Streit um Wehrpflicht in der Schweiz
„Zeitverschwendung“, meint Daniela Fischer im Brustton der Überzeugung, „nur ein sinnloser staatlicher Zwang, der alle jungen Männer einschränkt.“ Wenn die Schweiz am 22. September über eine Abschaffung der Wehrpflicht abstimmt, besteht kein Zweifel, wie sich die 25-jährige Sekretärin entscheiden wird. Und überhaupt, ereifert sich die junge Aktivistin der „Gruppe für eine Schweiz ohne Armee“ (GSoA) gegenüber dem KURIER, „ist die Armee bei uns in der momentanen Bedrohungslage viel zu groß und viel zu teuer“.
Die Schweiz ohne ihre hoch gelobte Milizarmee? Eine Streitmacht schwächen, die ob ihrer unvergleichlich besseren Ausrüstung und Größe vom österreichischen Bundesheer stets beneidet wird? Für die Mehrheit der Schweizer, das zeigen jüngste Umfragen, ist das nur schwer vorstellbar. Nur knapp mehr als ein Drittel der Eidgenossen würden die Wehrpflicht abschaffen.
Alter Zopf
Doch die Propagandaschlacht zwischen Befürworten und Gegnern des Pflichtdienstes hat eben erst begonnen. Während Bundes-, National- und Ständerat sowie sämtliche bürgerliche Parteien die GSoA-Initiative ablehnen, kämpfen Grüne und SP für eine Aufhebung der Wehrpflicht: „Wer interessiert ist, dass die Armee nicht unsinnig Geld verschleudert und effizient funktioniert, muss bereit sein, den alten Zopf der Wehrpflicht abzuscheiden“, fordert etwa SP-Nationalrätin und Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission, Evi Allemann.
Eines der gewichtigsten Argumente der Wehrpflichtgegner: Von den rund 40.000 jährlich zur Musterung gerufenen Männern absolvieren nur knapp 60 Prozent ihren 21-wöchigen Grundwehrdienst (Rekrutenschule). Und gar nur rund ein Viertel leistet alle vorgeschriebenen Militärdiensttage. Die viel beschworene „Wehrgerechtigkeit“ sei damit längst überholt. „De facto haben wir bereits eine Freiwilligenarmee“, heißt es aus den Reihen der SP.
Massive militärische Bedrohungen sieht auch die neutrale Schweiz schon lange keine mehr. Entsprechend radikal wurde die Armee in den vergangenen Jahren abgespeckt. Nach 400.000 Mann noch vor rund 20 Jahren umfasst sie heute nur noch ein Viertel davon. Immer noch zu viel, immer noch zu teuer, bekritteln die Gegner der Wehrpflicht und schlagen stattdessen ein freiwilliges Milizsystem vor. Eine stark verkleinerte, von Struktur und Auftrag aber nicht wesentlich veränderte Truppe genüge vollkommen.
Die Rambos
Die Gründung einer reinen Berufsarmee hingegen fordert nicht einmal die GSoA. „Das wäre als eine Alternative zur Miliz, die in der Schweiz staatstragende Identität hat, nicht vorstellbar“, meint der Schweizer Militärsoziologe Karl W. Haltiner.
Doch auch die Schaffung einer freiwilligen Miliz, wie sie die Wehrpflichtgegner anpeilen, zweifelt der Experte gegenüber dem KURIER an. Ohne eine Art Reserve-Wehrpflicht würden sich in einem wohlhabenden Land wie in der Schweiz wohl kaum genug Freiwillige finden. „Kein einziger Staat in Europa hat auf die Wehrpflicht ganz verzichtet, man hat sie nur ruhend gestellt.“ Die bürgerlichen Parteien formulieren diese Befürchtung drastischer: „Dann kommen nur mehr die Rambos.“
Selbst die Wirtschaft, die jedes Jahr auf insgesamt 6 Millionen Arbeitstage ihrer Arbeitnehmer verzichten muss, während diese ihre militärischen Übungen leisten, muckt nicht auf. „Die Wehrpflicht ist nicht das geliebte Kind der Schweizer Wirtschaft“, sagt Haltiner. „Aber in der Schweiz ist dieses System historisch gewachsen, man ist es gewohnt.“
In Österreich stimmten im Jänner 59,7 Prozent der Bevölkerung für die Beibehaltung der Wehrpflicht. In Europa gilt diese derzeit nur noch in wenigen Staaten: Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Moldawien, Norwegen, Schweiz, Ukraine, Weißrussland und Zypern. Die erste Berufsarmee Europas führten 1961 die Briten ein. Die bis dato letzten Staaten, die sich für eine Freiwilligenarmee ent- schieden, sind Deutschland und Serbien. In fünf europäischen Staaten gibt es gar keine Streit- kräfte: In Andorra, Island, Liech- tenstein, Monaco und San Marino.
Schweizer ArmeeGemessen an ihrer Bevölkerungszahl hat kein europäisches Land eine größere Armee als die Schweiz. Sie zählt rund 100.000 Mann. Davon befinden sich rund 25.000 in der Grundausbildung, die maximal 21 Wochen dauert. Danach muss jedes Jahr, bis zum Alter von 34, zwei bis drei Wochen erneut für Übungen eingerückt werden. Sein Gewehr hat der Schweizer Milizionär bei sich zu Hause im Schrank, allerdings ohne Munition. Zivildienst leisten jährlich 7400 Schweizer (Österreich 11.000). Das Militärbudget ist in der Schweiz mit 3,6 Mrd. Euro fast doppelt so hoch wie in Österreich.
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