So will Putin seine Spiele schützen
Silvester ist in Russland eigentlich ein Fest der Besinnlichkeit: Anders als in Europa knallen nämlich keine Sektkorken, sondern in den Wohnzimmern steht ein Baum mit Kerzen und Geschenken darunter. Heuer wird das Fest im ehemaligen Zarenreich noch stiller ausfallen als sonst: Russland steht nach den beiden verheerenden Anschlägen in Wolgograd im Bann des Terrors.
Insgesamt 33 Menschenleben haben die zwei Selbstmordattentate gefordert. Wer dahinter steckt, ist bis dato noch nicht klar: Die Drahtzieher der Anschläge werden zwar im Nordkaukasus vermutet, bekannt hat sich zu den Anschlägen bislang aber niemand. Das ist auch nicht zwingend nötig: Der islamistische Separatistenführer Doku Umarow hat bereits im Sommer klar gemacht, dass die Olympischen Spiele in Sotschi sein Ziel sind. Blut und Tränen versprach er den Russen damals - jetzt hat er sie bekommen (siehe dazu auch unten).
Bis zur Ausradierung
Festung Sotschi
Auch der Luftraum ist eine Zone der Totalüberwachung: Zwölf Drohnen werden im Einsatz sein, U-Boote sichern die Küstenregion der Stadt. Zudem hat man Kampfjets in Alarmbereitschaft, S-400 Boden-Luft-Raketen schützen die Region darüber hinaus vor möglichen Angriffen aus der Luft.
Geiseldrama oder Selbstmordattentat
Derzeit hofft man im Riesenreich darauf, dass zumindest der Jahreswechsel ruhig verläuft. Und dass die Tage bis zum orthodoxen Weihnachtsfest am 7. Januar ebenso bleiben – dann knallen nämlich auch in Russland traditionellerweise unter ausgelassener Stimmung die Sektkorken.
Der Rauch des ersten Anschlags von Wolgograd hatte sich kaum verzogen, schon hatten die russischen Medien ein Bild der Attentäterin parat: Eine junge „schwarze Witwe“ würde hinter dem Attentat auf den Bahnhof stecken, bei dem 17 Menschen ihr Leben ließen. Ebenso schnell war klar, woher der Terror kam: Aus dem Nordkaukasus, aus jenen Regionen Südrusslands, die seit Jahren um ihre Loslösung vom Riesenreich kämpfen – mit blutigen Mitteln.
Dass die Verdächtige schlussendlich nicht die Attentäterin war, ist im Endeffekt egal. Denn sie steht sinnbildlich für die Gefahr, die die Russen im Kaukasus sehen. Schwarze Witwen, die übriggebliebenen Ehefrauen islamistischer Kämpfer, sollen den Krieg bis ins Herz des ehemaligen Zarenreichs tragen. Unverdächtige Frauen mit schwarzen Kopftüchern: So entspricht es der Vorstellung der Russen; und so entspricht es in gewisser Weise auch dem Diktum von Doku Umarow.
Mythos Kaukasus
Der gebürtige Tschetschene hat sich in den vergangenen Jahren zum Führer der islamistischen Separatisten in Südrussland aufgeschwungen. Er bedient den Jahrhunderte alten Wunsch nach Loslösung vom Riesenreich mit islamistischen Ideen: War es während der beiden Tschetschenienkriege Schamil Bassajew, der die Idee vom eigenen Staat im Kaukasus mit blutigen Mitteln durchsetzen wollte, ist es spätestens seit dessen Tod 2006 der bärtige Umarow.
Wie alt der Pate ist, darüber herrscht Rätselraten – auch seine genaue Sozialisation ist mehr Legende als verbrieft. 1964 soll er in Tschetschenien zur Welt gekommen sein, soll in Moskau studiert haben, als 1994 der erste Tschetschenienkrieg ausbrach. Bald darauf fand er sich bereits im Führungsgremium der „Tschetschenischen Republik Itschkeria“ wieder, einem Separatistengebilde, das von der UNO nie anerkannt wurde. Ebenso wie das „Kaukasische Emirat“, das Umarow höchstselbst 2007 ausrief: Er erklärte sich zum Emir eines von Russland unabhängigen islamischen Gottesstaates, der beinahe alle kaukasische Teilrepubliken umfasst.
Todesbringer
Dafür, dass dieser nicht nur in den Köpfen seiner Gefolgsleute existiert, sollen seine „Smertnicy“ sorgen: Selbstmordattentäter, die den Krieg vom Kaukasus weg ins Herzen Russlands tragen sollen. Umarow selbst ist dafür nichts zu blutig: Nach dem fatalen Geiseldrama in einer Schule in Beslan, bei dem 360 Menschen – darunter viele Kinder – starben, wurde er von Überlebenden als einer der Angreifer identifiziert. Die Anschläge auf die Moskauer Metro mit 40 Toten und auf den Schnellzug zwischen der Hauptstadt und St. Petersburg mit 26 Opfern gehen ebenso auf sein Konto wie der Selbstmordanschlag auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo im Jahr 2011 (siehe Chronologie unten).
Auch die letzte Anschlagsserie in der Wolgaregion trägt seine Handschrift. Nicht zuletzt deshalb, weil Umarow im Sommer per Videobotschaft dazu aufgerufen hat, die Olympischen Spiele in Sotschi mit Anschlägen übersäen zu wollen. „Blut und Tränen“ hat der Tschetschene den Russen versprochen. „Der Krieg wird in ihre Straßen kommen, der Krieg wird in ihre Häuser kommen.“
Kriegstreiberei
Ergebnis dieser Rhetorik ist nicht zuletzt eine wachsende Feindseligkeit der Russen gegenüber Kaukasiern, die aus ihrer Heimat Richtung Norden fliehen, um dem Krieg zu entgehen. Die Ausgewanderten sind deshalb - vor allem in Moskau - mit rassistischer Gewalt konfrontiert, werden verpügelt, gejagt und vor allem von der russischen Polizei traktiert. Sein Terrorregime bedient auch Feindbilder jedweder Art: Ramsan Kadyrow, Putins Statthalter in Tschetschenien, glaubt sogar, dass „Umarow von unseren Feinden aus dem Westen und Europa instrumentalisiert“ werde.
Putin selbst sieht in Umarow jedenfalls den Staatsfeind Nummer eins. Auch die UNO und die USA fahnden auf Betreiben des Kremlchefs nach dem bärtigen Paten, der in Videobotschaften fast immer mit schwarzer Kappe zu sehen ist. Was Putin ihm entgegensetzt - die Sicherheitsvorkehrungen für Sotschi ließ er sich einige Milliarden Euro kosten - gibt dessen eigenen Streben nach Allmacht in Russland aber auch Auftrieb: Der Kremlherrscher kann sich so zum starken Mann stilisieren - mit Aussagen wie „wir werden die Terroristen überallhin verfolgen. Wir werden sie auf dem Klo kaltmachen.“
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