Schweiz vor großer Abstimmung: Sollen Frauen auch ins Militär?
Zusammenfassung
- Die Service-Citoyen-Initiative fordert eine allgemeine Dienstpflicht für alle Schweizer Bürger, einschließlich Frauen, im Militär, Zivilschutz oder vergleichbaren Diensten.
- Die Initiative zielt auf eine breitere Definition von Sicherheit und gesellschaftlicher Verantwortung ab und will Geschlechterstereotype aufbrechen.
- Die Abstimmung am 30. November ist umstritten, insbesondere wegen Gleichstellungsfragen und möglicher Auswirkungen auf Nicht-Schweizer.
Schweizer Frauen sollen ins Militär. Das sieht die Service-Citoyen-Initiative vor, über die am kommenden Sonntag eine Volksabstimmung stattfindet. Hinter ihr steckt ein überparteiliches Komitee - 27 Personen aus der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie stammen nach eigenen Angaben aus allen Sprachregionen und politischen Lagern des Landes. "Gemeinsam stehen sie für eine Schweiz, die Verantwortung teilt und solidarisch in die Zukunft blickt", heißt es auf ihrer Webseite.
"Wir sind der Überzeugung, dass das Dienstpflicht-System, das wir in der Schweiz kennen, nicht mehr zeitgemäß ist", sagt Präsidentin Noemie Roten. So sieht der Artikel 59 der Bundesverfassung vor, dass jeder Schweizer verpflichtet ist, einen Dienst zu leisten - Schweizerinnen aber nicht. "Die Männer sind, sozusagen, die 'großen Beschützer an der Front'", führt Roten aus. In der theoretisch geeigneten Altersgruppe leistet dadurch nur ein Drittel einen Dienst, ein Fünftel in der Armee. "Sicherheit betrifft aber alle - Frauen wie Männer."
Geht es nach dem Komitee, sollen alle Schweizer Bürger einen Dienst zugunsten der Allgemeinheit erbringen. Entweder bei der Armee, im Zivilschutz oder als gleichwertiger und anerkannter Milizdienst. Personen, die keinen Dienst leisten, sollen wie heute eine Abgabe entrichten. Sie beträgt 3 Prozent des steuerpflichtigen Einkommens - wobei ein Mindestbeitrag von 400 Franken gilt - und wird zwischen dem 19. und 37. Lebensjahr erhoben.
Sicherheit nicht nur militärisch zu definieren
Auch zielt die Initiative darauf ab, die Sicherheit breiter zu definieren. "Sie wird derzeit vor allem als militärische Sicherheit definiert", erklärt Roten. Das Komitee sei zwar keine anti-militärische Gruppe. "Ich habe selbst Militärdienst geleistet, auf freiwilliger Basis. Wie fast alle, die mit mir die Initiative lanciert haben. Wir sind für eine starke Armee." Aber: Sicherheit ist für das Komitee auch Zivilschutz - in Krisensituation, bei Naturkatastrophen oder anderen Klima-Fragen und so weiter.
Dargestellt werden soll ein "vernünftiger Mittelweg". Laut Roten herrscht im Parlament "sehr viel Ideologie" rund um die Dienstpflicht. "Wir haben einen politisch linken Flügel, der die Armee nach wie vor abschaffen will", sagt sie. Trotz einer Volksabstimmung im Jahr 2013, die zu 73 Prozent abgelehnt wurde. "Und wir haben einen politisch rechten Flügel, der die Armee mit der Abschwächung des Zivildienstes stärken will." Der Zivildienst - der als Ersatz im Falle eines Gewissenskonfliktes definiert wird - ist nach deren Angaben eine "unfaire Konkurrenz" für die Armee.
Roten: "Und wir sagen, wir müssen sowohl das militärische wie auch das zivilgesellschaftliche Engagement stärken. Und erst, wenn alles gestärkt wird, sind wir sicher."
"Total blind" in Bezug auf Klimawandel
Geht es zum Beispiel um den Klimawandel ist die Schweiz schließlich "total blind", sagt Roten. "Wir denken immer, wir sind die Ausnahme und es betrifft uns eh nicht. Wir sind eh besser als alle anderen." Dabei sei das Land mit Maßnahmen bereits spät dran. "Die Folgen der Krise betreffen uns jetzt schon", so die Vorsitzende des Komitees weiter. Als Beispiel nannte sie die Naturkatastrophe in Blatten (Kanton Wallis) im Vorjahr: "Ein ganzes Dorf. Einfach verschüttet." Dort seien die Menschen "total unvorbereitet" gewesen - nicht einmal Wasser hatten sie bei sich zu Hause gelagert. Das Verhalten zeige, wie "arrogant" das Schweizer Volk ist, meint Roten. "Es geht uns zu gut."
