Cyberangriff, Reaktorpanne? Was hinter dem Blackout in Spanien stecken könnte

Es begann um 12.33 Uhr und es dauerte genau fünf Sekunden: Für genau diesen Moment verschwanden aus Spaniens Stromnetz rund 15 Gigawatt. Zum Vergleich, das ist etwas mehr als die doppelte Energieleistung, die die fünf Atomkraftwerke des Landes produzieren. Die davon verursachte Schwankung ließ das Netz zusammenbrechen und sorgte dafür, dass die Stromtrasse nach Frankreich automatisch unterbrochen wurde, um die Ausbreitung des Stromkollapses zu stoppen.
Was aber diese gigantische Energiemenge über fünf Sekunden verschwinden ließ, darüber herrscht auch am Tag danach noch Rätselraten.
Es sei ein "absolut außerordentliches Ereignis", ließ der Direktor der spanischen Netzaufsicht mitteilen: "etwas, das es in diesem Ausmaß, aber auch mit diesen technischen Umständen noch nie gegeben hat." Experten, in Spanien, aber auch international liefern Theorien, viele davon widersprüchlich. Bestätigungen, auch von Seiten der Behörden, bleiben bisher aus. Die sozialistische Regierung, angeführt von Regierungschef Pedro Sánchez, beschränkt sich darauf, dass man "nicht spekulieren" und keine "Information mit fragwürdiger Herkunft" veröffentlichen werde.
Ein außerordentlich großer und komplexer Cyberangriff
Ein Cyberangriff, das war die erste Vermutung, die in Medien, vor allem aber in den sozialen Medien hochkochte. Angeheizt wurden die Spekulationen zuerst vom Gouverneur der Region Andalusien, Juan Manuel Moreno Bonilla, der erklärte, dass nach den Informationen, die er vom Zentrum für Cybersicherheit seiner Region bekommen habe, "alles darauf hindeutet, dass ein Stromkollaps solchen Ausmaßes nur durch einen Cyberangriff ausgelöst werden kann".
In Brüssel reagierte kurz darauf die Vizepräsidentin der EU-Kommission, die Spanierin Teresa Ribera, die versuchte, die rasch überkochenden Gerüchte wieder einzufangen. Sie sei in Kontakt mit den spanischen und portugiesischen Behörden und es gebe "keinerlei Hinweise, dass der Kollaps bewusst verursacht worden ist".
"In dieser Größe, das wäre extrem kompliziert"
Die Abteilungen für Cybersicherheit, sowohl des zivilen als auch des militärischen Geheimdienstes Spaniens, haben dem Fall höchste Priorität eingeräumt. Über die bisherigen Ergebnisse ihrer Untersuchungen geben sie aber nichts bekannt.
Experten betonen, dass ein Stromkollaps dieser Größenordnung nur durch eine "sehr komplexe Cyberattacke" verursacht werden könne. "Es gibt in Spanien zahlreiche von einander getrennte Stromnetze", betont ein Spezialist für Cyberangriffe gegenüber der Tageszeitung El Pais. Ein anderer Experte am King's College in London macht wiederum deutlich, dass solche Angriffe möglich seien "in Theorie und Praxis. Die Energienetze sind komplex, aber zugleich voll von Schwachpunkten, die man ins Visier nehmen kann".
Mögliche Ziele wären etwa Trafostationen oder Umspannwerke: Sei die dortige Hardware einmal beschädigt, könne sich der Kollaps rasch ausbreiten: "Aber einen Angriff dieser Größe zu koordinieren und die Attacken zeitlich aufeinander abzustimmen, sei extrem kompliziert."
Kleine und großflächige Angriffe gab es durch Russen in der Ukraine
Wie überall in Europa hat auch in Spanien die Zahl an registrierten Cyberangriffen drastisch zugenommen. Allein 2023 wurden 108.000 Zwischenfälle dieser Art registriert, gegen Unternehmen, Behörden, zivile Einrichtungen aller Art. Die zuständigen Behörden registrieren aber nicht nur immer mehr, sondern auch technisch immer anspruchsvollere Attacken, die auch miteinander koordiniert wären, um so mehr Schaden anzurichten.
Großflächige Attacken gegen das Stromnetz hat es aber vor allem in der Ukraine gegeben, allesamt durch Hackerbrigaden aus Russland. Die größte davon richtete sich schon 2015 gegen eine Region im Westen des Landes. Eineinhalb Millionen Haushalte wurden dabei von der Stromversorgung abgeschnitten. Die dabei eingesetzte Software wird unter dem Titel "Black Energy" gehandelt.
Ein Wetterphänomen, aber welches?
Eine weit harmlosere Ursache für den Stromkollaps wäre ein Wetterphänomen. Dass das die Ursache sein könnte, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters und berief sich dabei auf Spaniens staatliche Energienetzbetreiber, die aber später dementierten. Vor allem eine plötzliche starke Temperaturschwankung im Landesinneren könne für einen solchen Zwischenfall verantwortlich sein.
Spanien hat in den vergangenen Wochen außerordentlich starke Regenfälle erlebt, in manchen Regionen aber auch Trockenheit und Hitze. Doch auch für diese Vermutungen gibt es bisher keinerlei Daten, die darauf hinweisen könnten. Die müssen erst aus den einzelnen Einrichtungen der Stromnetzbetreiber zusammengetragen werden. Ein Experte vergleicht das mit der Suche nach der Black Box nach einem Flugzeugabsturz.
Ursache für kompletten Stromausfall unklar
Sind die Erneuerbaren verantwortlich, oder die Atomkraftwerke?
Wie jedes europäische Stromnetz sind auch die von Spanien und Portugal immer mehr von erneuerbarer Energie abhängig. Im Fall Spaniens kommen rund 45 Prozent des Stroms aus Windkraft- oder Solaranlagen. Deren Produktion unterliegt naturgemäß großen Schwankungen und auch Spaniens Stromnetz hat seit Jahren Probleme, diese immer größeren Schwankungen auszugleichen.
Verantwortlich dafür sind die fünf Atomkraftwerke des Landes, die die sogenannte Grundlast für das Netz liefern. Deren Betreiber, die auf einen Ausbau der Atomkraft in Spanien drängen, betonen die Bedeutung der Atomenergie für die Verlässlichkeit der Stromversorgung. Die Vertreter der erneuerbaren Energiequellen wiederum weisen darauf hin, dass die relativ rasche Wiederherstellung der Stromversorgung nur durch die Erneuerbaren möglich gewesen sei. Die Atomreaktoren, die durch den Stromausfall automatisch gestoppt wurden, könnten nur sehr langsam wieder hochgefahren werden.
Wilde Gerüchte gehen weiter um
Während also weiterhin verlässliche Informationen über die Ursache fehlen, kursieren wilde und widersprüchliche Gerüchte im anhaltenden Tempo. So berichteten spanische Medien, dass in einer großen Ölraffinerie des Landes schon vor Tagen ein völlig ungewöhnlicher Stromausfall registriert worden sei, der auch den Behörden gemeldet wurde. Anderorts vermutet man wiederum einen Cyberangriff, der sich gegen den Parteitag der Europäischen Volkspartei in Valencia gerichtet habe, der dort in diesen Tagen stattfindet.
Handfeste Hinweise, so einer der Experten gegenüber El Pais, gebe es aber nicht, daher sei es wichtig "zu untersuchen und nicht auf Gerüchte, oder Desinformation hereinzufallen."
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