Südtirol hat ein akutes Corona-Problem in den Seniorenheimen

23. März: Transport von chinesischen Schutzmasken über Wien nach Südtirol
Der berühmteste Südtiroler ist gar nicht im Land. Bergsteiger-Legende Reinhold Messner hängt in München fest, weil seine Freundin als Luxemburgerin derzeit nicht in Italien einreisen darf. Italien erlebe derzeit eine "Katastrophe", sagt er, aber Messner macht sich bereits Gedanken, wie sich die Corona-Krise in Zukunft auf die Globalisierung auswirken wird.
Doch wie sieht die Gegenwart in Südtirol aus?
Europaweit wurde über Tirol als "Corona-Drehscheibe" berichtet, vor allem die Tourismus-Hochburgen Ischgl, Sölden oder St. Anton standen im Fokus. Südtirol findet hingegen kaum den Weg in die überregionale Berichterstattung, wenn nicht gerade eine Schutzmaskenaffäre ausbricht, die auch Österreich betrifft. Dabei fällt bei einem Blick auf das öffentlich zugängliche Zahlenwerk auf, dass die Südtiroler Bevölkerung bisher von der Infektionskrankheit schlimmer betroffen ist als das Bundesland Tirol.
Mehr Todesfälle als in Tirol
Die Zahl der Menschen, die in der autonomen italienischen Provinz mit oder an einer Covid-19-Erkrankung gestorben sind, ist mittlerweile auf mehr als 200 angestiegen. Mit Stand Samstagvormittag waren 2.041 Menschen mit dem Virus infiziert, 442 galten als geheilt, teilte der Südtiroler Sanitätsbetrieb mit.
Im Bundesland Tirol sind es derzeit 1.417 offene Fälle. 1.687 Menschen werden als genesen geführt, 59 sind gestorben. Damit hält Tirol bei 3.163 Fällen insgesamt, während es in Südtirol 2.567 sind.
Diese Zahlen liegen nicht weit auseinander, auch wenn man die Größe der beiden Länder heranzieht. Südtirol hat rund 531.000 Einwohner. Tirol weist mit seinen rund 754.000 Einwohnern aber eine weit geringere Mortalitätsrate auf. Auch mit ganz Österreich verglichen ist der Unterschied ziemlich groß: Auf 100.000 Einwohner kommen in Südtirol 36 Menschen, die mit Covid-19 gestorben sind (in ganz Italien sind es rund 30). Das ist eine rund zehnfach so hohe Sterberate wie in Österreich, wo es statistisch gesehen 3,6 sind. Tirol kommt auf rund 8 Tote pro 100.000 Einwohner.
Ein Blick auf die Testungen zeigt keinen allzu großen Unterschied zwischen den beiden Tiroler Ländern: Im Süden wurden bisher knapp über 20.000 Abstriche gezogen, im Norden etwas mehr als 30.000.
Vergleichsweise wenig Intensivbetten
Die WHO rät von direkten Ländervergleichen ab. Zu viele Faktoren können die Zahlen beeinflussen, auch die nationalen Zählweisen sind unterschiedlich. Ein Blick auf die medizinische Versorgung zeigt aber klare Unterschiede.
Zwar gibt es aus Südtirol bisher keine Berichte über extrem überlastete Intensivstationen wie aus anderen Regionen Italiens, aber die Tatsache, dass bereits Patienten außer Landes gebracht wurden, lässt zumindest auf Engpässe schließen. Neun Personen wurden in Intensivstationen in Deutschland und Österreich untergebracht. Zuletzt wurden fünf Personen nach Tirol verlegt.
Der Südtiroler Sanitätsbetrieb ist seit 2006 als instrumentelle Körperschaft mit Verwaltungsautonomie gestaltet. Dennoch orientierte sich der Intensivbetten-Schlüssel mit rund acht Intensivbetten pro 100.000 Einwohnern ungefähr an den Zahlen in gesamt Italien. Zu Beginn der Corona-Krise wurde von 42 Intensivbetten in ganz Südtirol berichtet. Das Land Tirol hat laut aktuellen Zahlen 237, was 31 Intensivbetten pro 100.000 Einwohnern entspricht.
