Schwierige Saison: Tourismus in Risikoländern
Monatelang in Vorfreude auf den Urlaub am Meer, in den Bergen oder fernen Ländern schwelgen – ein Relikt der Vergangenheit. Stattdessen gibt es heuer vage Reisepläne oder ein Schulterzucken und ein knappes: „Mal sehen.“ Wen das Fernweh plagt, der hat es heuer nicht leicht. Wer weiß schon, was in ein paar Wochen ist? In welchem Land, welcher Region, welchem Nest das Virus zuschlägt?
Orientierung bieten die Reisewarnungen des Außenministeriums, die laufend der Situation angepasst werden. Seit Mittwoch gilt die Warnung für Bosnien-Herzegowina, den Kosovo, Nordmazedonien, Albanien, Montenegro und Serbien. Ein herber Schlag für alle, die dort ihre Familien besuchen wollten.
Auch in der EU gibt es derzeit (abgesehen von der norditalienischen Lombardei und zwei Kreisen in Nordrhein-Westfalen) drei Länder, über die eine Reisewarnung verhängt wurde: Großbritannien, Portugal und Schweden (siehe auch unten).
Drei Länder, drei Strategien. Schweden setzte auf einen Weg, der lange durchgehalten werden kann. Also kein Lockdown, Kindergärten, Schulen (bis zur Oberstufe) blieben offen, nur die Unis schlossen. Homeoffice wurde angeraten, von Reisen und Öffis abgeraten. Verboten waren nur Besuche in Alters- und Pflegeheimen. Bilanz bis 3. Juli: 71.419 Infizierte (plus 1.998 in 48 Stunden) und 5.420 Tote (plus 50).
In Portugal, das wie Schweden zehn Millionen Einwohner zählt, wurden 42.782 Infizierte (plus 328 seit Vortag) und 1.587 Tote (plus 8) gezählt. Lange Zeit galt Portugals Kurs als mustergültig, doch das Virus flammte immer wieder auf. Zuletzt gab es zahlreiche Neuinfektionen in den Außenbezirken von Lissabon – samt regionalem Lockdown.
In Großbritannien nahm Premier Boris Johnson das Virus erst ernst, nachdem er selbst auf der Intensivstation gelandet war. Resultat: Kein anderes Land in Europa verzeichnet so viele Corona-Todesfälle. Mehr als 43.700 starben nach einer bestätigten Infektion, in über 54.000 Sterbefällen gilt Corona als Ursache.
Herzlich willkommen, das sind Briten, Schweden, Portugiesen heuer nicht. Wer von ihnen trotzdem dem Fernweh erliegt, muss jedenfalls ein aktuelles Corona-Testergebnis einpacken.
Doch auch für alle anderen gilt: Hirn einschalten, egal, wohin es einen treibt.
Großbritannien: Heimaturlaub und Traum vom Süden
Katherine Edwards, 32, musste heuer einen New York-Besuch und eine Kreuzfahrt auf 2021 verschieben. „Vor Corona hätte das ein großes Reisejahr werden sollen“, sagt die Engländerin.
Für Briten, die sich nach Urlaub sehnen, beginnt die Sommersaison mit viel Verwirrung. Boris Johnsons Regierung hatte wegen der Pandemie Anfang Juni eine zweiwöchige Quarantänepflicht für Einreisende eingeführt, die ab 10. Juli für Ankünfte aus mehr als 50 Ländern mit „geringerem“ Risiko aufgehoben wird.
Luftbrücken
Um Sommerferien zu ermöglichen, das Virus aber in Schach zu halten, wollte Johnson schon Ende Juni Luftbrücken mit Ländern mit geringerem Ansteckungsrisiko ankündigen, in denen dann auch die Quarantäne fallen soll. Als europäisches Land mit den meisten Virus-Toten stieß man damit aber auf wenig Gegenliebe, und auch die schottische Regierung stellte sich quer. Bisher ist die Vereinbarung nur mit Spanien gelungen, das im Vorjahr 18 Millionen Briten als Urlauber hatte und diese Einnahmen braucht. Weitere Länder könnten aber folgen, so spekulierte die Sun über Deutschland, Frankreich, Italien und Dutzende weitere Staaten. Österreich erlaubt derzeit keine Flüge aus Großbritannien.
Verwirrung
Sean Tipton vom Reiseverband ABTA erwartet Verwirrung, aber auch, dass Spanien bei den Landsleuten hoch im Kurs bleibt. Patricia Yates vom Tourismusverband VisitBritain erwartet aber im Wesentlichen ein „Jahr des Inlandstourismus“, der seit gestern wieder erlaubt ist. In einer Umfrage von YouGov gaben nur elf Prozent der Briten an, ihren Urlaub im Ausland verbringen zu wollen. Campingplätze und Kanalboot-Vermieter melden viele Buchungen.
