Frauen mit Behinderung: „Sucht euch Verbündete, geht euren Weg“

Katrin Langensiepen
Was es bedeutet, eine Frau mit Behinderung zu sein, weiß die EU-Abgeordnete Katrin Langensiepen nur zu gut. Sie kämpft für mehr Barrierefreiheit.

Katrin Langensiepen ist Europaabgeordnete für die Grünen und wurde 1979 in Hannover mit einer seltenen Erbkrankheit, dem TAR-Syndrom, geboren. Sie ist zudem Vize-Vorsitzende des Sozialausschusses des Europaparlaments. Langensiepen ist heute eine von wenigen behinderten Menschen im Parlament.

KURIER: Als Sie 2019 ins EU-Parlament einzogen, waren Sie hier die erste Frau mit Behinderung. Wie war das für Sie?

Katrin Langensiepen: Erstmal war ich überrascht, dass es immer noch so wenige Menschen mit Behinderung in die große Politik schaffen. Das ist ein massives Problem. Zu Beginn wurde mir von Seiten der Parlamentsverwaltung Unterstützung angeboten, sollte ich etwas brauchen. Die wirkten wirklich sehr engagiert. Aber dann gab es doch Probleme.

Welche Probleme waren das genau?

Wir haben in Straßburg sehr schwere und große Sessel, die Magneten in sich haben, damit sie nicht umherrollen. Daher kann man sie kaum bewegen. Ich konnte mich also nicht selbstständig setzen. Noch viel größer war das Problem mit den Abstimmungsgeräten. Die sind sehr tief in den Tisch eingelegt, um Sichtschutz zu schaffen. Meine Hände sind aber zu kurz, um die Knöpfe zu erreichen. Ich konnte also nicht abstimmen. Dann folgte eine langwierige Suche nach einer Alternative für mich. Nun habe ich das Gerät stets bei mir und muss mich darauf verlassen, dass ich immer weiß, auf welchem Platz das Verlängerungskabel liegt. Das funktioniert mal mehr, mal weniger gut.

Sie sind mittlerweile sehr laut und bringen Ihre Kritik regelmäßig ein.

Ja. Ich habe die Macht, das zu tun. Traurig, aber wahr. Ich bin mittlerweile in dieser privilegierten Position. Ich weiß natürlich, dass sehr viele behinderte Menschen diese Position nicht haben. Aber die sind auch laut und die kämpfen jeden Tag mit der Pflegekasse oder der Krankenkasse um Hilfsmittel. Sie kämpfen um Arbeitsplätze. Sie werden an den Rand gestellt. In der Europäischen Union leben ungefähr 100 Millionen Menschen mit unterschiedlichen Formen von Behinderungen. Das sind Wählerinnen und Wähler, wir zahlen Steuern, wir zahlen Bahntickets. Und dann möchte ich, dass ich barrierefrei von A nach B gebracht werde. Aber das ist leider eine der größten Hürden, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir haben immer noch sehr viele ableistische Strukturen in der Gesellschaft. Da sind sich Deutschland und Österreich in vielen Bereichen strukturell sehr ähnlich. Ich kann behinderte Menschen kaum nach Brüssel einladen. Es ist nicht barrierefrei. Es gibt zwei Hotels, in denen es drei rollstuhlgerechte Zimmer gibt. Das wars.

Frauen mit Behinderung: „Sucht euch Verbündete, geht euren Weg“

Wie barrierefrei ist die Europäische Union?

Wir haben keine barrierefreie Europäische Union. Es gibt auch keinen Musterstaat, der es perfekt vormacht. Wir haben fehlende Barrierefreiheit in der Mobilität. Wir haben fehlende Barrierefreiheit beim Wahlrecht. Selbstbestimmt leben ist nicht möglich. Nur in Einzelfällen.

Am 8. März war der Weltfrauentag oder auch der "feministische Kampftag". Was bedeutet er für Sie?

Wir brauchen diesen Tag. Ich glaube, wenn wir diese Tage nicht hätten, dann hätten wir noch weniger Aufmerksamkeit. Es ist wichtig, weil der Kampf noch nicht vorbei ist. Frauen sind massiv von Gewalt und häuslicher Gewalt betroffen. Wir können diese Tage gerne abschaffen, wenn es weniger Gewalt und mehr Gleichheit uns Frauen gegenüber gibt. Wenn ein Mädchen mit Lernschwierigkeiten sexuelle Übergriffe erfährt, wird das in ihrem Kopf als normal gewertet, nicht als Verbrechen. Behinderte Frauen können vielleicht nicht gut verbalisieren, was ihnen zugestoßen ist.

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