Selenskij fordert mehr Feuerkraft von den USA

Ukraines Präsident Selenskij sprach zu den Abgeordneten des US-Kongresses
Aus Washington von Dirk Hautkapp
Es war die erwartete Mischung aus Flehen, trotziger Wehrhaftigkeit und zu Herzen gehender Emotion, die Wolodimir Selenskij am Mittwoch per Video in das Kapitol von Washington schickte. Nach ähnlich wuchtigen Auftritten vor den Parlamenten in Großbritannien und Kanada redete der aus Kiew zugeschaltete ukrainische Präsident den US-Parlamentariern fulminant ins Gewissen.
Er bat eindringlich um mehr und wirkungsvollere Militärhilfe gegen Moskau – vor allem aus der Luft. „Wir brauchen Sie jetzt“, rief er den Abgeordneten zu und bediente sich historischer Vergleiche. „Denken Sie an Pearl Harbor“, sagte Selenskij und erinnerte an den Überraschungsangriff Japans auf die US-Pazifikflotte im Dezember 1941. „Wenn Sie an die Ukraine denken, dann erinnern Sie sich an die Angriffe vom 11. September 2001.“ Beide Attacken auf Amerika kamen aus der Luft.
Die Ukraine erlebe seit drei Wochen jeden Tag, jede Nacht Pearl Harbor und 9/11, sagte der Präsident. Wenn es zu viel verlangt sei, eine Flugverbotszone über der Ukraine einzurichten, um den Terror Russlands zu stoppen, dann müsse Amerika seinem Land mit Kampfjets und Flugabwehrsystemen helfen; etwa mit S-300-Systemen aus sowjetischer Produktion, wie sie in den NATO-Ländern Slowakei, Bulgarien und Griechenland vorrätig sind. Denn Russland habe den Himmel über der Ukraine in eine „Quelle des Todes verwandelt“.
„Schließt den Himmel!“
In seiner zum Auftakt und zum Ende von Ovationen
im Stehen begleiteten knapp 15-minütigen Ansprache, in der sich der 44-Jährige ausdrücklich mehrfach bei den USA für bereits geleistete Hilfe bedankte, zeigte der Präsident am Ende einen schwer verdaulichen Video-Zusammenschnitt, der die Ukraine vor und nach den russischen Angriffen zeigte.

Bilder aus der Ukraine - schockierte Kongressabgeordnete
Bilder von Zerstörung, Toten, darunter viele Kinder, Verzweiflung und unermesslichem Leid, das alles untermalt von dramatischer Musik, gipfelten in der klaren Aufforderung: „Schließt den Himmel über der Ukraine!“
„Führer des Friedens“
Selenskij sprach mehrfach Joe Biden direkt an: „Seien Sie der Führer der Welt“, rief Selenskij, „seien Sie der Führer des Friedens!“Joe Biden aber weist das Drängen des ukrainischen Prässidenten in entscheidenden Punkten indirekt zurück.
Weder unterstützt er die Einrichtung einer von NATO-Piloten gesicherten Flugverbotszone. Noch kann er der Forderung viel abgewinnen, Kiew Kampfjets zur Verfügung zu stellen, damit sich das Land selbst besser verteidigen kann. Er bleibt bei seiner Auffassung, dass sie auf eine direkte Konfrontation USA/NATO gegen Russland hinauslaufen und einen dritten Weltkrieg auslösen könnten.
Stattdessen will Biden mehr Militärhilfe zur Verfügung stellen. Nach rund 550 Millionen Dollar sollen nun weitere 800 Millionen Dollar freigegeben werden. Insgesamt stehen im US-Haushalt rund 14 Milliarden Dollar für die Ukraine bereit, knapp 4 Milliarden davon für militärische Dinge.
Der Löwenanteil der Maßnahmen, die Biden am Nachmittag vorstellte, entfällt auf Panzerabwehr- und Flugabwehr-Raketen vom Typ Javelin und Stinger. Dazu kommen: Granatwerfer, Gewehre, Radarsysteme, Munition und Hubschrauber.
Parteiübergreifend wächst indes der Widerstand. Mehrere Politiker werben dafür, Putin jetzt in den Arm zu fallen; auch mit der Lieferung von Fluggerät. Andernfalls werde der Kreml bei der nächsten Attacke gegen den Westen noch rücksichtsloser auftreten.
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