Es fällt nicht schwer, Chiles rechtem Präsidenten Sebastián Piñera in diesen Tagen Zynismus zu unterstellen. Der 71-Jährige hat am Dienstag in den beiden südchilenischen Regionen Biobío und Araucanía einen Ausnahmezustand ausgerufen, weil er dort "Drogenhandel, Gewalt, Terror und organisiertes Verbrechen von bewaffneten Gruppierungen" ortet.
Es sind genau jene Regionen, die die indigene Bevölkerungsgruppe der Mapuche ihr Zuhause nennt. Und der Dienstag, der 12. Oktober, ist ausgerechnet der "Tag des Kolumbus", der die Entdeckung Amerikas durch spanische Einwanderer feiert. Eine bewusste Provokation.
"Für mein Volk symbolisiert der Kolumbustag den Beginn des Genozids gegen die Ureinwohner", erklärte am Dienstag Elisa Loncón, die wohl bekannteste Stimme der Mapuche und eine klare politische Gegnerin des Präsidenten. Erst am Wochenende hatten tausende Mapuche in der chilenischen Hauptstadt Santiago einmal mehr für das Recht einer unabhängigen Verwaltung sowie für die Rückgabe enteigneter Ländereien protestiert. Die Situation eskalierte, neben 17 Verletzten kam die 43-jährige Studentin Denisse Cortés Saavedra dabei ums Leben.
Die Geschichte der Mapuche ist vom Konflikt geprägt: Im Gegensatz zu den meisten anderen indigenen Völkern Amerikas schafften sie es, sich in erbitterten Kriegen mehr als 300 Jahre lang erfolgreich gegen die (spanische) Kolonialisierung zu wehren. Erst 1883 wurden sie endgültig geschlagen und vom zu dieser Zeit bereits unabhängigen Chile erobert.
Piñeras nun ausgerufener Ausnahmezustand stellt im Hinblick auf Wortwahl und Timing die nächste Stufe einer Eskalationsspirale dar, die schon seit Jahrzehnten ihren Lauf nimmt: So greifen etwa radikale Mapuche immer wieder chilenische Bauern und Holzarbeiter in ihren Gebieten an, die Polizei hatte deshalb eine eigene Anti-Terror-Spezialeinheit namens "Jungle Commando" ins Leben gerufen – inzwischen ist sie nach mehrfachen Verurteilungen wegen Folter und Mordes an den Ureinwohnern wieder aufgelöst worden.
Ablenkungsmanöver
Piñeras Gründe für die erneute Eskalation sind offensichtlich: Der Milliardär und Rechtspopulist will so von Korruptionsvorwürfen ablenken, die ihn knapp fünf Wochen vor der nächsten Präsidentschaftswahl stark unter Druck setzen.
Denn der Name Piñera tauchte in den vergangene Woche veröffentlichten Pandora Papers auf, einer Datensammlung über Steueroasen-Geschäfte bekannter Persönlichkeiten. So soll der Präsident ein millionenschweres Minenprojekt an die Firma eines Kindheitsfreundes vergeben haben. Der habe ihm daraufhin mehr als 150 Millionen US-Dollar gezahlt – selbstverständlich über Briefkastenfirmen auf den British Virgin Islands an der Steuer vorbei.
Die Opposition hat deshalb bereits ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet.
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