Türkei-Stichwahl: Wahlbeteiligung geringer als in erster Runde

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Die Wahllokale haben geschlossen, die Auszählung hat begonnen. Wer macht das Rennen: Erdoğan und Kılıçdaroğlu?

In der Türkei haben alle Wahllokale mittlerweile geschlossen. Rund 61 Millionen Menschen wurden von Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan und seinem Herausforderer Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. 

Was jetzt wichtig ist:

  • Die Auszählung der Stimmen hat schon begonnen, und wird wahrscheinlich weniger Zeit in Anspruch nehmen als in der ersten Runde, in der auch die Stimmen für die Parlamentswahl ausgezählt wurden.
  • Die Wahlbeteiligung dürfte niedriger sein als in der ersten Runde, aber immer noch über 80 Prozent liegen. 
  • Erste Ergebnisse werden am frühen Abend erwartet; das Veröffentlichungsverbot der Ergebnisse dürfte gegen 18.30 Uhr Ortszeit (17.30 Uhr MEZ) aufgehoben werden.
  • Bis Mitternacht sollte klar sein, wer in den nächsten fünf Jahren Präsident der Türkei sein wird.

Berichten der Opposition zufolge soll es Angriffe auf Wahlbeobachter in Istanbul und im Südosten des Landes gegeben haben. Ali Şeker, Abgeordneter der größten Oppositionspartei CHP, sagte am Sonntag im oppositionellen Sender Halk TV, er und Wahlhelfer der Opposition seien von einer Gruppe angegriffen worden, nachdem sie Unregelmäßigkeiten beanstandet hätten. Der Vorfall habe sich in einem Dorf in der südosttürkischen Provinz Sanliurfa ereignet.

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Erdoğan verteilt Geld

Der Amtsinhaber hat vor dem Wahllokal, in dem er selbst gewählt hat, Geld an Unterstützer und Unterstützerinnen verteilt. 

Auseinandersetzungen

Zuvor hatte der CHP-Fraktionsvorsitzende Özgür Özel bereits auf Twitter geschrieben, dass Wahlbeobachter geschlagen und ihre Telefone kaputt gemacht wurden. Özel kritisierte zudem, dass nicht genügend Sicherheitskräfte vor Ort seien und forderte die Behörden auf, für die Sicherheit der Wahl zu sorgen.

Auch in Istanbul gab es Medienberichten zufolge mehrere Vorfälle. Halk TV berichtete, dass in den Bezirken Gaziosmanpasa und Ümraniye Wahlhelfer der Opposition angegriffen worden seien. Das Online-Medium senika.org schrieb, dass an einer Schule im Bezirk Bagcilar Anwälte nicht in die Wahllokale gelassen wurden. Dabei sei es zu Auseinandersetzungen gekommen. Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.

Im Kampf um das Präsidentenamt in der Türkei gaben Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan und sein Kontrahent Kemal Kılıçdaroğlu unterdessen ihre Stimmen ab. Kilicdaroglu wählte am Sonntag in einer Schule in der Hauptstadt Ankara, Erdogan in der Metropole Istanbul. Der 74-jährige Herausforderer rief seine Anhänger unter anderem dazu auf, die Wahlurnen zu schützen, "denn diese Wahl findet unter sehr schweren Bedingungen statt." Die Opposition sei etwa diffamiert worden.

Erste Stichwahl in der Geschichte der Türkei

Es gelte, die Herrschaft von Amtsinhaber Erdogan zu beenden. "Ich lade alle Bürger dazu ein, an die Urne zu gehen, um die Unterdrückung und die autoritäre Führung abzuschaffen und diesem Land echte Freiheit und Demokratie zu bringen." Erdogan sagte bei seiner Stimmabgabe in Istanbul, dass es sich um die erste Stichwahl in der Geschichte der Türkei handle. Er lobte die hohe Wahlbeteiligung in der ersten Runde am 14. Mai und sagte, er rechne erneut mit einer hohen Teilnahme.

Türkei-Stichwahl: Wahlbeteiligung geringer als in erster Runde

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gibt seine Stimme ab, während seine Frau Emine Erdogan neben ihm in einem Wahllokal während der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen in Istanbul steht.

Die Wahllokale öffneten Sonntag früh um 7.00 Uhr und schließen um 16.00 Uhr (MESZ). Der 69-jährige Erdogan gilt als Favorit. Er hatte bei der ersten Runde vor zwei Wochen die meisten Stimmen erhalten, verpasste die nötige absolute Mehrheit aber knapp.

Ergebnisse sollen früher Verfügbar sein

Die Ergebnisse der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei sollen früher verfügbar sein als die Ergebnisse der ersten Runde. Weil es nur eine Abstimmung mit zwei Kandidaten sei, werde die Auszählung voraussichtlich schneller gehen, erklärte der Leiter der türkischen Wahlbehörde, Ahmet Yener, am Sonntagvormittag. Eine Zeit nannte er nicht. Die Abstimmung laufe bisher störungsfrei ab, so Yener. An sich darf offiziell erst ab 20.00 Uhr über Ergebnisse berichtet werden. Die Wahlkommission hat diese Regel in der Vergangenheit aber meist außer Kraft gesetzt und eine frühere Berichterstattung zugelassen.