Schlussendlich sei die Kampagne "keine Alarmismus-Kampagne", sagt Roten. "Das wollen die Leute nicht hören." Aber: "Wir müssen in der Lage sein, uns selbst zu verteidigen", sagt Roten. Vor allem in Zeiten wie diesen, wo auch Krieg in Europe herrscht. Die Mentalität: "Ja, ja, im Falle eines Falles, erwarten wir eh, dass alle andere für uns einspringen - NATO, oder keine Ahnung", sagt Roten, "hasst" sie. "Wir müssen diese Gelegenheit nutzen, um uns zu fragen, wie wollen wir als Gemeinschaft in Zukunft funktionieren. Was ist unser Beitrag zum Zusammenleben? Was ist Gemeinschaft überhaupt? Das sind sehr große Fragen, sehr philosophische Fragen. Aber wir sollten sie uns stellen." Und, darin, ob Bürger Mitverantwortung übernehmen müssen.
Große Debatte rund um Gleichstellung
Mit einem "Ja" für die Initiative würde sich aber insbesondere für junge Frauen viel ändern. Sowohl die Befürworter als auch die Gegner argumentieren dabei mit der Gleichstellung der Geschlechter.
"Mein Lieblingsartikel in der Bundesverfassung ist Artikel 6: 'individuelle und gesellschaftliche Verantwortung'", sagt Roten. Darin steht: "Jede Person nimmt Verantwortung für sich selbst wahr und trägt nach ihren Kräften zur Bewältigung der Aufgaben im Staat und Gesellschaft bei". Das Argument von Links ist, dass es keine zusätzlichen Pflichten für Frauen geben sollte, solang die Gleichstellung nicht geben ist. "Lohnmäßig, Care-Arbeit mäßig", erklärt die Komitee-Präsidentin. Sie sagt allerdings, dass das aktuelle System die Geschlechterstereotypen in der Schweiz weiter in der Kultur verankert.
Die Service-Citoyen-Initiative soll ein Teilansatz sein, wie man die Kultur weiterbringt. "Das heißt nicht, dass wir nicht auf vielen unterschiedlichen Ebenen Schritte vorwärts machen müssen. Diese Debatte zeigt, wie altmodisch unser Land wirklich ist. Wir sind nirgends mit der Gleichstellung", so Roten weiter. "Aber ich glaube, es ist nicht das eine oder das andere."
Nicht-Schweizer im Dienst?
Die Tür öffnet die Initiative auch für die Umsetzung einer Dienstpflicht für Personen ohne Schweizer Bürgerrecht. Das Parlament könne natürlich entscheiden: Nein, sagt die Komitee-Präsidentin. Oder nur nicht in der Armee, aber im Zivilschutz. Oder nur ab einem gewissen Aufenthaltsstatus. Aber persönlich könnte sich Roten "ein Anreizsystem" vorstellen, sagt sie. Dass man, wenn man als Ausländer einen Dienst leistet, zum Beispiel einen vereinfachten Einbürgerungsprozess oder Stimmrecht auf Gemeindeebene bekommen würde.
Diese Überlegung ist "nicht nur quantitativ", so Roten weiter. Sondern es gehe vor allem um Kohäsion. "Man sagt oft: die Schweizer Armee sei ein Integrationsmotor. Man kommt mit Menschen in Kontakt, mit denen man eigentlich nicht in Kontakt käme, im 'normalen Leben'. Und: Nur wenn eine Gesellschaft geeint ist und zusammenhält, ist sie auch wehrhaft."
Abgestimmt wird am 30. November. Laut der ersten, größeren SRG-Umfrage vor vier Wochen, wird die Initiative wahrscheinlich "sehr knapp" scheitern - mit 48 Prozent der Stimmen. "Wobei ich einen Absturz erwarte", sagt Roten. "Auch, weil die Informationen, die der Bundesrat propagiert, sehr problematisch sind." Gegen Aussagen à la "keine echte Gleichstellung", wie es im Abstimmungsbüchlein (offizielle staatliche Information über die Vorlage, Anm.) stehe. Auch werde behauptet, dass die Initiative eine Militarisierung des Zivildiensts sei. "So haben wir, glaube ich, keine Chance", erklärt die Vorsitzende des Komitees. Aber: "Wir kämpfen bis am 30. November. Und wir werden schauen. Wir mussten auch ein paar Mal über das Abstimmungsrecht der Frauen abstimmen", sagt Roten mit Blick auf das erst bei einer Volksabstimmung im Februar 1971 eingeführte Frauenwahlrecht.
(Von Rosa Schmitz/APA)
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