Präsident Yoon gestürzt: Eine neue Ära für Südkoreas Demokratie?

Der gordische Knoten, der Südkoreas Demokratie seit vier Monaten gefesselt hielt, beginnt sich zu lösen. Wochenlang hatte das politisch tief gespaltene Land auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts hingefiebert. Für viele ging es dabei um die Frage, ob in Südkorea das Recht der Politik folgt – oder umgekehrt.
Am Freitag dann die klare Antwort: Alle acht Höchstrichter stimmten dafür, Präsident Yoon Suk-yeol des Amtes zu entheben. Mit seinem versuchten Staatsstreich Anfang Dezember habe er versucht, „die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen“, so das Urteil. Damit stimmten zwei der Richter für das Ende des Präsidenten, der sie einst ernannt hatte.
3. Dezember 2024
Präsident Yoon ruft um 22:30 Uhr das Kriegsrecht aus und befiehlt Polizei und Militär, politische Gegner zu verhaften. Sofort protestieren tausende Koreaner auf den Straßen Seouls. Hunderte Abgeordnete stürmen ins Parlament, heben das Kriegsrecht um 01:02 Uhr wieder auf.
14. Dezember 2024
Im Parlament stimmt eine Zweidrittelmehrheit für Yoons Amtsenthebung, dank zwölf Stimmen aus seiner eigenen Partei. Das Höchstgericht muss nun entscheiden, ob das Amtsenthebungsverfahren ausreichend begründet ist.
3. Jänner 2025
Yoon muss vor Gericht aussagen, erscheint aber nicht. Als die Polizei versucht, ihn zu verhaften, stellt sich die Präsidentengarde den Beamten vor dem Präsidentenpalast mit gezogenen Waffen entgegen. Um keine Eskalation zu riskieren, ziehen die Beamten wieder ab.
15. Jänner 2025
Im zweiten Versuch gelingt die Verhaftung Yoons, weil diesmal eine Hundertschaft schwerstens gerüsteter Polizisten vor dessen Residenz auftauchen. Yoon muss in Untersuchungshaft.
8. März 2025
Das Bezirksgericht Seoul-West hebt Yoons Untersuchungshaft auf. Seine Anhänger deuten das als Zeichen, dass auch das Amtsenthebungsverfahren aufgehoben werden wird.
4. April 2025
Die acht Höchstrichter entscheiden einstimmig, dass Yoon verfassungswidrig handelte – und bestätigen damit das parlamentarische Amtentshebungsverfahren. Yoon Suk-yeol ist nicht mehr Präsident.
3. Juni 2025
Das Land muss einen neuen Präsidenten wählen.
Warum Yoon den Putschversuch wagte
Die Fakten lagen längst auf dem Tisch: Yoon, schon vor dem Putschversuch dank seiner erzkonservativen Haltung einer der unbeliebtesten Präsidenten jemals, hatte die Parlamentswahlen im Sommer 2024 krachend verloren.
Das Oppositionsbündnis stellte fortan 169 der 300 Abgeordneten im Parlament – und blockierte nicht nur jeden Budgetvorschlag der Regierung, sondern trat auch einen Untersuchungsausschuss los, der sich mit Korruptionsvorwürfen gegen Yoons Frau beschäftigen sollte.
In seinem Hass schmiedete der Präsident einen verzweifelten Plan. Er rief am Abend des 3. Dezember das Kriegsrecht aus und befahl Militär wie Geheimdiensten, fast alle Oppositionspolitiker, mutmaßlich feindselige Staatsanwälte und sogar den Vorsitzenden seiner eigenen Partei zu verhaften.
Der Plan scheiterte bekanntlich, auch weil tausende Koreaner sofort auf den Straßen protestierten und ihren Abgeordneten somit ermöglichten, das Kriegsrecht wieder aufzuheben.
Doch die Aufarbeitung gestaltete sich zäh, entwickelte sich zu einem Machtkampf zwischen dem konservativen Lager des Präsidenten – der Exekutive – und der links-liberalen Opposition, die mit ihrer parlamentarischen Mehrheit die Legislative kontrolliert.
All das vertiefte die Gräben zwischen beiden Seiten und ihren Anhängern. Fast täglich kam es auf den Straßen der Hauptstadt Seoul zu Protesten von Gegnern oder Anhängern Yoons. Auch am vergangenen Freitag, als die eine Seite in Jubelstürme und die andere in Tränen ausbrach.


Am 3. Juni wählt Südkorea einen neuen Präsidenten
Am 3. Juni muss das Land nun einen neuen Präsidenten wählen. Als größter Profiteur der Krise und damit wahrscheinlichster Nachfolger gilt Oppositionsführer Lee Jae-myung, Chef der Demokratischen Partei (DPK).
Der 61-Jährige war Yoon schon 2022 um weniger als einen Prozentpunkt unterlegen und nutzte seit dem ersten Tag der Proteste jede Möglichkeit, sich als Widerstandskämpfer gegen einen abtrünnigen Präsidenten zu inszenieren.

Oppositionsführer Lee Jae-myung (mitte) inszenierte sich stets an der Spitze der Proteste. Schon bei der Präsidentenwahl 2022 verlor er nur haarscharf gegen Yoon, nun gilt er als glasklarer Favorit für die Wahl am 3. Juni.
Umfragen bescheinigen Lee, der unter anderem für eine sanfte Zuwendung zu China und Nordkorea eintritt, einen deutlichen Wahlsieg. Doch auch ihn umranken Korruptionsvorwürfe – zudem steht noch nicht fest, wer die Partei des gestürzten Präsidenten übernimmt. Es dürfte ein schmutziger Wahlkampf werden.
Yoon droht lebenslange Haft - und sogar die Todesstrafe
Für Yoon hat die juristische Aufarbeitung seiner Taten indes gerade erst begonnen. Bei dem Amtsenthebungsverfahren handelte es sich um einen politischen Prozess, ab nächster Woche muss sich Yoon dann in einem Strafverfahren wegen Hochverrats verantworten. Weitere Strafverfahren sollen Folgen.

Ex-Präsident Yoon Suk-yeol bei einer Anhörung vor Gericht. Ihm droht wegen des Vorwurfs des Hochverrats lebenslange Haft. Weitere Strafverfahren sollen Folgen.
Es sieht nicht gut für ihn aus: Die für den Vorwurf zentrale Frage ist, ob Yoon seine Macht missbraucht hat, um die Verfassung zu untergraben. Das Höchstgerichtsurteil, in dem genau das begründet wird, dürfte in diesen Prozess hineinwirken.
Bei einem Schuldspruch droht Yoon lebenslange Haft bis hin zur Todesstrafe. Auch, wenn die in Südkorea nicht mehr vollzogen wird (zuletzt 1997). Mit einem Urteil wird noch im Mai gerechnet, jedenfalls vor dem Wahltermin. Doch es gilt als sicher, dass Yoon bis zur höchsten Instanz gehen wird.
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