Sjewjerodonezk eingenommen, aber schwere Verluste für Russen

Sjewjerodonezk eingenommen, aber schwere Verluste für Russen
Die Stadt in Luhansk ist seit Tagen heftig umkämpft.

Vor 99 Tagen marschierten Putins Truppen in der Ukraine ein: 

Russische Truppen haben nach britischer Einschätzung den Großteil der umkämpften ostukrainischen Großstadt Sjewjerodonezk eingenommen. Unterstützt von heftigen Artillerieangriffen machten die Streitkräfte örtliche Geländegewinne, teilte das Verteidigungsministerium in London am Donnerstag mit.

Sie erlitten aber auch schwere Verluste. Die Hauptstraße in die Stadt hinein werde vermutlich noch von der Ukraine gehalten, hieß es unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse.

Es gäbe mehrere Stellen, an denen Russland erneut versuchen könnte, den Fluss Siwerski Donez zu überqueren, der eine natürliche Verteidigungslinie der ukrainischen Truppen darstellt. Hätten die russischen Streitkräfte dort Erfolg, könnten sie das Gebiet Luhansk sichern und sich stärker auf das angrenzende Gebiet Donezk konzentrieren, so das britische Verteidigungsministerium. Beide potenziellen Stellen zur Flussüberquerung - zwischen Sjewjerodonezk und der Nachbarstadt Lyssytschansk sowie nahe der kürzlich eroberten Stadt Lyman - seien aber weiterhin unter ukrainischer Kontrolle. Die Ukrainer hätten mehrere Brücken zerstört, um den Russen ihren Vormarsch zu erschweren.

London geht davon aus, dass die russischen Truppen mindestens eine kurze taktische Pause benötigen, um eine Flussüberquerung und weitere Angriffe im Gebiet Donezk vorzubereiten. Dort hätten die ukrainischen Einheiten Verteidigungspositionen vorbereitet. Damit aber drohe die russische Offensive an Schwung zu verlieren.

Auch dem Lagebericht des ukrainischen Generalstabs von Donnerstag zufolge griffen russische Truppen Sjewjerodonezk massiv an. Wie viele Bezirke der einstigen Großstadt die Ukrainer noch halten, sei unklar. Schon am Mittwoch hatten die Russen das Stadtzentrum eingenommen. Gefechte in den Vororten Bobrowe und Ustyniwka hätten den russischen Truppen trotz Unterstützung durch Granatwerfer aber keinen Erfolg gebracht, hieß es nun. Dafür räumen die ukrainischen Militärs der russischen Offensive in Komyschuwacha zumindest "teilweise Erfolg" ein. Die städtische Siedlung liegt südlich von Lyssytschansk.

Luft- und Raketenangriffe

Auch andere Regionen meldeten in der Nacht auf Donnerstag und in der Früh Luft- und Raketenangriffe. "Vier feindliche Marschflugkörper wurden abgefeuert. Sie wurden vom Schwarzen Meer aus abgeschossen", sagte der Chef der Militärverwaltung im westukrainischen Lwiw, Maxym Kosytzkyj, am Donnerstag auf seinem Telegram-Kanal.

Demnach richtete sich der nächtliche Raketenangriff gegen Eisenbahnobjekte in den Kreisen Stryj und Sambir. Explosionen waren in der Früh auch in der Hafenstadt Odessa zu hören. Während Kosytzkyj von fünf Verletzten sprach, haben die Behörden zu den Angriffen in Odessa noch keine Angaben gemacht.

Sjewjerodonezk eingenommen, aber schwere Verluste für Russen

Beschuss einer Brücke nahe Sewerodonezk

Im Norden der Ukraine wurden laut Behörden durch Raketenbeschuss im Kreis Krasnopilja (Region Sumy) ein Wohnhaus völlig zerstört und drei Menschen verletzt. Im benachbarten Gebiet Charkiw wurde demnach eine Frau getötet und eine weitere Person verletzt. Der nächtliche Beschuss habe auch eine Schule im Charkiwer Stadtteil Saltiwka getroffen. Zuvor war seitens der Ukraine von mindestens vier getöteten Zivilisten und zehn Verletzten im Osten und Nordosten von Sjewjerodonezk die Rede. Die russischen Streitkräfte schossen zudem nach eigenen Angaben einen ukrainischen Kampfjet vom Typ Su-25 in der Schwarzmeer-Region Mykolajiw ab.

