Der britische Geheimdienst-Experte Frederick Forsyth über vier Gründe, warum jemand sein Land verrät, über große Spionagefälle und die Causa Marsalek/Ott.
Frederick Forsyth hat mehr als 70 Millionen Bücher verkauft – zumeist Spionage- und Geheimdienst-Thriller mit aktuellen Aufhängern, vom Ost-West-Konflikt über die Gefahr eines Atomkrieges bis zu geplanten Salafisten-Angriffen.
KURIER: Seit Ihrem Spionage-Thriller „Das vierte Protokoll“ hat sich die Welt verändert, die Mauer ist gefallen, Wladimir Putin ist aufgestiegen, China ist auf dem Weg zur Weltmacht Nr. 1 – aber der Bedarf an Spionage ist gleich, oder?
Frederick Forsyth: Ja, seit die Menschen vor vielen Jahrhunderten begonnen haben, sich gegenseitig zu bekämpfen, gibt es Spionage. Sie ist eine der Hauptwaffen des Angriffs und der Verteidigung, das ist schon in der Bibel und sonst wo beschrieben. Aber erst nach 1945 ist Spionage eine populäre und internationale Obsession geworden.
Wieso?
Nach 1945 war die entwickelte Welt in zwei Welten geteilt: die demokratischen und kapitalistischen Nationen, gemeinhin „der Westen“ genannt; und die UdSSR oder das Sowjetreich, regiert aus Moskau vom kommunistischen Russland. Diese Zeit kennen wir als „Kalten Krieg“. Und Spionage war ein Hauptbestandteil dieses Konflikts.
Dieser Konflikt ist vorbei …
… aber die Spionage nicht. Sie erlebt einen neuen Aufschwung, dank Wladimir Putin, dem neuen Gewaltherrscher des post-kommunistischen Russlands.
Definieren Sie Spionage bitte in einem Satz.
Die zwei Schlüssel der Spionage sind, zu suchen und entdecken, was der Feind plant; und zu hoffen, dass es einem gelingt, ihn abhalten zu können, dasselbe über dich zu erfahren.
Der Stoff, aus dem Spionageromane gestrickt sind – und die Wirklichkeit.
Ja, das Entdecken und das Verhindern des Entdeckens hört nie auf. Es erstreckt sich auf jeden Aspekts des Lebens – Politik, Militär, Wirtschaft, Personen. Und es fasziniert die Öffentlichkeit auf der ganzen Welt.
James Bond ist immer und überall?
Nein, der richtige Spion ist nicht ein Ausländer, der für sein Land unterwegs ist. Das wäre ein Geheimagent.
Der Spion wühlt zuhause?
Der Spion ist tief in seinem eigenen Land eingebettet und hat sich entschieden, gegen sein Land zu arbeiten und dessen innersten Geheimnisse an die Feinde des Landes zu verraten – wenn er die Geheimnisse entdeckt.
Was treibt jemanden an, das zu tun?
Da gibt es vier Gründe. Erstens: politische Überzeugung. Nach 1945 zum Beispiel gab es Abertausende im Westen, die an den Kommunismus und dessen finalen Sieg glaubten. Nicht nur in der Arbeiterklasse. Überzeugte Kommunisten gab es auch bei Aristokraten, Intellektuellen, Akademikern, hochrangigen Offiziellen. Im Westen arbeiteten viele von denen als Spione für den Spionagearm der UdSSR, den KGB.
Welche Rolle spielt das Geld?
Vor allem bei der zweiten Gruppe, das sind die, die ihr Land einfach nur für Geld verraten und als Spione arbeiten. Der Amerikaner Aldrich Ames (CIA-Mitarbeiter, 1994 der Spionage für Russland überführt, Anm.) war so eine Söldnerspion und sitzt nun in den USA lebenslang in Haft.
Warum verrät man noch sein Land?
Die dritte Gruppe sind die, die erpresst werden, sich gegen ihr Land zu wenden und beispielsweise für Moskau zu spionieren. Der britische Diplomat John Vassall arbeitet in der britischen Botschaft in Moskau, wurde vom KGB observiert, und die fanden heraus, dass er homosexuell war – zu der Zeit skandalös. Er wurde zu einer Homosexuellen-Party eingeladen, dabei fotografiert und später erpresst. Also lieferte er vertrauliche Informationen aus der Botschaft an seinen neuen „Arbeitgeber“.
Das geht nur eine Zeit lang gut, oder?
Er wurde später überführt, gestand und landete im Gefängnis. Nach seiner Entlassung ist er gestorben, aber an natürlich Ursachen.
Das ist nicht jedem Spion vergönnt, vor allem den regimekritischen nicht.
