauch der deutschen Sprache in Schulen, in Ämtern und im öffentlichen Leben wurde verboten. Durch gezielte italienische Zuwanderung sollte die Italianisierung gefördert werden.

1939 schloss Hitler mit Mussolini ein Abkommen über die Umsiedlung der Südtiroler. In der durch italienische Zwangsmaßnahmen und deutsche Propaganda geförderten „Option“ entschieden sich 213.000 Südtiroler (86 % der deutschsprachigen und ladinischen Bevölkerung) für die deutsche Staatsbürgerschaft – und wurden gedrängt, auszuwandern. Bis 1943 wanderten 70.000 Südtiroler ab. Im September 1943 wurde Südtirol von Nazi-Truppen besetzt.

Schatten über der Insel der Seligen
1945: Nach Kriegsende forderten die Südtiroler einmütig die Rückkehr zu Österreich. Dies verlangte auch Österreich, wurde aber 1946 von den Alliierten abgelehnt. Rom und Wien handelten daraufhin das „Gruber-De-Gasperi-Abkommen“ aus. Südtirol wurden darin autonome Grundrechte zugesichert, Österreich wurde als Schutzmacht der Südtiroler Bevölkerung anerkannt. Doch die Umsetzung des Abkommens wurde jahrelang verzögert, der Zuzug italienischer Arbeitsmigranten weiter vorangetrieben. Der Unmut der deutschsprachigen Bevölkerung wuchs. Der damalige österreichische Außenminister Bruno Kreisky brachte die Südtirol-Frage vor die UNO.

Bomben: Radikale Südtirolaktivisten, die für eine Loslösung Südtirols von Italien kämpfen, verübten zahlreiche Bombenanschläge (im Volksmund „Bumser“ genannt) . Von 1956 bis 1988 wurden 361 Anschläge registriert, 21 Menschen kamen dabei ums Leben. Nach jahrelangen Verhandlungen wurde 1972 schließlich das Zweite Autonomiestatut für Südtirol abgesegnet, das der Region endlich volle Autonomierechte zusichert. 1988 wurden die Autonomie noch ausgeweitet - Südtirol kann sich seither auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet voll entfalten.

Schatten über der Insel der Seligen
Schatten über der Insel der Seligen
Italien, S??dtirol, Bozen, Gesch?§ftsstra?üe, Verkauf, Gem??se, Passanten, no model release!Europa, S??deuropa, Repubblica Italiana, Norditalien, Alto Adige, Stadt, Bolzano, Provinzhauptstadt, Stadtteil, Seitenstra?üe, Stra?üe, Markt, Stra?üenverkauf, Lebensmittel, Nahrungsmittel, Fu?üg?§nger
1992:Offizielle Streitbeilegungserklärung zwischen Österreich und Italien. Seither gab es allerdings immer wieder diplomatische Interventionen Wiens in Rom – vor allem, als im Zuge von Verfassungsreformen die Südtirol Autonomie beschnitten werden sollte. Heute gilt Südtirol als eines der weltweit erfolgreichsten Modelle für eine Autonomie.

Die Bozenerin Ulli Mair ist seit 2012 Obfrau der Südtiroler Freiheitlichen. Mit dem KURIER sprach sie über

... SVP-Spitzenkandidaten Kompatscher Die SVP ist Diskussionen aus dem Weg gegangen, dann wäre ja das Bild vom Spitzenkandidaten Kompatscher, der alles neu macht, ramponiert worden. Kompatscher hat ja gezielt keine Inhalte geliefert, er war doch schon jahrelang an allem beteiligt, was in Südtirol an Machenschaften, Vetternwirtschaft gelaufen ist. Nach 60 Jahren Alleinherrschaft reicht es nicht, nur das Gesicht vorne auszutauschen.

... Machtmissbrauch Es geht darum, das System Südtirol aufzubrechen, die Machenschaften in der öffentlichen Verwaltung, die Vetternwirtschaft, den Postenschacher. Die undurchsichtigen Beziehungen reichen ja bis hinauf in die höchsten Etagen der Justiz. Das hat ja eine unglaubliche Verschwendung von Steuergeld verursacht

... Autonomie Die SVP redet ja immer nur vom Ausbau der Autonomie, aber unternimmt nichts. Sie packelt ständig mit der Linken in Rom, darum wird nie was aus dem Ausbau der Autonomie. Wir brauchen endlich wirkliche Steuer- und Finanzhoheit. Das heißt, wir legen die Steuern fest, nicht Rom.

... Unabhängigkeit Die Frage ist doch, was passiert mit Südtirol, trauen wir uns einen eigenen Weg zu gehen, oder gehen wir mit Italien unter. In diesem Staat haben wir langfristig keine Zukunft. Wir wären für eine Volksabstimmung nach den Landtagswahlen, am besten im Rahmen der Europawahl. Man kann Selbstbestimmung aber nicht als Wahlkampfgag missbrauchen. Die Schützen (veranstalteten Referendum im Alleingang) machen sich’s da zu leicht.

15 italienische Regierungen hat Luis Durnwalder er- und politisch überlebt. Und wenn der heute 72-jährige Landeshauptmann über sein knappes Vierteljahrhundert im Amt spricht, dann verweist er stolz auf die politische Kontinuität in Südtirol.

Doch in dieser Kontinuität stecken auch Gefahren: Erstarrung, Machtkonzentration, unweigerlich gepaart mit Missbrauch. Erfahrungen, die man in der zweitreichsten Region Italiens (nach der Lombardei) in den letzten Jahren mehr als genug gemacht hat. Korruptionsskandale, allen voran jener um die landeseigene Energiegesellschaft haben das Vertrauen in die SVP erschüttert. Durnwalders Landesvater-Stil, Geldmittel nach eigenem Gutdünken an seine politischen Vertrauensleute zu vergeben, sorgte für wachsende Empörung. Ziemlich unvorbereitet stolperte die SVP in eine Nachfolge­debatte, die schließlich nur durch eine Urabstimmung beendet werden konnte. Der 42-jährige Arno Kompatscher, der jetzt als Spitzenkandidat in die Landtagswahlen geht, ist zwar ein neues Gesicht, ob er allerdings neue politische Konzepte hat, ist vorerst unklar.

Zumindest in der politischen Existenzfrage Südtirols, der Autonomie, bleibt die SVP vorerst auf ihrem bewährten Kurs: Vorsichtiger weiterer Ausbau der Autonomie. Neue Kompetenzen, etwa bei Steuern oder Polizei, werden dem hochverschuldeten Italien in zähen Verhandlungen abgekauft.

Der politischen Opposition von rechts ist das zu wenig. Die Freiheitlichen (siehe Interview) als zweitstärkste Partei im Landtag sehen die Unabhängigkeit Südtirols zumindest als langfristiges Ziel und peilen eine Volksabstimmung an. Noch radikaler die Südtiroler Freiheit, politischer Arm der Schützenverbände, die so rasch wie nur irgendwie möglich „Los von Rom“ wollen. Beide kritisieren die Zusammenarbeit der SVP mit der italienischen Linken. Die aber könnte die SVP, falls sie erstmals die absolute Mehrheit verliert, als Koalitionspartner brauchen.

Kommentare