Aufgestockt
Mittlerweile wurde deutlich aufgestockt. “Wir haben es seit Beginn dieser Krise geschafft, von rund 35 zur Verfügung stehenden Intensivbetten auf aktuell 70 aufzustocken”,erklärte dazu der zuständige Südtiroler Landesrat Thomas Widmann Ende März.
Am Freitag benötigten 41 Personen in Südtirol intensivmedizinische Behandlung. Rund 229 Covid-19-Patienten müssen insgesamt in Südtiroler Kliniken betreut werden. In Tirol waren es 61 Personen in ICU-Einheiten (183 Patienten insgesamt). Der Bedarf an intensivmedizinischer Betreuung ist also derzeit ähnlich.

Vor der Corona-Krise: Tirols LH Günther Platter und Südtirols LH Arno Kompatscher (rechts)
Relativ früh reagiert
Dass das Land Südtirol mit seinen Maßnahmen lange gezögert hätte, lässt sich nicht feststellen. NIcht zuletzt war Italien jener EU-Staat, der in Europa zuerst vom Coronavirus betroffen war. Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) unterschrieb bereits am 23. Februar eine Notverordnung, wonach alle Kinderbetreuungseinrichtungen, die Freie Universität Bozen und weitere Bildungseinrichtungen geschlossen werden.
Bis zum Schließen der Skigebiete dauerte es aber noch wesentlich länger. Erst am 11. März wurde in Südtirol die Skisaison beendet, also nur vier Tage vor dem Land Tirol (siehe Chronologie unten).
"Nerven liegen blank"
Zuletzt wurde analog zu Österreich, an dem man sich mehr und mehr zu orientieren scheint, das Tragen von Schutzmasken als "Bürgerpflicht" eingeführt. Die Maßnahmen würden bei vielen Südtirolern aber bereits Ermüdungserscheinungen nach sich ziehen, merkte Kompatscher vergangene Woche in einer Pressekonferenz an. "Die Nerven liegen mitunter blank", sagte er.
Und so gab es auch Durchhalteparolen. „Wir müssen jetzt bis zu den Osterfeiertagen durchhalten, um dann schrittweise wieder ins normale Leben zurückfinden zu können“, sagte Kompatscher. Auch das klingt ähnlich wie im nördlichen Nachbarland.
Mangelhafte Schutzausrüstung
Was dringend notwendige Schutzausrüstung betrifft, so war das Land Südtirol, so wie auch andere Regionen Europas, auf Hilfe von außen angewiesen.
Die Schutzmasken aus China, die am 23. März dieses Jahres auf Vermittlung der Oberalp Group und auf Ersuchen der Südtiroler Landesregierung importiert wurden, sorgten zunächst für positive Schlagzeilen. Auch dass Österreich mit AUA-Flugzeugen beim Transport half, wurde auf beiden Seiten des Brenners tüchtig getrommelt.
Mittlerweile wurde aber bekannt, dass die Masken von mangelhafter Qualität sind und nicht dem für Spitäler wichtigen höchsten FFP-Standard entsprechen. Dies war bereits bei Sichtkontrollen in Österreich festgestellt und durch Gutachten bestätigt worden. Bekannt wurde es allerdings erst durch die Berichte eines Südtiroler Aufdeckerjournalisten des Online-Portals salto.bz.
Der Präsident des Sportartikelherstellers Oberalp, Heiner Oberrauch, erklärte nun gegenüber Rai Südtirol: Das wichtigste Kriterium sei Schnelligkeit gewesen. Für nur noch fünf Tage hätten die Ressourcen des Sanitätsbetriebs gereicht, sagt Oberrauch.
Prekäre Situation in Seniorenheimen
Derzeit sind rund 200 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Sanitätsbetriebes positiv auf Covid-19 getestet. Der Mangel an Schutzausrüstung könnte sich aber besonders an der verwundbarsten Stelle der Corona-Krise katastrophal auswirken.
