„So wurden wir erzogen“: Royal-Fans erweisen Queen die letzte Ehre
Als die ersten, schweren Orgelklänge durch die Lautsprecher bei der Horse Guard Parade hallen, wischt sich Carol Franklin Adams über die Augen. Enkelin Nessie beugt sich vor. „Alles okay?“ Carol nickt, die Augen nass vor Tränen. Tochter Daisy drückt ihr den Oberarm.
Die drei stehen eng verschlungen auf einer kleinen Trittleiter, recken die Köpfe über die Reihen an Menschen hinweg, um einen Blick auf die Soldaten zu erhaschen, die regungslos auf dem Platz stehen; jeder Muskel angespannt, bereit für die Prozession, die nach dem Trauergottesdienst durch die Innenstadt ziehen wird.
Seit den frühen Morgenstunden liegt in London eine besondere Stimmung in der Luft, selbst in den Außenbezirken, abseits des Trubels. An gewöhnlichen Feiertagen haben die meisten Geschäfte für ein paar Stunden offen. Doch als Zeichen des Respekts haben die meisten ganz geschlossen. Und so ist es surreal ruhig, sind doch nur jene unterwegs, die sich einen Platz entlang der Parade sichern möchten.
Lange Schlangen
Mit jeder Gasse, die man näher ans Zentrum rückt, nimmt die Zahl der Polizisten, Marshalls und Helfer in Warnwesten zu. Sie weisen den Passanten den Weg, entlang Absperrgittern und Sicherheitspollern, leiten weg von den grünen Wänden, die um das Zentrum von Westminster errichtet wurden und die nur für jene mit Sicherheitsakkreditierung zugänglich sind.
Im St. James Park bilden sich am Vormittag meterlange Schlangen vor den Toiletten und den wenigen Cafés, die offen haben. Zwei der Wartenden, gehüllt in Union-Jack-Fahnen, sind Sarah Tailor und Cindy Buxton aus Essex.
Die Freundinnen brauchen eine Stärkung, nachdem sie die Nacht im Park verbracht haben. Nur mit Schlafsack, ohne Zelt. War das nicht kalt? „Gar nicht.“
"Wir sind Royalisten"
Das Ausharren in frischer Luft sind sie gewohnt. Sie haben sich am Donnerstag 14 Stunden angestellt, um den Sarg zu sehen. Warum ihnen das wichtig war? „Wir sind Royalisten. So wurden wir erzogen“, sagt Cindy Buxton. „Meine Mutter hat wegen der Queen sogar die Geburt meines Sohnes verpasst.“ Seit dem Silberjubiläum 1977 hätte sie jedes Event besucht.
Auch Carol Franklin Adams auf der Trittleiter kann sich noch gut an das Silberjubiläum erinnern. Damals hat sie Tochter Daisy das erste Mal mitgenommen. „Es sind einfach einmalige Erlebnisse.“
Sogar das Baby ist dabei
Die wollen manche Briten selbst den Jüngsten nicht nehmen. Etwas abseits sitzt Melis Goksal aus Südlondon – schwarz gekleidet wie so viele Engländer – mit ihrem zwei Monate alten Buben im Gras. „Er wird später einmal sagen können, dass er dabei war“, sagt sie und dann geht eine Welle des Applauses durch die Menge. Ihr Mann dreht sich zu ihr, klärt auf: Die Königsfamilie ist gerade vorbeigefahren.
Immer wieder wird man von den Emotionen der Masse mitgerissen: Von der Aufregung, als die Soldaten Position beziehen; der Schwere, als der Gottesdienst übertragen wird; der Dankbarkeit während der zwei Schweigeminuten, als die Tausenden Menschen den Kopf senken und für einige Augenblicke alles still ist.
"Schlechtes Gewissen"
Gill Mungavin aus Brighton ist sogar direkt von der Sargbesichtigung zur Parade gekommen. „Vielleicht war es auch ein bisschen das schlechte Gewissen, weil wir sie zu Lebzeiten nie gesehen haben. Und so wollten wir uns zumindest gebührend verabschieden.“
„Es ist einfach der Respekt, der ihr gebührt“, sagt Carol Franklin Adams. Und dann kommen ihr noch einmal die Tränen, als der Sarg an der Menge vorbeirollt.
Kommentare