Söder und Seehofer: Plötzlich Freunde
Da stehen sie nun auf der Bühne, schütteln sich die Hände, der Alte klopft dem Jungen auf die Schultern, wie ein Vater seinem Sohn. Bloß, dass hier Parteichef und Spitzenkandidat Nettigkeiten austauschen. Eigentlich nicht ungewöhnlich, würde man meinen. Doch, was sich hier auf der Theaterbühne in Horst Seehofers Heimatstadt abspielt, ist mäßige Schauspielkunst. Das Stück könnte heißen: Plötzlich Freunde.
Davon sind die beiden Hauptdarsteller in der Realität aber weit entfernt. Hinter den Kulissen brodelt es: Es geht um die große Schuldfrage: Wer wird verantwortlich sein, wenn die CSU am Sonntag eine historische Niederlage einfährt? Je tiefer die Umfragewerte sinken (aktuell stehen sie bei 33 Prozent), umso mehr arbeitete sich Markus Söder in den vergangenen Monaten an der Politik in Berlin ab. Sie habe die Zahlen geprägt, erklärte er am Wochenende auch via Bild-Zeitung. Womit er Horst Seehofer in die Verantwortung zieht: Als Innenminister war er bisher in alle Krisen verstrickt: Der Streit um die Flüchtlingspolitik oder den Verfassungsschutzchef. Doch Seehofer will sich nicht zum Sündenbock machen lassen. Er habe sich nie in die Wahlkampfführung eingemischt, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Das sei „das persönliche Vorrecht des Ministerpräsidenten Markus Söder. Er ist zuständig für strategische Überlegungen im Wahlkampf.“ Soll heißen: Das Problem ist in München.
Streit, welcher Streit?
In Ingolstadt will jedenfalls keiner von beiden etwas von den Streitereien wissen. Die CSU-Politiker kommen getrennt, verschwinden in einem Nebenraum der Stadthalle. Aussprache oder Absprache, das bleibt ihr Geheimnis. Dann folgt der Einzug zu dramatischer Musik: Kaum Platz genommen baut sich eine Fotografenwand vor ihnen auf. Kameras blitzen, beide lächeln, auch wenn ihnen vielleicht nicht danach ist.
Dann muss Söder auf die Bühne, versucht, die Situation mit einem Witz zu entschärfen: Er und der Parteichef hätten zuletzt überlegt, wie man im Schlussspurt noch einmal eine möglichst breite Öffentlichkeit erreichen könne. „Und da haben Horst Seehofer und ich entschieden, dass wir das gemeinsam in bewährter Weise machen. Das ist uns auch gelungen“. Dann hält der 51-Jährige seine Standard-Rede: schwärmt von der Wirtschafts-Bilanz, wirbt mit mehr Geld für Familien und Pflegekräfte, dabei gestikuliert er viel, hebt die Stimme und schlägt dann wieder leise Töne an, wenn er etwa den Landesvater mimt. Attacken nach Berlin verkneift er sich, spricht oft den „lieben Horst“ an. Doch am liebsten redet Söder über Söder.
Während andere nach dem Motto „Ego-First“ leben, steht er für Versöhnung und Kompromiss. Es braucht in Zeiten der Zersplitterung „eine Kraft, die zusammenhält“ – das will er sein. Seehofer verfolgt alles mit stoischer Miene. Auch als Söder sein Raumfahrtprogramm verteidigt und kalauert: „Es geht uns nicht darum, jemanden auf den Mond zu schießen, wobei ich einige wüsste.“ Das gefällt dem Publikum im Saal, mal klatscht es höflich, dann wieder intensiver. So richtig euphorisch ist hier aber niemand.
Viele sind genervt vom Streit Seehofers mit Merkel. „Da hätte er ein paar Sachen besser nicht gesagt“, meinte eine Frau vor der Veranstaltung im Theaterfoyer. Überlegt kurz und beißt erst mal in ihre Brezel hinein, um dann dem „Lokalmatador“, wie ihn Generalsekretär Markus Blume später ankündigt, doch noch zur Seite zu springen: „Vieles wurde aber auch medial aufgebauscht.“ Und eines noch zu Merkel: „Die ist doch überarbeitet, ständig im Ausland unterwegs, das geht ja nicht.“ Ihre Begleiterin pflichtet ihr bei: „Die soll sich lieber mal um unser Land kümmern.“
Ein älteres Paar aus Ingolstadt sieht hingegen im internen Machtkampf den Grund für die schlechte Stimmung bei den Wählern. „Jeder schaut nur auf sich und seine Karriere“, sagt die 85-Jährige. Neugierig ist sie aber schon auf „den Söder“. Immerhin kommt sie auch aus Franken. Ihr Mann, ein Oberbayer, hat sie trotzdem geheiratet, sagt sie und lacht. Im Gegensatz zu dem Paar auf der Bühne, verstehen sie sich aber bestens, ergänzt ihr 89-jähriger Mann. Er kennt Seehofer seit seiner Kindheit. „Der kommt aus einfachen Verhältnissen, hat sich nach oben gearbeitet, ist aber auch ein Querulant, der besser vor einem Jahr gegangen wäre.“
Bittere Töne
Noch ist Seehofer aber hier. Nach knapp einer Stunde Söder-Rede betritt er langsam die Bühne, lächelt milde, stützt sich am Pult ab und bedankt sich bei dem Ministerpräsidenten für die „fulminante Rede“ und die „gute Zusammenarbeit zwischen München und Berlin.“ Nun ist also er dran, das „Beiprogramm“ in „seiner Heimatstadt“, erklärt er. Und setzt damit den Ton in seiner Rede: Ironie gemischt mit Bitterkeit. So klang er zuletzt auch bei vielen Pressekonferenzen oder Interviews in Berlin. Seehofer fühlt sich missverstanden, er sei der „Bös“, egal was er sage. Auf den Hickhack mit Söder geht er nur kurz ein, spricht von einem „ganz natürlichen Spannungsbogen“. Und die Kanzlerin? Seehofer räumt Diskussionen mit Merkel ein, erinnert aber daran, dass sie ihn vor einem Jahr auf ihrer „berühmten Couch gefragt habe, ob sie mit ihm rechnen kann“ - nach so vielen Jahren sollte sie ihn ja kennen. Gelächter im Saal. Dann wird der 69-Jährige mit Blick auf seine Politik noch einmal grundsätzlich: Zuwanderung müsse begrenzt werden, damit Integration funktioniert, und ergänzt wieder mit einem leicht bitteren Tonfall: „Man kann mir alles nehmen, aber nicht meine Überzeugung.“
Klingt so ein Abschied? Viele, die Seehofer kennen, meinen, er will kämpfen. Auch in der Welt am Sonntag kündigte er an, weiterzumachen, er habe noch „ein großes Werk zu verrichten“. Ganz so einfach wird es nicht: Seehofer ist Teil des Problems, das viele in Berlin verorten. Unter vielen Parteivorderen der CSU herrscht Konsens, dass er gehen muss. Montagabend lässt er sich aber Zeit: Er posiert für Fotos, hört den Senioren zu, die sich zu ihm nach vorne drängeln. Eine ältere Frau fasst ihn am Arm an. Seehofer lässt es zu. Es könnte ja das letzte Mal sein.
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