Südtirols Seniorenwohnheime erhielten laut Medienberichten erst am 27. März ausreichend Schutzbekleidung. Der Präsident der Seniorenwohnheime, Moritz Schwienbacher, bestätigte dies gegenüber Rai Südtirol. Davor sei man "überhaupt nicht mit Schutzbekleidung gegen das Coronavirus ausgestattet“ gewesen. Man habe sich zum Teil über Baumärkte und Handwerker Schutzbekleidung besorgen müssen, erklärte Schwienbacher. Auch die Versorgungslage mit Desinfektionsmitteln sei ähnlich prekär gewesen.
Enorm viele Ansteckungen
Seit Beginn der Krise sind mehr als 200 Bewohner von Seniorenwohnheimen positiv auf das Coronavirus getestet worden – bei den Mitarbeitern in den Altenheimen sind es sogar 250.
Und die aktuellen Zahlen zeigen auch, wie gefährlich die Lage ist. Von den 192 Covid-19-Toten Südtirols wurden 72 aus den Seniorenwohnheimen gemeldet. Das ist mehr als ein Drittel. Ähnliche Relationen werden auch aus Belgien gemeldet, wo es drastische Berichte gibt, dass Heimbewohner, die an der heimtückischen Lungenkrankheit leiden, gar nicht mehr auf Intensivstationen behandelt werden können.
Wie die schwer am Coronavirus erkrankten Senioren in den Südtiroler Heimen medizinisch betreut werden, darüber gibt es von der Sanität keine Auskünfte. Der KURIER hat Anfragen an Sanitätsbetrieb und Seniorenwohnheime gerichtet, die bisher unbeantwortet blieben.
Eines gilt aber, wie in Österreich und Belgien, auch in Südtirol: Derzeit können Angehörige ihr Lieben in den Heimen aus Sicherheitsgründen nicht besuchen.
Eine Chronologie
- Obwohl Südtirol noch näher an den betroffenen Ausbruchsgebieten Italiens liegt, so liegen die ersten Fälle in den beiden Regionen nicht weit auseinander. Südtirol meldete den ersten positiven Fall am 23. Februar, in Tirol wurden zum ersten Mal am 25. Februar zwei Fälle bekannt.
- Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) unterschrieb am 23. Februar eine Notverordnung, wonach alle Kinderbetreuungseinrichtungen, die Freie Universität Bozen und weitere Bildungseinrichtungen geschlossen werden.
- Am 23. Februar wurde an der Brenner-Grenze zwischen Österreich und Italien ein ÖBB-Eurocity-Zug angehalten, weil sich zwei Menschen mit Coronavirus-Verdacht im Zug befanden. Diese waren schon in Verona ausgestiegen und wurden dort negativ getestet.
- Am 5. März wurde Südtirol vom Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) als Risikogebiet in Hinblick auf das Coronavirus eingestuft. Die Landesregierung in Bozen zeigte sich damals erstaunt, habe man zu diesem Zeitpunkt doch erst zwei Infektionsfälle registriert und die Lage unter Kontrolle. Stimmen aus der Tourismuswirtschaft sprachen da noch von einer „Katastrophe“ hinsichtlich des Osterskitourismus. Auch sah man das Problem eher umgekehrt. Touristen aus der deutschen Covid-19-Krisenregion Nordrhein-Westfalen würden das Virus erst einschleppen.
- Am 10. März setzt die italienische Regierung strenge Ausgangsbeschränkungen in Kraft. Die Maßnahmen sind zunächst bis zum Ostermontag geplant.
- Am 11. März, ein Mittwoch, wurden in Südtirol alle Lifte geschlossen, die Skisaison war de facto beendet.
- Am 13. März folgte dann die RKI-Einstufung des österreichischen Bundeslandes Tirol als Risikogebiet.
- Die Seilbahnen liefen noch bis Sonntag, 15. März, dann war auch im Norden mit dem Skifahren Schluss.
- Ab 15. März gelten auch im Bundesland Tirol strenge Ausgangsbeschränkungen. Ab 16. März in ganz Österreich.

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