SPD sondiert Große Koalition

SPD-Chef Gabriel (r.) will seine Partei in eine große Koalition führen. Peer Steinbrück wird dort nicht mehr mitreden.
SPD-Chef Gabriel tritt die Flucht nach vorne an. Spitzenkandidat Steinbrück zieht sich zurück.

SPD-Chef Sigmar Gabriel steht vor seiner größten Bewährungsprobe, seit er die Partei nach der schweren Niederlage 2009 übernommen hat. Er muss ihre Enttäuschung über den weiter gewachsenen Abstand zum Hauptgegner Union kanalisieren und sie in die ungeliebte Große Koalition führen. Nur so kann er sie vor noch größeren Risken bewahren, die eine Oppositionsrolle an der Seite der Linken bei einer schwarz-grünen Koalition oder Neuwahlen wären.

Die widerstrebende Partei dazu zu bringen, auf die scheinbar bequemere Alternative der Opposition oder gar das bisher strikte ausgeschlossene Experiment von Rot-Rot-Grün zu verzichten, ist nicht einfach. Gabriel berief gestern Abend einen Parteikonvent ein, das größte Gremium zwischen Parteitag und Vorstand. Zuvor hatte sich bereits der SPD-Vorstand für die Sondierungsgespräche mit CDU und CSU ausgesprochen. Nach der Regie Gabriels gaben dann auch die 250 Funktionäre aus den Ländern grünes Licht dafür, darunter auch die öffentlich skeptische Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft.

Maximalforderungen

Das lässt der Basis noch etwas Hoffnung, mit den meisten in den letzten Tagen postulierten Forderungen in die Regierung zu kommen – und auch noch an die wirklichen Hebel der Macht, nämlich das Finanz-, Sozial- und Außenministerium. Denn nur das verhindere, dass die SPD wieder zum „Opfer“ von Merkel werde, so die Suggestion der Parteibasis.

Nach den schwierigen Verhandlungen mit Merkel und ihrer Truppe wird ein weiterer Konvent das Ergebnis beurteilen und es noch vor dem Parteitag am 15.November den 470.000 Mitgliedern zur Billigung vorlegen. Das gab es bisher erst bei den Grünen, noch ist auch die technische Abwicklung offen. Das Ergebnis soll dann der Parteitag beschließen.

Dafür muss die Parteiführung noch Überzeugungs- und die Basis Denkarbeit leisten: Laut Forsa würden derzeit 65 Prozent der SPD-Mitglieder gegen eine große Koalition stimmen. Hingegen sind zwei Drittel aller Deutschen dafür. Bei einer Ablehnung wäre der Rücktritt von SPD-Chef Gabriel und der ganzen Parteiführung unausweichlich. Auch daher gilt die als unwahrscheinlich und die Abstimmung nur als Ventil für den Frust der Partei.

Eine satte Mehrheit für den Koalitionseinstieg aber wäre eine Stärkung für Gabriels Position, mit der er sich den intensiv angestrebten Vizekanzlerposten unter Merkel gegen die Konkurrenz von Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sichern könnte.

Der unterlegene SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat als Konsequenz aus dem deutschen Wahlergebnis seinen Rückzug aus der ersten Reihe der Politik angekündigt. Er strebe kein Amt mehr in der Partei und in der Bundestagsfraktion an, sagte er am Freitagabend bei einem nicht-öffentlichen SPD-Parteikonvent in Berlin vor 200 Delegierten. "Meine Karriere wird ein geordnetes Ende finden", wurde der 66-Jährige zitiert.

Steinbrück habe in einer bewegenden Rede die politische Verantwortung für das Wahlergebnis übernommen, hieß es. Die SPD war am vergangenen Sonntag auf 25,7 Prozent der Stimmen gekommen. Steinbrück verfehlte damit sein Wahlziel einer rot-grünen Mehrheit.

Bei Koalitionsverhandlungen dabei

Sollte es zu Koalitionsverhandlungen mit der Union kommen, wird Steinbrück nach Einschätzung aus der Partei daran noch beteiligt sein, ebenso wie an einem ersten Sondierungsgespräch. Sein Rückzug werde wohl erst auf dem Bundesparteitag Mitte November vollzogen. Dazu habe sich Steinbrück nicht ausdrücklich geäußert, hieß es.

Zur Person

Steinbrück war von 2002 bis 2005 nordrhein-westfälischer Ministerpräsident und von 2005 bis 2009 deutscher Finanzminister und stellvertretender SPD-Chef. Seit 2009 hat er kein Parteiamt mehr. Im Dezember 2012 wurde der gebürtige Hamburger zum Kanzlerkandidaten gekürt. Im Wahlkampf hatte er bereits angekündigt, dass er für ein Ministeramt in einer Großen Koalition nicht zur Verfügung stehen werde.

Als einstiger Unterstützer der Reform-Agenda 2010 von Kanzler Gerhard Schröder hatte Steinbrück in der Partei zeitweise keinen leichten Stand. Im Wahlkampf ließ er sich aber trotz seiner Forderung nach "Beinfreiheit" für ein eher linkes Wahlprogramm einbinden. Nach anfänglichen Pannen fasste Steinbrück im Endspurt vor dem Bundestagsvotum Fuß und beeindruckte auch die eigenen Genossen mit unermüdlichem Einsatz.

Das wüste Zocken der SPD (das Wort passt zum Stinkefinger ihres Ex-Kanzlerkandidaten) um den Eintritt in die Große Koalition ist nur mit Panik erklärbar. Und der Hoffnung der Chefs, vom Wahldebakel (alle Ziele außer Mini-Zuwachs verfehlt) abzulenken. Die SPD flüchtet stattdessen kollektiv in eine dreiste Zwecklüge: Die schlaue, prinzipienlose Merkel habe die brave SPD in der Großen Koalition einst ausgesaugt und die Lorbeeren gestohlen.

Damit verkauft die SPD jeden halbwegs denkenden Bürger für blöd: Läge es tatsächlich an Merkel, wieso sitzen dann nach vier Jahren SPD-Opposition nicht viel mehr Rote im Bundestag? Sondern 64 Prozent mehr Abgeordnete der Union?

Und was hat die SPD geleistet – außer „Rente mit 67“, die ihr Sozialminister gegen seine Partei durchdrückte? Nichts woran man sich erinnert. Sehr wohl aber erinnern sich viele an den SPD-Streit über das Erbe ihres Kanzlers Schröder, der fünf SPD-Chefs in vier Jahren verschliss.

Dafür gab es 2009 das historisch schlechteste Ergebnis – und jetzt auch nur 2,7 Prozentpunkte plus (Union: plus 7,7 Punkte). Angesichts der Null-Option der SPD (Schwarz-Grün würde sie so verzwergen wie Neuwahlen) wäre endlich Ehrlichkeit fällig statt dreiste Großmäuligkeit.

Die Über-Taktikerin Merkel lässt sich davon ohnehin nicht beeindrucken. Auch wenn sie sich – nach dem wirklichen Wegmobben der FDP – nun fast zu Tode siegte.

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