Eltern im Betreuungsnotstand
Es ist eine Katastrophe“, sagt Diplomkauffrau Julia Schmitten in München, die ihren vierjährigen Sohn Max statt in den Kindergarten zur Oma bringen muss. Weil auch die voll arbeitet, ist das nur eine kurze Zwischenlösung, danach muss die vollzeitbeschäftigte Mutter selbst frei nehmen und auf das Verständnis ihres Chefs hoffen.
Denn der Streik in den „Kitas“, wie außerhalb Bayerns inzwischen Ganztageskindergärten heißen, wird wohl lange dauern. Die Signale der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi stehen auf 14 Tage mindestens. Der grüne Verdi-Chef Frank Bsirske warnt: „Wir haben einen langen Atem.“ Der bläst derzeit fast jedem dritten deutschen Kind ins Gesicht.
Improvisation quer durch die Republik ist daher das Motto der Stunde. Viele Unternehmen versuchen mit Notdiensten zu helfen: Privat angeheuerte Erzieherinnen und Erzieher streiken nicht. Elternbeiräte tun sich zusammen und übernehmen die Betreuung in den Kitas selbst – in ihren Wohnungen: Die Bürokratie verlangt bei Nutzung der Kita-Räume immer einen anwesenden Erzieher oder eine Erzieherin, „versicherungstechnisch“. Und die streiken eben jetzt fast alle.
Bis auf einen Notdienst in einigen Kommunen, der aber höchstens fünf Prozent der per Los ausgewählten Kinder betreuen kann. In den meisten deutschen Orten gibt es nicht einmal den.
Denn die 240.000 Erzieherinnen und Erzieher im Dienst der deutschen Kommunen wollen einen Zuschlag. 2519 Euro verdienen die überwiegend weiblichen Kräfte monatlich im Durchschnitt brutto für ihre stressige und anspruchsvolle Arbeit. Sie verlangen zehn Prozent mehr Lohn durch Höhergruppierungen. Die Kommunen halten das auch nach fünf gescheiterten Verhandlungsrunden schlicht für unbezahlbar: Schon heuer würde sie das 1,2 Milliarden Euro kosten. Sie warnen, dass 80 Prozent dieser Mehrkosten schließlich auf die Eltern umgelegt werden müssten.
Kommunen überfordert
Dabei hat die Bundesregierung vor eineinhalb Jahren den Rechtsanspruch auf kommunale Kinderbetreuung ins Gesetz geschrieben: Seither klagen Hunderte Eltern gegen ihre Gemeinden, weil diese einfach überfordert sind – es fehlen ihnen Räume und noch mehr das qualifizierte Personal.
Das führt dazu, dass in manchen Bundesländern, vor allem im Osten, die Kinderzahl pro Betreuer/pro Betreuerin bei sechs oder sieben liegt, während sich in Bayern eine Kindergärtnerin oder ein Kindergärtner um durchschnittlich drei Kleine kümmert. Bei den hohen Krankenständen im Öffentlichen Dienst führt das dann schon mal dazu, dass ein Betreuer/eine Betreuerin fünfzehn Kinder beaufsichtigen und versorgen muss. Auch gegen diese Verhältnisse in den „Kitas“ wird jetzt gestreikt.
Während die Eltern-Organisationen auf den Streik gespalten reagieren, zeigt Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) Verständnis : „Wir brauchen eine Debatte, wie viel uns die Erziehung der Kinder wert ist.“
Gut, wenn man da als Mutter gute Freunde mit mehr Zeit hat: Tierärztin Susanne Massmann in Hamburg konnte ihren Vierjährigen heute früh bei ihren Bekannten abgeben. Für wie lange, wusste sie aber auch nicht.
Raphaela Keller beneidet ihre deutschen Kolleginnen, „weil sie viel besser als wir organisiert sind. Wir haben österreichweit keine starke Lobby“, beklagt die Vorsitzende des Berufsverbandes der Kindergarten- und Hortpädagoginnen im KURIER-Gespräch. Kellers Verband ist parteiunabhängig und wird von Pädagoginnen getragen, die sich ehrenamtlich engagieren – mit mäßigem Erfolg.
Dass die heimischen Kindergärtnerinnen keine starken (politischen) Fürsprecher haben, liegt am zerklüfteten System. In Österreich gibt es keine bundesweit einheitlichen Standards für Betreuungsschlüssel (wie viele Kinder eine Pädagogin betreuen darf), die Größe von Kindergartenräumen und die Bezahlung der Pädagoginnen. Die gesetzlichen Vorgaben sind Sache der Bundesländer. Daher gibt es unterschiedliche Arbeitgeber: Viele Kindergärtnerinnen sind Gemeindebedienstete. In Niederösterreich sind die meisten hingegen beim Land angestellt. Hinzu kommen all jene, die bei den Trägern von privaten Kindergärten beschäftigt sind (Kirchen, KIWI, Kinderfreunde etc.). Das führt dazu, dass vier Gewerkschaften für das Personal zuständig sind bzw. wären. Zu einem Streikaufruf kam es daher noch nie. Dabei hätten die heimischen Kindergärterinnen ebenso viele Gründe, ihre Arbeit niederzulegen, wie ihre Kolleginnen in Deutschland. Berufseinsteiger verdienen im Burgenland laut Keller 1735 Euro (brutto), in der Steiermark sind es 1900, in Wien 2055 Euro. Die höchste Gage zahlt Niederösterreich (2186 Euro). In Deutschland gibt es anfangs zwischen 1800 und 3100 Euro.
Dauer-Forderung
Dass eine Pädagogin hierzulande bis zu 25 kleine Kinder betreuen muss, wird auch schon seit Jahren von den Betroffenen sowie von Eltern kritisiert. Keller & Co fordern überdies – wie viele Experten –, dass zumindest ein Teil der Kindergärnterinnen akademisch ausgebildet wird.
Von der Politik gab es immer wieder diverse Absichtserklärungen, geändert wurde de facto nichts. Daher sagt der Grüne Bildungspolitiker Daniel Landau: „Es braucht nicht nur ein Bekenntnis, es muss endlich etwas getan werden. Wir sollten den Kindergarten-Pädagoginnen daher den Rücken stärken.“
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