Katherine Edwards Familie hat auch den Nordwesten Englands im Auge, sollte ein erhoffter Sommer-Urlaub auf Korfu nicht möglich sein. „Dann treffen wir uns im Lake District.“
Portugal: Vom Musterschüler zum Außenseiter
Es ist bitter für die Portugiesen. Lange waren sie in Sachen Corona-Bekämpfung eine Art Musterschüler ähnlich wie Österreich, während in Spanien das Grauen tobte. Und jetzt? Jetzt ist Spanien als Urlaubsland wieder für alle offen, Spanier sind in der EU nicht mit Einreisebeschränkungen belegt. Die gibt es dafür für Portugiesen, und für ganz Portugal gilt eine Reisewarnung.
Derzeit versuchen die Behörden, eine neue Infektionswelle im Großraum Lissabon mit einem regionalen Lockdown in den Griff zu bekommen. Fußballfans zittern nun, dass das Champions-League-Finalturnier im August in Lissabon in Gefahr geraten könnte.
Reisen kein Thema
Ein Urlaub fern der Heimat, das ist für wenige Portugiesen ein Thema. „Sie machen einfach in ihrem eigenen, wunderschönen Land Urlaub, das ist ihnen am liebsten. Österreich zählte 2018 nur 51.000 portugiesische Gäste“, sagt Esther Maca, Wirtschaftsdelegierte der WKO in Lissabon.
Eng werde es an Portugals langen Küsten nicht so schnell. „Für genug Platz und Abstand sorgt ein Ampelsystem an verwalteten Stränden.“ Die Corona-Schutzmaßnahmen würden generell in Portugal sehr ernst genommen, sagt Maca.
20 Prozent der Gäste sind Briten
Der Tourismus hat mit 14 Prozent des BIP einen ähnlich hohen Stellenwert als Wirtschaftsmotor wie in Österreich. Den Löwenanteil der Gäste stellen mit 20 Prozent die Briten, gefolgt von den Deutschen mit 14 Prozent und den Spaniern und Franzosen mit je zehn Prozent. Mit einer Armada an britischen Urlaubsfliegern rechnet heuer niemand, um so wichtiger war die Öffnung der Grenzen zu Spanien am 1. Juli.
Sie wurde groß zelebriert: Spaniens König Felipe VI. und Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa sowie die Regierungschefs trafen einander zu Festakten auf beiden Grenzseiten – auch in der Hoffnung, das Virus in die Schranken weisen zu können.
Schweden: Alle wollen sich schnell testen lassen
Die reisefreudigen Schweden haben derzeit nur ein Thema in den sozialen Medien: „Wie komme ich schnell zum Corona-Test?“ Nur mit dem negativen Testergebnis, das nicht älter als 48 Stunden sein darf, umgehen die Schweden eine zweiwöchige Quarantäne, die ihnen bei der Einreise in coronasichere Länder drohen würde. Von unangenehmen Grenzkontrollen ganz zu schweigen. In der schwedischen Gerüchteküche brodelt es.
Viele Schweden verstehen überhaupt nicht, warum sie zum Hochrisikoland erklärt wurden. 45 Prozent sind weiterhin mit dem eingeschlagenen Sonderweg ihrer Regierung zufrieden. Doch die Zustimmungsraten sinken, im April waren es mit 56 Prozent noch deutlich mehr. Ganz logisch, dass das zu teils heftigen Diskussionen führt.
Überlastete App
Der Grund dafür ist eine häufig überlastete App, die man braucht, um sich einen Testtermin beschaffen zu können. Jedem Schweden steht jetzt theoretisch ein Coronatest zu. Praktisch wird die Testoption streckenweise gar nicht mehr angeboten. Und auch Privatärzte sind mittlerweile genervt und wimmeln ab. Man solle sich doch bitte an die lokalen Gesundheitszentren (Vårdcentralen) wenden. Doch diese verweisen wiederum auf die App, die der einzige Weg sei, um einen Corona-Test zu bekommen.
Ein privater Test kann bis zu 200 Euro kosten.
Erschüttertes Selbstbild
Die Isolation, die die reisefreudigen Schweden jetzt erfahren, hat das schwedische Selbstbild erschüttert. Am Montag setzte die Regierung in Stockholm eine Untersuchungskommission ein, die klären soll, wer sich zu verantworten hat. Dabei ist noch nicht ausgemacht, ob der schwedische Sonderweg erfolgreich war oder nicht.
Um sich Ärger im Ausland zu ersparen, bleiben viele Familien diesmal daheim. Sommerhäuschen werden heuer zu exorbitanten Preisen vermietet.
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