Himmelfahrtskloster beschädigt

Wie Kathpress berichtete, kamen bei Gefechten in Swjatohirsk in einem orthodoxen Kloster mindestens drei Menschen ums Leben. Wie der Metropolit von Donezk und Mariupol der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK), Hilarion, am Mittwochabend mitteilte, wurden am Montag zwei Blöcke des Himmelfahrtsklosters durch Beschuss beschädigt. Zwei Ordensmänner und eine Ordensfrau seien getötet und drei weitere Geistliche verletzt worden. Ob es weitere Tote gebe, sei unklar.

Das imposante Kloster an einem bewaldeten Hügel am Stadtrand trägt den Ehrentitel "Lawra", wie insgesamt nur drei Klöster in der Ukraine. Lediglich zwei weitere in Russland haben diesen Titel. Das Himmelfahrtskloster von Swjatohirsk wurde erstmals 1526 erwähnt. Es ist damit eines der ältesten des Moskauer Patriarchats überhaupt.

Ukrainische Erfolge

Im Süden des Landes eroberte die ukrainische Armee laut eigenen Angaben 20 besetzte Ortschaften von den russischen Truppen zurück. Aus diesen Dörfern im Verwaltungsgebiet Cherson sei etwa die Hälfte der Bevölkerung geflüchtet, sagte der Leiter der regionalen ukrainischen Militärverwaltung, Hennadij Lahuta, am Mittwoch im Fernsehen. Der Angriff werde von Norden aus dem ukrainischen Gebiet Dnipropetrowsk geführt, die ukrainischen Truppen rückten weiter nach Süden vor.

Unabhängig überprüfbar waren die Angaben nicht. Es gibt aber seit Tagen Berichte über Vorstöße der ukrainischen Armee im Süden, während sie gleichzeitig Stellungen im Osten wegen der überlegenen russischen Feuerkraft räumen muss. Die Stadt Cherson ist bisher als einzige ukrainische Gebietshauptstadt von der russischen Armee besetzt worden. Durch die Einführung des Rubels und die Ausgabe russischer Pässe unternimmt Moskau erste Schritte, um diese Region an Russland anzugliedern.

US-Raketenwerfer für die Ukraine

Die USA wollen der Ukraine insgesamt vier Mehrfachraketenwerfer zur Verfügung stellen. Wie das US-Verteidigungsministerium am Mittwoch mitteilte, soll das neue Waffenpaket für Kiew zudem weitere 1.000 Javelin-Panzerabwehrraketen und vier Mi-17-Hubschrauber umfassen. Die US-Regierung hatte das neue militärischen Hilfspaket im Gesamtwert von 700 Millionen Dollar (650 Millionen Euro) am Vortag angekündigt.

Der stellvertretende Verteidigungsminister Colin Kahl sagte, die ukrainischen Streitkräfte bräuchten etwa drei Wochen Training, um das Himars-Raketensystem einsetzen zu können. Dieses soll den Ukrainern eine größere Reichweite und Präzision bei den Artilleriegefechten im Osten des Landes ermöglichen. Kahl zufolge können die Raketenwerfer jeweils sechs Lenkraketen gleichzeitig über 70 Kilometer weit schießen. Demnach stehen die Systeme bereits in Europa für Ausbildung und Lieferung bereit.

Sie würden den ukrainischen Streitkräften helfen, strategische russische Ziele ausfindig zu machen und anzugreifen, sagte er. Er bestätigte, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij Washington zugesichert habe, dass die Himars nicht für Angriffe auf Ziele in Russland eingesetzt würden. "Präsident Biden hat deutlich gemacht, dass wir nicht die Absicht haben, in einen direkten Konflikt mit Russland zu geraten", betonte Kahl.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte Washington zuvor gewarnt, "absichtlich Öl ins Feuer" zu gießen. "Solche Lieferungen ermutigen die ukrainische Führung nicht, die Friedensverhandlungen wieder aufnehmen zu wollen," sagte Peskow in Moskau.

Kinder nach Russland verschleppt

In fast 100 Tagen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind nach Worten von Präsident Wolodymyr Selenskij mindestens 689 Kinder zu Schaden gekommen.

243 Kinder seien getötet worden, sagte Selenskij in seiner Videoansprache vom Mittwochabend in Kiew. 

Kommentare