Schweiz spielt nach Referendum auf Zeit

Justizministerin Simonetta Sommaruga ist auf der Suche nach einer "tragbaren Lösung".

Umringt von einer Schar europäischer Journalisten, blickt die Schweizer Justizministerin enttäuscht in die Runde: Hat denn wirklich niemand eine Frage zum Menschenhandel, weswegen sie hier in Wien bei einer OSZE-Konferenz ist? Nein. Alle Fragen an Simonetta Sommaruga drehen sich um das Ja der Schweizer zur Begrenzung der Zuwanderung und deren Folgen. Und die Sätze, die Sommaruga dazu gebetsmühlenartig in jedes Mikrofon, in jede Kamera sagt, klingen beschwörend: "Wir mussten damit rechnen, dass es zu starken Reaktionen aus der EU und ihren Mitgliedsstaaten kommt. Aber das Wichtigste ist, dass wir weiterhin gute Beziehungen zur EU haben." Sie hoffe, dass sie eine für alle tragbare Lösung finden werden, so die Sozialdemokratin Sommaruga. Immerhin blieben ja drei Jahre Zeit, um Volkes Wille in Gesetzesform zu gießen. Wie diese Lösung aussehen könnte, darüber schwieg sie.

Nicht nur die Rosinen

Auf diese Frage antwortet ein paar Meter weiter Innenministerin Johanna Mikl-Leitner knapp, sie sei gegen "Zurufe", sondern für das persönliche Gespräch. Allerdings sei klar: "Mehr als 40.000 Österreicher leben und arbeiten in der Schweiz, dazu kommen noch gut 8100 Grenzgänger: Da wollen wir auch künftig keine Nachteile erleben. Ich halte auch nichts von Kontingentierungen. Die Freizügigkeit ist eine der Errungenschaften der EU, die wir nicht aufgeben wollen." Den Schweizern müsse klar sein, "dass man sich nicht nur die Rosinen herauspicken kann". Mikl-Leitner gibt sich zuversichtlich: "Die Schweiz hat großes Interesse daran, eine gute Lösung zu finden. Denn sie hat durch die Freizügigkeit mehr Vor- als Nachteile." Und für die Österreicher und die anderen EU-Bürger – mit Ausnahme der Kroaten – ändere sich in den nächsten drei Jahren ohnehin nichts.

Für Kroatien sieht die Sache anders aus. Am Wochenende teilte Sommaruga der Regierung des jüngsten EU-Landes mit, die Schweiz könne das Abkommen zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien nicht unterzeichnen. Denn die Regierung der Eidgenossenschaft darf keine völkerrechtlichen Verträge abschließen, die gegen den neuen Verfassungsartikel als Folge des Referendums verstießen.

Neues Referendum?

Die EU legte umgehend die Verhandlungen über eine Beteiligung der Schweiz am Erasmus-Plus-Programm und einem milliardenschweren Forschungsprogramm auf Eis. Nach Ansicht des Chefs der Sozialdemokraten, Christian Levrat, haben viele seiner Landsleute geglaubt, ihr Ja gegen "Massenzuwanderung" sei mit den bilateralen Verträgen mit der EU vereinbar. Sein Ausweg aus dem Dilemma: ein neues Referendum, sobald die Verträge gekündigt werden müssten.

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