Türkei-Stichwahl: Wahlbeteiligung geringer als in erster Runde

Der Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei (CHP) und Präsidentschaftskandidat Kemal Kilicdaroglu (3.v.r.), flankiert von seiner Frau Selvi Kilicdaroglu (C), winkt seinen Anhängern beim Verlassen des Wahllokals.

Nach der ersten Abstimmung am 14. Mai hatten sowohl die Staatsagentur Anadolu als auch die oppositionsnahe Agentur Anka bereits am Abend gemeldet, dass es in eine zweite Runde gehen würde. Die Wahlbehörde verkündete ihr vorläufiges Endergebnis allerdings erst gegen Mittag am Folgetag. In der ersten Runde hatten die rund 61 Millionen Wahlberechtigten in der Türkei auch ihre Stimme für ein neues Parlament abgegeben, was die Auszählung verlangsamte.

Internationale Wahlbeobachter bemängelten erste Wahlrunde

Das Ergebnis des ersten Wahlgangs überraschte viele: Umfragen hatten zwar eine Stichwahl vorausgesagt, der 74-jährige Kilicdaroglu galt aber als Favorit. Zwischen Erdogan und seinem Gegner lagen dann rund 2,5 Millionen Stimmen, die die Opposition nun aufholen will.

Die Wahl gilt als richtungsweisend. Erdogan ist seit 20 Jahren an der Macht. Seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 hat er so viel Macht wie nie zuvor. Kritiker befürchten, dass das Land mit rund 85 Millionen Einwohnern vollends in die Autokratie abgleiten könnte, sollte er erneut gewinnen. Kilicdaroglu ist Chef der sozialdemokratischen Partei CHP und tritt für eine Allianz aus sechs Parteien unterschiedlicher Lager an. Er verspricht, das Land zu demokratisieren. International wird die Abstimmung in dem NATO-Land aufmerksam beobachtet.

Die erste Wahlrunde galt als grundsätzlich frei aber unfair. Internationale Wahlbeobachter bemängelten etwa die Medienübermacht der Regierung und mangelnde Transparenz bei der Abstimmung. Die Wahlbehörde YSK gilt zudem als politisiert.

Ein kritischer Punkt bei der Durchführung der Abstimmung sind die zahlreichen Wahlbeobachter an den Urnen. Der türkische Innenminister Süleyman Soylu hatte vor der zweiten Abstimmungsrunde erklärt, Wahlbeobachter der Organisation Oy ve Ötesi davon abhalten zu wollen, an den Urnen vertreten zu sein. Besonders bei der Opposition löste die Aussage Sorge aus.

Symbolischer Wahltermin

Die Abstimmung fällt auf ein für die Opposition symbolisches Datum: Am Sonntag jähren sich auch die regierungskritischen Gezi-Proteste zum zehnten Mal. Die Demonstrationen im Frühjahr 2013 hatten sich zunächst gegen die Bebauung des zentralen Istanbuler Gezi-Parks gerichtet. Sie weiteten sich zu landesweiten Demonstrationen gegen die immer autoritärere Politik Erdogans aus, der damals noch Ministerpräsident war. Dieser ließ die weitestgehend friedlichen Proteste brutal niederschlagen.

Flüchtlinge sind Thema bei der Wahl

Bestimmendes Thema vor der zweiten Runde war das Thema Migration. Sowohl Erdogan als auch Kilicdaroglu sicherten sich die Unterstützung von rechtsnationalen Politikern. Vor allem Kilicdaroglu machte die Rückführung von Flüchtlingen nach Syrien zu seinem Hauptwahlkampfthema und verschärfte seinen Ton gegenüber der ersten Runde deutlich.

 

Rund 61 Millionen Menschen sind zur Stimmabgabe aufgerufen. Türkische Staatsbürger in Österreich haben bereits abgestimmt. Es war hierzulande erneut eine Rekordbeteiligung verbucht worden. Wie die türkische Botschaft in Wien mitteilte, wurden insgesamt 67.726 Stimmen gezählt. Dies entspreche einer Beteiligung von 60,47 Prozent der 112.000 Stimmberechtigten oder um 4,3 Prozentpunkte mehr als in der ersten Wahlrunde. Im ersten Durchgang hatten 72 Prozent der türkischen Wählerinnen und Wähler in Österreich für Erdogan gestimmt. Das war im internationalen Vergleich ein hoher Prozentsatz.

Die Türkei beherbergt rund 3,4 Millionen Flüchtlinge alleine aus Syrien. Für Europa spielt sie in der Migrationspolitik eine große Rolle. Weiteres Thema im Wahlkampf war die schlechte wirtschaftliche Lage mit einer massiven Inflation. Erdogan beschimpfte die Opposition immer wieder als "Terroristen". Der Amtsinhaber trat zudem mit der Ansage an, bei einer Wiederwahl stärker gegen lesbische, schwule, bisexuelle und transidente Menschen vorgehen zu wollen.

Im Parlament konnte sich Erdogans Regierungsbündnis bereits bei den Wahlen vor zwei Wochen erneut die absolute Mehrheit sichern. Sollte Kilicdaroglu am Sonntag gewinnen, könnte er die für eine Abschaffung des Präsidialsystems nötige Verfassungsänderung nicht im Alleingang erreichen.

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