Schubumkehr in Tunesien

epa03693074 Tunisian leader of the Islamist Ennahda party, Rached Ghannouchi, speaks during press conference in Tunis, Tunisia, 09 May 2013. Ghannouchi said Tunisia is in war against armed groups, referring to Tunisian troopsí ongoing operation against radical Islamists along the country's border with Algeria. Tunisian security forces on 09 May arrested 39 suspects in connection with a series of attacks. In the most recent attack, two soldiers were wounded in a landmine attack on 06 May. EPA/MOHAMED MESSARA
Die islamistische Regierung greift gegen Ultra-Islamisten durch.

Wenn diese Affen seine Kinder sind, dann hat er sie schlecht erzogen“, ärgerte sich noch kürzlich Souad, eine junge tunesische Ärztin, über Rachid Ghannouchi, den Vorsitzenden der islamistischen Regierungspartei Ennahda. Ghannouchi hatte ultraradikale Salafisten, die monatelang Einschüchterungen gegen linke und liberale Tunesier betrieben hatten, als „unsere Kinder“ bezeichnet.

Damit scheint Schluss zu sein: Am Wochenende wurde eine Versammlung der radikalen Bewegung „Ansar al Scharia“ verboten. In einem Vorort von Tunis kam es daraufhin zu Ausschreitungen. Ein Jugendlicher wurde erschossen. Außerdem wurden die Prediger-Zelte abgetragen, die die Salafisten in etlichen Städten errichtet hatten. Für heute, Freitag, sind wieder Proteste der „Ansar al Scharia“ angesagt.

Der Umschwung erfolgte, nachdem sich in einer Bergregion eine Freischärler-Gruppe verschanzt hatte. Beim Versuch der Armee, die Gruppe aufzuspüren, waren 16 Soldaten verletzt worden.

Daraufhin erklärte Ghannouchi: „Mit jenen, die Minen streuen, ist kein Dialog möglich.“ Der Minister für Menschenrechte, Samir Dilou, übte Selbstkritik: „Die Regierung trägt wegen ihrer laxen Haltung Schuld an dem Aufstieg der Salafisten.“

Das Umdenken an der Staatsspitze ist auch eine Spätfolge der Ermordung des populärsten Oppositionspolitikers, Chokri Belaid, im Februar. Die säkularen Kräfte hatten damals bei riesigen Demos die Ennahda bezichtigt, hinter dem Verbrechen zu stecken. Dieses ist zwar noch immer nicht völlig aufgeklärt, danach kam es aber zu einer Regierungsumbildung zugunsten Moderater.

Gleichzeitig begann eine Verständigung zwischen gemäßigten Ennahda-Politikern und Teilen der säkularen Opposition. Es ist auch höchste Zeit: Während das Land in sozialem Wirrwarr und salafistischer Daueragitation versank, boten die Regierung ein Bild der Inkompetenz und das erste frei gewählte Parlament sterile Wortgefechte.

Ein beträchtlicher Teil der säkularen Jugend aus der Bildungsschicht verlor seine Hoffnung. In den Armuts-Regionen haben die Ultra-Islamisten Zulauf. Da liegt auch das Dilemma: Der Einsatz der Polizei, die schnell in Methoden verfällt, die sie unter der Diktatur praktizierte, sorgt oft für spontane Solidarisierung mit den Ultra-Islamisten. Diese haben sich stellenweise als Ordnungsmacht etabliert, die Geschäfte schützt und Straßen reinigt, auch wenn sie teils kriminelle Banden aufgesogen haben und Schutzgelder erpressen.

Die Polizei, die wegen ihrer Rolle unter der Diktatur verhasst bleibt, wagte sich oft gar nicht auf die Straße. Auch, wenn es um Verkehrsdelikte oder Schlägereien geht. Dieses Chaos hat die Ultra-Islamisten erst recht ermutigt. Die Folge ist der Einbruch des Tourismus. Ohne Stabilität ist ein Wiederaufschwung des Fremdenverkehrs undenkbar. Der sich jetzt abzeichnende Konsens zwischen moderaten Islamisten und Säkularen ist aber ein Hoffnungsschimmer.

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