Temporärer Schutz für Flüchtlinge in der EU

3. Oktober 2014: Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, gedenkt auf der italienischen Insel Lampedusa der Tragödie von 2013.
EU-Parlamentspräsident Schulz will Schutz auf Zeit für Flüchtlinge, die nicht einwandern wollen und nicht politisch verfolgt werden.

Martin Schulz liebt klare Positionen: "Wir brauchen jetzt keine Debatte über Obergrenzen für Flüchtlinge, sondern pragmatische Politik, um die Probleme zu bewältigen", sagt der Präsident des Europäischen Parlament im Gespräch mit dem KURIER.

Dabei belässt er es aber nicht, er macht einen konkreten Vorschlag: "Wir brauchen einen temporären Schutz für Menschen. Dafür brauchen wir gemeinsame europäische Regeln und Lösungen."

Schulz betont, dass derzeit nicht alle Menschen, die zu uns kommen, einwandern wollen, und nicht alle würden politisch verfolgt. "Viele Syrer flüchten vor den Fassbomben und suchen bei uns temporären Schutz. Heute sind es Opfer, die vor einem Bürgerkrieg flüchten, morgen kann es eine Öko- und Klimakatastrophe sein."

Seit vielen Jahren weist Schulz darauf hin, dass die EU Regeln für temporären Schutz brauche, die Frage sei, wie man dies organisiere. "Die Städte, die Kommunen, müssen leistungsfähig gehalten werden. Wien ist hier ein Vorbild", sagt der Parlamentspräsident.

Rechtsruck

Er warnt davor, die Flüchtlingskrise ideologisch zu instrumentalisieren. "Jene, die von links oder rechts das Thema aufheizen, bringen keine Lösung." Der Rechtsruck in Europa sei kein neues, aktuelles Phänomen, sondern verstärke nur eine Tendenz. "Man muss die Ursachen sehen, Menschen haben Angst. Wir leben in einer immer unübersichtlicheren Welt, in der sich Menschen Antworten erwarten. Populisten haben den Vorteil, dass sie so tun, als könne man auf immer komplexere Problemstellungen einfache Antworten geben. Das ist nicht ungefährlich." – Was ist die Gegenstrategie? "Unangenehme Wahrheiten aussprechen, damit gewinnt man Vertrauen", ist die politische Erfahrung des deutschen Sozialdemokraten. Ein Fehler war, dass lange Zeit viele in der EU die Flüchtlingskrise nicht gesehen haben. Viele Staaten waren nicht vorbereitet, haben überreagiert und sich pragmatischen Lösungen aus ideologischen Gründen verschlossen. Etwa Ungarn, das durch die Quote entlastet worden wäre.

Was die faire Verteilung der Flüchtlinge angeht, ist Österreich ein Vorreiter in der EU. "Faymann hat als erster eine verbindliche Quote im Europäischen Rat gefordert, weil er ein Problem auf die EU zukommen sah und eine Lösung verlangte."

Um den Flüchtlingsstrom in die Mitte Europas aufzuhalten, will die EU jetzt enger mit der Türkei kooperieren. Martin Schulz hat Montagabend den türkischen Präsidenten getroffen. Er ist überzeugt, dass "Europa keinen Preis für einen Flüchtlingspakt mit der Türkei zahlt. Beide Seiten haben Interesse an einer Kooperation." Die Details und die konkreten Schritte werden jetzt in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe festlegt. Die EU hat der Türkei finanzielle Hilfe für die Flüchtlingsunterbringung und für verstärkte Grenzkontrollen zugesagt.

Umgekehrt will die Türkei ein sicherer Drittstaat werden. "Die große Mehrheit der EU-Länder ist dafür, es macht keinen Sinn, wenn ein Beitrittskandidat kein sicherer Drittstaat ist", erklärt Schulz.

Was die Visa-Liberalisierung angeht, dürfte es bald Erleichterungen für Unternehmen, Geschäftsleute und Wissenschafter geben. "Klarheit muss es auch bei den Beitrittsverhandlungen geben",. fordert Schulz. "Vor zehn Jahren begannen die Gespräche, dann gingen die Türen zu. Die schwierigen Beziehungen der EU mit der Türkei liegen auch darin, dass die Türken das spüren, wie mit ihnen umgegangen wird. Deshalb muss sich die EU ein Stück bewegen, aber auch klar Defizite in der Türkei ansprechen."

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