Serbien steckt in größter politischer Krise seit Sturz von Milošević-Regime

President of Burundi Evariste Ndayishimiye visits Serbia
Der umstrittene Präsident Aleksandar Vučić befindet sich auf der Suche nach einem Ausweg aus der Krise. Der Druck wird immer höher.

Zusammenfassung

  • Serbiens Präsident Vučić beauftragte überraschend den politisch unerfahrenen Arzt Đuro Macut mit der Regierungsbildung.
  • Vučić plant für die Präsidentschaftswahl 2027 und bringt Zoran Janković als möglichen Nachfolger ins Spiel.
  • Die politische Krise, ausgelöst durch einen tödlichen Unfall, wird durch landesweite Proteste und Korruptionsvorwürfe verschärft.

Als Serbiens Präsident Aleksandar Vučić am Sonntagabend den Belgrader Arzt Đuro Macut mit der Regierungsbildung beauftragte, war dies eine Überraschung für die breite Öffentlichkeit.

Seit 5 Monaten steckt das Land in einer tiefen politischen Krise, womöglich der tiefsten seit dem Sturz des Regimes von Slobodan Milošević im Jahr 2000. Dass es Macut, der keine politische Erfahrung hat, gelingen soll, eine Lösung für landesweite Probleme zu finden, scheint undenkbar.

Vielmehr entsteht der Eindruck, dass sich Vučić, dessen Amtsbefugnisse laut der Verfassung eigentlich sehr beschränkt sind, durch Macut einen noch stärkeren Einfluss auf die Regierungsgeschäfte sichern will.

Vucic plant bereits für Präsidentschaftswahl 2027

Nach Ansicht der Politologin Vesna Pešić, die Ende der 1990er-Jahre eine der oppositionellen Spitzenpolitikerinnen war, habe Vučić mit seiner Entscheidung bestätigt, dass man nicht mit Rechtsstaatlichkeit rechnen könne, solange er im Amt sei. Die zweite Amtszeit von Vučić läuft noch bis Mai 2027. Gerade am Sonntag hatte der Staatschef angedeutet, dass er bereits Pläne zu seiner politischen Zukunft macht. Mit 57 Jahren wird es dann wohl noch verfrüht für eine politische Pension sein.

Vučić brachte nämlich seinen in Serbien geborenen Freund, den langjährigen Bürgermeister der slowenischen Hauptstadt von Ljubljana, Zoran Janković, ins Spiel. Er glaube, dass man bei künftigen Wahlen von Janković mehr als nur eine Beraterrolle erwarten könne. "Ich würde mir wünschen, dass er die Hauptrolle übernimmt und ich als sein Helfer fungiere", so Vučić, wenngleich er die im Frühjahr 2027 anstehenden Präsidentschaftswahlen nicht direkt erwähnte.

Eine Verfassungsänderung ist wohl nicht möglich

Zuvor waren in der, seit 2012 regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS), Ideen zu hören, die Verfassung abzuändern, um Vučić eine dritte Amtszeit zu ermöglichen. Allerdings wäre dafür eine Zweidrittelmehrheit im Parlament notwendig, welche das Regierungsbündnis derzeit nicht hat. Während Vučić Pläne zu seiner politischen Zukunft macht, scheint sich die Krise weiter zu vertiefen. Laut der nicht staatlichen Organisation CRTA wurden alleine im März landesweit über 1.697 Protestaktionen von Studenten, die seit Ende November alle staatlichen Universitäten unter Blockade halten, und unzufriedenen Bürgern veranstaltet. 

Präsident Vučić will am kommenden Samstagabend in Belgrad seinen Anhängern die, in der Entstehung begriffene, "Bewegung für das Volk und den Staat" vorstellen. Man vermutet, dass er sich damit von der in tiefer Korruption steckenden SNS distanzieren will, wenngleich auch diese künftig zur Bewegung gehören soll.

Großkundgebung am Samstagabend in Novi Pazar 

Gleichzeitig werden sich Protestierende bei einer weiteren großen Kundgebung versammeln, dieses Mal im südwestlichen Novi Pazar, dem Verwaltungszentrum der Raška-Region (Sandschak). Der letzte von Studenten einberufene Großprotest war am 15. März in Belgrad vorzeitig unterbrochen worden. 

Regierungskritische Experten gehen davon aus, dass die kurze Panik unter den Protestteilnehmern durch den Einsatz von Schallkanonen oder ähnlichem Gerät verursacht wurde. Am Sonntag bezeichnete Vučić ihre Aussagen erneut als "Lügen".

Die politische Krise war am 1. November durch den Einsturz des Bahnhofvordaches in Novi Sad ausgelöst worden. Bei dem Unfall kamen 16 Personen ums Leben. Dabei war der Bahnhof nach gut zweijähriger Renovierung nur wenige Monate zuvor feierlich eröffnet worden. In der Öffentlichkeit wird der Unfall allgemein auf die Korruption im Land zurückgeführt.  

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