Sorge in Italien: Werden Migranten Putins nächste "Waffe"?
Geheimdienstquellen vermuten den russischen Präsidenten hinter den steigenden Migrantenzahlen: Putins Ziel könnte es sein, so die italienischen Wahlen im September zu beeinflussen.
09.08.22, 05:00
Aus Mailand, Andrea Affaticati
So zynisch es auch klingen mag, für den nationalpopulistischen Chef der Lega, Matteo Salvini, sind die Migranten, die täglich auf der sizilianischen Insel Lampedusa stranden, so etwas wie ein Geschenk: Am 25. September finden in Italien vorgezogene Parlamentswahlen statt, und Salvini ist nach Lampedusa geflogen, um sich ein Bild vor Ort zu machen. Das Auffanglager ist für 350 Menschen gebaut, jetzt sind es mehr als drei Mal so viele, die unter menschenunwürdigen Zuständen dort ausharren. Sollte das Rechts-Mitte-Lager die Wahlen gewinnen, verspricht der Kreml-freundliche Salvini, Italiens Küsten wieder gegen Migranten dichtzumachen.
Dass sich im Sommer bei spiegelglattem Meer mehr Menschen von Libyen aus auf die gefährliche Mittelmeerroute wagen, ist nichts Neues. Heuer sind es aber ungewöhnlich viele. Im Vorjahr waren es insgesamt knapp 29.000. Aber heuer sind schon mehr als 41.000 angekommen.
Das wirft die Frage auf, ob hinter diesem steigenden Migrantenfluss nicht jemand stecke – vielleicht der Kreml –, der auf diese Weise versucht, die Wahlen in Italien zu beeinflussen.
Die Aussage einer qualifizierten Quelle der italienischen Geheimdienste nährt diese Vermutung: „Libyen ist eine auf die italienischen Parlamentswahlen gerichtete Kanone“, sagte ein Geheimdienstmitarbeiter der italienischen Tageszeitung La Repubblica.
Der Großteil der Migranten steche von der libyschen Cyrenaika-Küste aus ins Meer, fügte der anonym gebliebene Informant hinzu. Dieser Teil der libyschen Küste wird von den Milizen des rebellischen Befehlshabers Khalifa Haftar kontrolliert, der wiederum die Unterstützung Russlands genießt. Zudem sind in dieser Region Söldner der berüchtigten, russischen Wagner-Gruppe stationiert.
„Die Vermutung, dass der Kreml auch die Migranten nutzt, um die EU zu destabilisieren, ist mehr als berechtigt“ sagt Marco Minniti, ehemaliger Innenminister und heute Präsident der Stiftung Med-Or, die sich für Kooperationen im Bildungs-, Kultur- und Unternehmensbereich mit den nordafrikanischen- und Mitteloststaaten einsetzt, dem KURIER.
Um die Geschehnisse richtig einzuordnen, so Minniti, müsse man aber auf die weltweiten Folgen des Kriegs in der Ukraine blicken: Zum einen auf die Energieknappheit, zum anderen auf die Ernährungskrise und die daraus folgende humanitäre Krise. „Alle drei können zu starken gesellschaftlichen Destabilisierungen führen.“
„Selbstzerstörung“
Dabei seien die Folgen nicht nur in Italien, sondern viel weitreichender spürbar, erwartet der Ex-Minister. Minniti erinnert daran, dass Putin einst die westlichen Demokratien als „dekadent und verdorben“ beschrieben hatte.
„Schauen wir doch auf Großbritannien und Frankreich. Premier Boris Johnson musste zurücktreten, Präsident Emmanuel Macron muss mit einer Regierung zusammenarbeiten, die ihm nicht besonders wohl gesonnen ist. Es ist nicht auszuschließen, dass Putin auf die Selbstzerstörung der westlichen Demokratien setzt – und versucht, diese mit dem Krieg in der Ukraine weiter anzufeuern.“
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