Das ist die vierte Gruppe, die aus aufrichtigem Idealismus handelt. Wenn ein Amtsträger oder Geheimdienstmitarbeiter einer Diktatur das Regime so verabscheut, dass er sich entschließt, es zu Fall zu bringen, durch Spionage. Zwei sowjetische Offiziere fallen mir da ein: Colonel Oleg Penkowski war ein hochrangiger Offizier im sowjetischen GRU und bot sich den Amerikanern mit einem Haufen Dokumente an, die zunächst an eine Falle glaubten. Mit seinen Informationen aus dem innersten Chruschtschow-Kreis gelang es John F. Kennedy während der Raketen-Krise um Kuba 1962 einen Atomkrieg zu verhindern und den Sowjets ein Angebot zu machen.
Ein Held.
Ja, aber bald wurde Penkowski in Moskau als Spion enttarnt. er wurde gefoltert und erschossen.
Das erinnert an den Doppelspion, der im Non-fiction-Buch „Der Spion und der Verräter“ beschrieben wird.
Oleg Gordijewski, der hatte mehr Glück. Der avancierte zum Bürochef des KGB in London, hatte Informationen über jeden sowjetischen Agenten dort und lieferte alle den Briten. Irgendwann roch Moskau den Braten und berief in zurück – in letzter Minute schmuggelten ihn die Briten nach Finnland und in Sicherheit. Er lebt in Frieden außerhalb von London.
Wie hat sich Spionage seither verändert?
Heute ist Spionage viel technischer und computerisierter geworden. Information wird mit Superkameras, Überwachung von bis aus dem inneren Weltall und unentdeckbarer Abhörtechnik beschafft …
Die Chinesen schicken Ballons über die USA. Und in Wien stehen riesige Abhöreinrichtungen auf dem Dach russischer Einrichtungen.
Ja, aber die alten Methoden sind gar nicht so sehr aus der Zeit gefallen.
Welche?
Der tote Briefkasten lebt, ja, er funktioniert noch immer: Ein Papier mit der geheimen Nachricht wird in einem Baumloch im Park oder hinter einem losen Ziegelstein in einer Mauer versteckt. Kilometer entfernt taucht eine Kalkmarkierung an einem bestimmten Punkt auf, und der Agent in der betreffenden Botschaft weiß, dass da eine Nachricht abzuholen ist.
Im Film oder Büchern beobachtet ihn jemand dabei ...
Aber in der Wirklichkeit ist es halt nicht möglich, jeden Baum und jeden Ziegelstein einer Stadt zu überwachen.
Haben Sie von der Wiener Spionageaffäre gehört, wo Handys in Wohnungen übergeben wurden und Ex-Geheimdienstler Informationen an Russland verkauft haben sollen? Welche der vier Spionage-Typen sind das?
Von dem, was ich beurteilen kann, scheint in dieser Affäre wenig ideologische Überzeugung zugunsten Wladimir Putins zu stecken. Niemand kann durch die nackte Brutalität seines Regimes überzeugt werden, für ihn zu spionieren. Das sieht nach gewöhnlichem Betrug und Verrat am eigenen Land aus, old-fashioned. Für Geld? Das wird die Zeit zeigen.
Die USA warnten Russland vor dem islamistischen Angriff auf ein Konzertlokal in Moskau – haben Geheimdienste einander auch lieb?
Die ständig kampfbereiten Geheimdienste des Westens und Russlands machen Ausnahmen auf Basis beiderseitigen Interesses. Islamistischer Selbstmordterror ist so ein gemeinsamer Feind – Massaker an jungen Konzertbesuchern wurden weltweit schon begangen. Also warnt man einander, wenn man Erkenntnisse hat.
Apropos Erkenntnisse: Wie konnte dem Mossad der bevorstehende Massenmord der Hamas durchrutschen?
Das bleibt ein Mysterium. Entweder wurde die Unterwanderung der Hamas durch Informanten überschätzt, oder Warnungen wurden nicht geglaubt, kamen zu spät. Ein bleibender Rückschlag für Israels Geheimdienst.
Zur Person: Frederick Forsyth Am 25. August 1938 in Ashford/Kent geboren, war Frederick Forsyth mit 19 jüngster Pilot der Royal Air Force. Später war er als Reporter für Reuters und BBC auch in Kriegsgebieten, etwa in Afrika, unterwegs und nahm auch Aufträge für den britischen Auslandsgeheimdienst MI 6 an. Viele Reisen in Europa, Nahost und Afrika. 20 Bücher schrieb Forsyth, vor allem Spionageromane, einen Kriegsbericht, eine Autobiografie. „Der Schakal“ (Profikiller,1971) und „Die Akte Odessa“ (Jagd auf Kriegsverbrecher, 1972) waren gleich Mega-Seller.
Kommentare